Der Präsident des Deutschen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, spricht sich für ein späteres Renteneintrittsalter aus. „Wir müssen zu den Menschen ehrlich sein: Wir werden das Renteneintrittsalter nicht bei 67 Jahren halten können“, sagte Wolf den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Wir werden in den nächsten Jahren über ein Renteneintrittsalter von 69 bis 70 Jahren reden müssen.“ Der Gesamtmetall-Präsident, der die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie vertritt, warnte vor einem Finanzierungsproblem der Rentenkassen.
Rentenalter
Von Methusalem zu Bismarck und zurück
Lebenserwartung und Rentenalter sind Themen, die bewegen. Die Alten wie die Jungen. Den Einstieg dazu suchen wir aber nicht über die aktuelle politische Auseinandersetzung – dazu kommen wir später – sondern über die Bibel. Dort finden sich einige aufschlussreiche Angaben zum Thema Alter. Der sprichwörtlich gewordene Methusalem brachte es laut Genesis auf 969 Jahre, nicht weit zurück liegen Jered (962), Noah – Enkel des Methusalem – (950) und Adam (895 Jahre).
Natürlich wurden die Angaben immer wieder in Zweifel gezogen und Missverständnisse vermutet. Diese lassen sich aber nicht so leicht belegen. Zur allgemeinen Beruhigung werden die Zahlen heute als symbolisch gedeutet. Im 1. Buch Mose 6,1–4 begrenzte Jahwe die Lebenszeit schliesslich auf hundertzwanzig Jahre, dem Todesalter des Moses. Das Limit hat sich bis in die jüngste Vergangenheit durchgesetzt. Soweit bekannt hat lediglich die auch in Aktuarskreisen oft zitierte Französin Jeanne Calment, gestorben 1997 mit 122 Jahren, diese Grenze überschritten. Die älteste Schweizerin, Alice Schaufelberger, starb im November vergangenen Jahres im Alter 112 Jahren.
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Die Rückkehr zu alttestamentarischen Verhältnissen ist vorderhand nicht zu erwarten, obwohl der Biologe und Langlebigkeitsforscher Aubrey de Grey vor einigen Jahren die Prophezeiung wagte, der erste Mensch, der älter als 1000 Jahre werde, sei vermutlich schon geboren. Mittlerweile hat er die Aussage relativiert. Und seine «Methuselah Foundation» hat kürzlich ihre Zielsetzung von einer grundsätzlich unbegrenzten Erhöhung der Lebensdauer konkretisiert auf den etwas bescheidenere Plan «Making 90 the New 50 by 2030». Auch das könnte so manchen PK-Experten ins Grübeln bringen.
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Trotz der grundsätzlich erfreulichen Aussichten – sofern man am Leben hängt – und die meisten bis ins hohe Alter sich einer guten Gesundheit erfreuen, wollen viele – eine Mehrheit? – partout nicht länger arbeiten als bis zur traditionellen Grenze von 64/65 Jahren. Und wenn immer möglich schon vorher in Pension gehen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die willkürliche Vorgabe mit Rentenalter 65 – eine sozialpolitische Innovation ersten Ranges – vor rund 140 Jahren vom erzkonservativen Deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck für die neue Rentenversicherung und mit Blick auf die damals fast gleich hohe Lebenserwartung festgesetzt wurde. Dahinter stand politische Kalkül: «Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“. Seine Rechnung ist voll aufgegangen und das wohl mehr, als er es selbst gewünscht hätte. Ganz besonders hierzulande.
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Die progressiven Kreise jedenfalls haben das Reichsdeutsche Rentenaltersystem so sehr verinnerlicht, dass jede Auf- und Abweichung als unakzeptabler Verstoss gegen Gerechtigkeit und Anstand aufs entschiedenste bekämpft wird. Alter 65 ist absolut gesetzt, als ginge es gleichfalls auf Jahwe zurück. Dabei war es bloss die Idee eines durchtriebenen preussischen Junkers. Der Bezug auf die Lebenserwartung ging allerdings verloren.
