Die gesetzlichen Vorschriften spielen indirekt eine Rolle, andere Fakten stehen im Vordergrund. Zum einen passt sich das Rentenalter nicht an die demografische Entwicklung an. Was nichts anderes bedeutet, als dass bei gleichbleibenden Beiträgen die jährlich ausbezahlten Renten sinken müssen. Zudem gibt es bei uns die Möglichkeit, das gesamte angesparte Kapital in bar zu beziehen. Das schmälert die Versicherung gegen die finanziellen Folgen der Langlebigkeit.
Ist auch der Reformstau ein Grund für die schlechtere Rangierung?
Durchaus. Wir haben es bisher nicht geschafft, unser System so umzubauen, dass es flexibel auf demografische Veränderungen reagiert.
Ist der äussere Druck einfach zu gering, sodass man sich nur halbherzig an Veränderungen heranwagt?
Ja, und ironischerweise liegt es auch am guten Job, den die Pensionskassen in den letzten Jahren gemacht haben. Sie ergriffen Massnahmen, um finanziell stabil zu bleiben. Etwa mit umhüllenden Kassen, die den obligatorischen und überobligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge kombinieren und bei denen der Umwandlungssatz auf dem Gesamtkapital gilt.
Eine Schattenrechnung stellt sicher, dass der gesetzliche Umwandlungssatz im Obligatorium eingehalten wird. Allerdings hat dies auch zu mehr Intransparenz und Komplexität sowie zu einer Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Pensionierten geführt: Das schwächt das Vertrauen in die zweite Säule.
Wie fit präsentiert sich denn heute das Schweizer Vorsorgemodell?
Die zwei Säulen, AHV und berufliche Vorsorge, sind grundsätzlich stabil und gross genug. Da bin ich vorsichtig optimistisch. Etwas weniger gilt das für die erste Säule, die von einer schlanken Existenzsicherung zu mehr Giesskanne geht. Die zweite Säule hat sich trotz restriktiver Regulierung als erstaunlich wandelbar erwiesen.
Wegen der längeren Lebensdauer ist für die Rentnerinnen und Rentner nicht genügend Kapital vorhanden. Damit kommt es zu einer Umverteilung von Erwerbstätigen zu Pensionierten. Wie lässt sich das stoppen?
Weniger Umverteilung ist nur möglich, wenn Umwandlungssatz und Verzinsung über die mittlere Frist den Marktparametern und der Lebenserwartung angepasst werden.
Braucht es in der zweiten Säule eine stärkere Individualisierung, wie es mit den 1e-Plänen für besser verdienende Mitarbeitende bereits möglich ist?
Viele Kassen bieten bereits Wahlmöglichkeiten auch für Normalverdienende, zum Beispiel höhere Sparbeiträge. Wichtig ist, dass der Grundstock des angesparten Kapitals nicht angetastet wird. Wir wissen aus vielen internationalen Studien, dass mehr Wahlmöglichkeiten nicht unbedingt zu besseren Lösungen führen. Die freie Wahl der Pensionskasse ist nicht die Lösung.
Die Kosten – zum Beispiel durch Fehlentscheidungen der Versicherten und durch den Wegfall von spezifischen Angeboten bei den Firmen – würden kaum kompensiert durch allfällige Wettbewerbsgewinne. Eine Pensionskasse ist keine Krankenkasse, weil die Verträge über eine viel längere Zeit ausgelegt sind. Wähle ich die falsche Krankenversicherung, kann ich ohne Verlust wieder wechseln. Bei der Pensionskasse ist der mögliche Schaden viel höher.
An welchen Stellschrauben muss man drehen, um die berufliche Vorsorge auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen?
Es braucht eine Flexibilisierung des Umwandlungssatzes und der Verzinsung. Ich würde mir auch wünschen, dass Kleinstarbeitgeber wie Familien (Haushaltshilfe) unbürokratisch die zweite Säule für ihre Angestellten organisieren können. Eine solche Institution existiert bereits mit der staatlichen Auffangeinrichtung für Personen ohne Pensionskasse. Ein niederschwelliges Angebot stärkt auch das Vertrauen in die zweite Säule.
Noch ein Blick in die Zukunft: Von den rund 15 000 Pensionskassen bei der Einführung des BVG-Obligatoriums 1985 sind etwa 1300 verblieben. Geht dieser Konzentrationsprozess im gleichen Rhythmus weiter?
Es hat schon bisher eine starke Konsolidierung gegeben. Das schweizerische Vorsorgemodell ist bedeutend individueller als etwa das niederländische. Damit verbinden sich Vor- und Nachteile. Viele kleine Kassen machen einen super Job, weil sie relativ nahe bei Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind. Gerade diese Vorsorgeeinrichtungen können oft mit Innovationen trumpfen und spezifische Angebote innerhalb der regulatorischen Grenzen machen. Daneben gibt es zahlreiche Sammelstiftungen. Insgesamt geht der Konzentrationsprozess jedoch mit gewissen Einschränkungen weiter.
Sind weniger, aber grössere Vorsorgeeinrichtungen auch effizienter?
Nicht unbedingt. Eine kleine Kasse kann gewisse Versicherungsleistungen auch auslagern.
Handelszeitung /
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