Kommentar Newsletter 530 –
In einer Fussnote des letzten Newsletters habe ich die Leser gebeten, mir ihre Meinung zu den Ausführungen im Kommentar mitzuteilen. Erfreulicherweise ist eine grössere Anzahl von Antworten eingegangen, rund die Hälfte liess mich wissen, dass sie meine Ansichten voll teilten, ein Viertel hatte interessante Ergänzungen anzubringen, ein weiteres Viertel sieht die Situation anders, mit aufschlussreichen und bedenkenswerten Einwänden. Also insgesamt eine aus meiner Sicht höchst erfreuliche Reaktion. Im Folgenden wird aus einigen der Einsendungen zitiert.
Thema war, Sie mögen sich erinnern, ein Artikel in der NZZ zu einem Vorhaben des BSV, künftig dafür zu sorgen, dass bei Stellenwechsel jeweils die volle Freizügigkeit in die Kasse des neuen Arbeitgebers überwiesen wird. In einer nicht bekannten Anzahl von Fällen trifft dies heute nicht zu, weil Versicherte mindestens einen Teil auf einer FZ-Einrichtung parkieren und ihn dort bis zur Pensionierung lassen. Das zu verhindern setzt vorhersehbar einen nicht geringen administrativen Aufwand mit entsprechenden Kostenfolgen voraus, den man sich auch ersparen kann, weil der Schaden, falls überhaupt vorhanden, vernachlässigbar ist.
Besonders interessant sind die auf und zwischen den Zeilen formulierten Bemerkungen in den Zuschriften, die nicht in die gängige PK-Folklore passen und auch nicht in die Jubelchöre zum 40-jährigen BVG-Jubiläum. Es werden Probleme angesprochen, die noch so gerne übersehen werden, die aber diskutiert werden sollten.
Es wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Projekt nicht um etwas Neues handelt, sondern dass das BSV schon länger daran arbeitet. Tatsächlich wurde auch in unserem Newsletter bereits darüber berichtet. Ich habe den Verdacht, dass die NZZ auch nur deshalb darauf gestossen ist, weil das BSV die Zeitung gezielt auf die Spur brachte, um zu testen, wie die Fachwelt darauf reagiert. (Wenn eine Zeitung von «Recherche» schreibt, wie in diesem Fall geschehen, ist grundsätzlich Skepsis angebracht. Unsere Journalisten bewegen sich nur noch selten von ihren Schreibtischen weg und dort sind ohne sanfte fremde Hilfe kaum News aufzutreiben. Aber das ist eine andere Geschichte.)
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Zum Einstieg ein paar der zustimmenden Reaktionen:
«Ihre Frage ‘Wie sehen Sie es?’, kann ich einfach beantworten mit gleich (wie Sie),» meint Robert Marty, und fügt an, es gäbe in der Tat wichtigere Probleme.
Thomas Winiger stimmt ebenfalls zu: «Es kann einfach nicht alles reguliert werden, sonst braucht es noch viel mehr Überwachung. Sie schreiben zutreffend, der einzelne Versicherte soll entscheiden können, ob er sein FZ-Guthaben in die neue PK einbringen soll – mit allen Vor- und Nachteilen, die ein solcher Entscheid nach sich zieht. Es gibt auch Situationen im Leben, in denen man zusätzlich einen Todesfallschutz benötigt. Dann ist es ebenfalls sinnvoll, das Geld nicht in die neue PK einzubringen, da bei den meisten Vorsorgeplänen das vorhandene Alterskapital zur Finanzierung der Witwen-/Partnerrente herangezogen wird (eine Ausnahme ist Profond, bei der der FZ-Anspruch immer zusätzlich fällig wird). So hat man mit dem FZ-Konto/Guthaben ein Todesfallkapital, das den Hinterbliebenen zukommt.»
Ein aktiv Versicherter schreibt: «Ich habe es auch so gemacht und Gelder aus der PK in einem Freizügigkeitsdepot parkiert. Vorteil ist, dass ich nicht auf die unsinnigen 45% Aktienquote limitiert bin, sondern mit 99% fahren kann. Die langfristige Rendite sollte deutlich höher sein, als was PKs erwirtschaften können.»