Auch die erfolgreich lancierte «Renteninitiative» der Jungfreisinnigen für ein Rentenalter 66/66mit späterer Dynamisierung gemäss Entwicklung der Lebenserwartung, bewegt sich letztlich im Rahmen eines generell gesetzten Pensionierungszeitpunkts. Mehr als ein vorsichtiges Drehen an den Stellschrauben der Altersvorsorge wagen auch sie nicht vorzuschlagen. Und schon das gilt als ausgesprochen kühn.
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Reiner Eichenberger, Professor an der Universität Freiburg, ist das alles zu wenig und vor allem das Falsche. Sein Vorschlag: weg von diesem Zahlenfetischismus und hin zu einem Anreizsystem, um die Erwerbstätigen zu längerer aktiver Tätigkeit zu motivieren. Seine Überlegungen hat er schon mehrfach zu Papier gebracht, in einem Interview mit Nebelspalter-Redaktor Dominik Feusi hat er sie zusammengefasst.
Das ist überzeugend und zukunftsweisend, aber weit ab von praktischer Umsetzung. Trotz vorsichtiger Flexibilisierung gilt 65 noch immer als das Mass aller Dinge, obwohl keine zwei Erwerbstätigen unter gleichen physischen, mentalen und sozialen Voraussetzungen bezüglich ihrer Arbeit im Alter leben.
Auch der Arbeitgeberverband, der zwar wiederholt das grosse Wehklagen über die absehbar fehlenden Fachkräfte durch die Pensionierungswelle in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts anstimmt, weiss zur Behebung nichts anders zu bieten als die Forderung nach einer Erhöhung des Rentenalters.
So begnügt man sich bei dieser hochbedeutenden sozialpolitischen Frage mit kurzsichtiger Erbsenzählerei, produziert Sozialkitsch über ein «Alter in Würde», ergeht sich in Endlosschlaufen über die Benachteiligung der Frauen und landet am Schluss dort, wo man schon immer war. Bismarck hätte sich köstlich amüsiert.
Peter Wirth, E-Mail
Frühpensionierung als Gesundheitsrisiko?
In einem Bericht über eine Studie von Prof. Reiner Eichenberger schreibt der Nebelspalter: Die Gesundheit der Bauarbeiter verschlechterte sich durch die Einführung eines tieferen Rentenalters im Jahr 2003. Hätte eine Rentenaltererhöhung, wie sie die Jungfreisinnigen fordern, im Umkehrschluss eine positive Auswirkung auf die Gesundheit der Arbeitnehmer? Im Einzelnen wird zu den überraschenden Resultaten der Studie ausgeführt:
In der Studie wurden die Angaben von Bauarbeitern mit den Angaben von Arbeitnehmern aus anderen Berufen verglichen, um festzustellen, wie sich die Gesundheit von Bauarbeitern zu derjenigen der Arbeiter aus anderen Sektoren unterscheidet. Zudem wurden die Angaben von Bauarbeitern die vor und nach der Reform pensioniert wurden, verglichen. Dadurch wollte man die Auswirkungen, die die Reform mit sich brachte, feststellen. Dabei kam heraus: Bei den 56 bis 60-jährigen Bauarbeitern, also jenen die neu kurz vor der Pension standen, stieg die Krankheitsausfallquote nach der Reform um 33 Prozent an.
Konkret heisst das: Nach Einführung des Rentenalters 60 fehlten die 56- bis 60-Jährigen mehr als früher. Die Abwesenheit von mindestens einem Tag pro Woche stieg um einen Drittel – von 3,49 auf 4,64 Prozent. Zudem gaben sie häufiger an, sich gesundheitlich schlecht zu fühlen (11,7 Prozent). Vor Rentenalter 60 waren es nur 7,6 Prozent.
«Länger arbeiten muss sich lohnen»
Im Nebelspalter-Interview mit Prof. Reiner Eichenberger von der Universität Freiburg wird ein “Win- win-win-Modell” zur Frage des Rentenalters entwickelt. Eichenberger macht klar, dass er von den aktuellen Vorschlägen zur Erhöhung nichts hält, auch nicht von der Initiative der Jungen FDP. Deren Zwangsmodell der Rentenaltererhöhung löse das eigentliche Problem nicht. Es gelte, die Arbeit nach Erreichen des Rentenalters finanziell attraktiv zu machen.
«Wenn die Leute länger arbeiten sollen, dann muss man die richtigen Anreize setzen», findet Eichenberger. «Die Alten arbeiten heute nicht länger, weil sie nach Strich und Faden betrogen werden.» Wer weiter arbeite, zahle wegen der Progression unverhältnismässig mehr Steuern – und der Zuschlag auf die Rente lohne sich erst, wenn er älter als 86 Jahre werde. «Das ist doch Quatsch!»
In Eichenbergers Vorschlag könnte jeder sein eigenes Referenzalter für sich festlegen. Wer einen Aufschub zum allgemein geltenden Rentenalter machen würde, hätte schon vorher einen Nachlass bei den Beitragssätzen und nach 65 eine Erleichterung bei den Steuern.
Aber wie geht diese Rechnung für die AHV auf? «Wenn Leute länger arbeiten, dann zahlen sie nicht nur mehr in die AHV, sondern auch mehr Steuern.» Bis jetzt habe dieses Geld der Staat, zum Beispiel bei der Erhöhung des Frauenrentenalters von 62 auf 64, einfach eingesteckt. Dabei gehöre es der AHV.
Mehr Weiterbildung dank flexiblem Rentenalter
Die Aus- und Weiterbildungsbeteiligung sowie die Teilnahme am informellen Lernen nehmen mit zunehmendem Alter ab. Während rund drei Viertel der 25- bis 34-Jährigen in den vergangenen zwölf Monaten an einer Weiterbildung teilnahmen, war der Anteil an Weiterbildungsaktiven bei den 55- bis 64-Jährigen rund 20 Prozentpunkte tiefer. Da Personen gleichzeitig an Ausbildung Weiterbildung und informellem Lernen teilnehmen können, übersteigt die Summe der Teilnahmequoten in den drei Kategorien teilweise 100 %.
Die sinkende Weiterbildungsaktivität im fortgeschrittenen Alter ist unter anderem mit den Ansätzen der Humankapitaltheorie erklärbar: Mit zunehmendem Alter verkürzt sich die verbleibende Dauer am Arbeitsmarkt und somit kann vom Ertrag einer Weiterbildung – z.B. durch höhere Produktivität oder eine Lohnerhöhung – weniger lange profitiert werden. Deshalb lohnt sich eine Weiterbildung sowohl für den Teilnehmenden als auch für den Arbeitgeber am Anfang oder in der Mitte des Erwerbslebens mehr als kurz vor der Pensionierung.
So gesehen dürfte die Weiterbildungsteilnahme wohl weniger vom Alter, sondern mehr vom ordentlichen Rentenalter abhängen. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie von Fouarge und Schils (2009), die den Zusammenhang zwischen der Weiterbildungspartizipation älterer Arbeitnehmenden und der Flexibilität beim Rentenalter untersucht: In Ländern, in denen Arbeitnehmer eine grössere Wahlmöglichkeit bezüglich des Pensionsalters haben, ist die Teilnahmewahrscheinlichkeit an Weiterbildungen bei älteren Arbeitnehmenden grösser. Einen gegenläufigen Effekt haben hingegen grosszügige Frühpensionierungsregelungen.
Erfolg der Renten-Initiative, “Aufstand der Jungen”
Über 137’000 Unterschriften haben die Jungfreisinnigen für ihre Renten-Initiative gesammelt. Das Rentenalter soll künftig der Lebenserwartung angepasst Jahr für Jahr steigen. Am 16. Juli wird die Initiative eingereicht, schreibt der Blick.
Der Kampf um die AHV-Reform ist in vollem Gange, da platzen die Jungfreisinnigen mit einer brisanten Volksinitiative in die Debatte: Das Rentenalter soll künftig deutlich steigen! Jahr für Jahr um ein, zwei Monate. Das Volksbegehren kommt zustande, wie Jungfreisinnigen-Präsident Matthias Müller (28) und Initiativpräsident Patrick Eugster (31) gegenüber Blick bestätigen. «Wir haben bereits über 137’000 Unterschriften gesammelt!», sagt Müller. Am 16. Juli wird die Initiative bei der Bundeskanzlei eingereicht.