Willi Plüss sieht einen anderen Aspekt, der für das Parkieren auf einem FZ-Konto spricht: «Wenn zwischen dem obligatorischen Altersguthaben und dem Gesamtguthaben eine Differenz von 100’000 Franken besteht, jedoch infolge der Schattenrechnung [Anrechnungsprinzip], die daraus resultierende Altersrente gleich hoch ausfällt ist klar, wieso Versicherte bei einem Stellenwechsel allenfalls nicht das gesamte Guthaben in die neue Kasse einbringen möchten.»
Auch Othmar Baumann stimmt dem Tenor im Kommentar zu: «In der Tat wird hier wieder mal aus einer Mücke ein Elefant gemacht! Als ehemaliger langjähriger Leiter des KMU-PK-Geschäfts Schweiz der vormaligen Winterthur Leben kann ich bestätigen, dass es sich dabei um Einzelfälle beim Stellenwechsel gehandelt hat. Tatsächlich würde man meinen, es gäbe keine echten Herausforderungen in der 2. Säule, die anzugehen wären. Einmal mehr „wiehert der Amtsschimmel“ und die Regulatoren frohlocken ohne Rücksicht auf weitere zusätzliche administrative Aufwände. SP, Grüne und Gewerkschaften können dann wieder gegen hohe Verwaltungskosten auf die Barrikaden gehen!»
Dass das Problem mehrere Aspekte hat, vermerkt Fabian Thommen. «Ich sehe das im Grundsatz wie Sie: FZL nicht einbringen ist zwar nicht das vorgesehene Protokoll, aber auch kein Verbrechen. In den meisten Fällen geschieht es vermutlich sogar unwissentlich, Stichwort «vergessene Guthaben» (die Auffangeinrichtung lässt grüssen). Die wissentlichen «Nichteinbringer» sind zwar sicherlich etwas egoistischer unterwegs, aber in den meisten Fällen schaden sie dem Kollektiv nicht wirklich. Denn wichtig: Viele Pensionskassen kennen im Leistungsfall (üblicherweise nur beim Tod relevant, da das Altersguthaben für die Finanzierung der Hinterlassenenrenten verwendet wird) eine Schutzklausel.»
Die im Kommentar angesprochene Taktik, keine FZ in eine untergedeckte PK einzubringen, erachtet Thommen aber als diskussionswürdig: «Die PK oder das Vorsorgewerk hat eine Unterdeckung, die versicherte Person bringt ihre FZL nicht ein und wartet so lange, bis die Sanierungsmassnahmen abgeschlossen sind und die WSR wieder aufgebaut ist – was bekanntlich mehrere Jahre dauern kann. Sobald die Sonne wieder scheint, bringt die Person seine FZL ein, verwässert schön den Deckungsgrad und profitiert fortan von höheren Zinsen.
Letzterer Fall ist zwar stossend, aber ich bin der Meinung, dass dieser allein keine Einforderungspflicht der PK rechtfertigt – was sogar noch weitergeht als eine Einbringungspflicht der Versicherten.»
In eine ähnliche Richtung zielt die Feststellung von Regius Feller: «Im Artikel wird nirgends erwähnt, dass steuerliche Vorteile im Spiel stehen. Überweist ein Versicherter nur die Hälfte seiner Freizügigkeitsleistung, so hat er bei der neuen Arbeitsstelle wahrscheinlich ein grosses Einkaufspotential. Kluge Steuerberater und Gutverdienende nutzen diese Option aus.»
Einen aufschlussreichen Vergleich mit den 1e-Plänen stellt Marcello de Luna an: «Nachteile für die 2. Säule sehe ich keine: Der Kapitalbezug wird besteuert und die Gelder werden bei der Berechnung von Einkaufslücken berücksichtigt.
Und Hand aufs Herz: Was ist denn der Unterschied zur in der BVV2 stipulierten 1e-Lösung? Auch hier kann ich Gelder separat anlegen, ohne Sifo-Deckung, das Risiko liegt beim Versicherten. Es gilt reine Kapitalauszahlung und Pensionierungszeitpunkt abweichend von der Grundvorsorge. Wie genau unterscheidet sich das denn nun von einer nicht eingebrachten und im Rahmen von Fonds auf einem Sperrkonto angelegten FZL?
Was man auch nicht vergessen darf: Viele Kassen haben gar kein Interesse daran, grosse FZL einzutreiben, da sie befürchten müssen, der Versicherte könnte bei Pensionierung auf die fatale Idee kommen, eine Rente zu wählen.»
Auf ein spezielles FZ-Problem verweist Michael Krähenbühl im Zusammenhang mit der Auffangeinrichtung: «Immer noch ungebremst ist der Mittelzufluss von FZL an die Auffangeinrichtung! Und hier haben wir ein Problem, da im Durchschnitt nur 13’630 Franken auf den Konten liegen, zu einem Zins von 0,2 Prozent und das bei über 1,5 Mio. Konten – ein administrativer Unsinn! Und viele Betroffene wissen nicht einmal, wo ihr Geld ist.»
Aus Sicht von Yvonne Mucha, PK-Geschäftsführerin, zeigt sich die Komplexität der Frage: «Die PKs haben in ihren Reglementen festgehalten, dass die gesamte FZL einzubringen ist. Dies ist auch auf Formularen und Merkblättern festgehalten. Also ist es eine aktive Entscheidung eines Versicherten, dies nicht zu wünschen. Dann soll er die Konsequenzen tragen.
Die Frage ist, ob ich dann die FZL noch annehmen muss, wenn er invalidiert? Dazu haben wir einen BGer-Entscheid. Und dann gibt es noch die Fälle, bei denen nicht die gesamte FZL eingebracht werden kann, weil eine zu hohe Austrittsleistung vorliegt. Da ist es von der PK sogar gewollt, dass die versicherte Person die überschiessenden Guthaben an einem anderen Ort verzinsen lässt. Oder übersehe ich etwas?»
Zum Abschluss einen Hinweis von Doris Habegger, welche die Frage nochmals aus einem anderen und wichtigen Blickwinkel beleuchtet: «Als Firmen-Pensionskasse verlangen wir tatsächlich die Freizügigkeitsleistungen unserer Versicherten ein, und dies bei manchmal bis zu 3 oder 4 verschiedenen Institutionen. Wir verstehen dies als Dienstleistung für unsere Versicherten, da die Frutiger Gruppe viele fremdsprachige Mitarbeiter hat, die von all den administrativen Anforderungen überfordert sind.
Teilweise müssen wir die früheren Vorsorgeeinrichtungen ein- oder sogar zweimal mahnen, bis die FZL endlich überwiesen wird. Uns fällt auf, dass der 30 Tage nach Erhalt der Überweisungsangaben geschuldete Zusatzzins sehr oft nicht bezahlt wird. Wenn es sich um höhere Beträge handelt, fordern wir den mit einem weiteren Schreiben ein.
Wir haben den Eindruck, dass es Vorsorgeeinrichtungen gibt, die davon ausgehen, dass der Versicherte diesen Passus im FZG nicht kennt und sie deshalb auch keinen Verzugszins ausrichten. Diesbezüglich wäre das Vorhaben des BSV positiv.»
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Wer Widerspruch nicht fürchtet, kann etwas lernen. Das habe ich jedenfalls bei der Lektüre der Antworten auf meine Bitte zur Einschätzung meiner Argumente getan und dafür bin ich dankbar. Dass es in fast allen Fällen mit freundlichen Bemerkungen zu den vierzehntäglichen Kommentaren verbunden war, ist für den Schreibenden natürlich besonders angenehm.
Die Diskussion muss damit nicht abgeschlossen sein, weitere Bemerkungen sind sehr willkommen. Ansonsten wünsche ich allen meinen sehr geschätzten Lesern eine schöne Sommerzeit und tolle Ferien. Der nächste Newsletter erscheint wiederum in etwas gebremster Kadenz in drei Wochen.
Peter Wirth, E-Mail