Das Resultat ist für Müller ein klares Signal: «Es ist ein Aufstand der Jungen! Wir wollen die Gefährdung unseres Rentensystems nicht einfach so hinnehmen.»
Mit der Initiative machen die Jungfreisinnigen auch Druck auf das Parlament, bei der laufenden AHV-Reform vorwärtszumachen und das Frauenrentenalter auf 65 zu erhöhen. «Es gibt keinen sachlichen Grund, dass Männer länger arbeiten sollen als Frauen», sagt Müller. Es gebe aber gute Gründe, dass beide Geschlechter darüber hinaus arbeiten müssten. «Die Lebenserwartung steigt und steigt – jedes Jahr um 40 Tage.» Damit würden auch die Rentenausgaben stetig steigen.
Es wird knapp für die Rentenalter-Initiative
Die Aargauer Zeitung schreibt zur Renteninitiative der Jungfreisinnigen, welche Rentenalter 66 und dann die Dynamisierung gemäss Lebenserwartung fordert:
Rentenalter 66 für alle bis im Jahr 2032, dann eine Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung – das fordert die Volksinitiative der Jungfreisinnigen. Für die Unterschriftensammlung bleibt Zeit bis am 16. Juli. In den kommenden drei Wochen muss die Jungpartei einen Effort leisten, damit ihre Initiative zustande kommt.
Matthias Müller, der Präsident der Jungfreisinnigen, erklärt auf Anfrage: «Wir sind aktuell bei 87’000 beglaubigten Unterschriften.» Müller betont aber, dass bis Ende Juni Tausende Unterschriften dazu kämen, welche die Gemeinden meldeten.
Müller weist auf unerwartete Probleme im vergangenen Jahr hin. «Dass kurz nach dem Start der Unterschriftensammlung die Coronakrise ausbrach, hat unsere Bemühungen deutlich erschwert.» Trotzdem sei die Partei zuversichtlich, dass sie die nötige Anzahl Unterschriften sammeln werde.
Rentenreform: Neue / alte Forderungen von Frauen
Der Tages-Anzeiger berichtet über die Forderung von Alliance F und von Nationalrätinnen nach einer parallelen Behandlung der Revisionen von AHV und BVG. Bei der 2. Säule geht es insbesondere um die Besserstellung von Teilzeiterwerbstätigen. Und ein Streitpunkt ist natürlich das Frauenrentenalter. Gedroht wird: Ohne Aufbesserung der Pensionskasse gibt es keine Erhöhung des Rentenalters.
Der überparteiliche Frauendachverband Alliance F sowie Sozialpolitikerinnen im Nationalrat verlangen auch diesmal eine parallele Reform beider Säulen. Zwar wollen sie nicht eine juristische Verknüpfung wie 2017, jedoch sollen beide Revisionen parallel behandelt und abgeschlossen werden.
Die Forderung der Frauen ist politisch brisant, denn bei der AHV besteht die geplante Reform im Wesentlichen aus der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65.
Eine Rentenaltererhöhung für die Frauen sei undenkbar, wenn nicht gleichzeitig der Systemfehler in der zweiten Säule behoben werde, sagt jetzt Maya Graf, Co-Präsidentin von Alliance F. Der Systemfehler besteht darin, dass Teilzeitangestellte und Tieflohnempfängerinnen nur über eine schlechte oder gar keine Absicherung in der zweiten Säule verfügen. (…)
“Ein Relikt aus patriarchalen Zeiten”
Jérôme Cosandey von Avenir Suisse gelingt es, die Diskussion um das Frauenrentenalter aus verblüffend neuer Sicht zu behandeln. Ursprünglich galt 1948 bei Gründung der AHV für beide Geschlechter das gleiche Rentenalter. Es war ein reines Männerparlament, das in zwei Schritten jenes für Frauen von 65 auf 62 Jahren senkte. Er schreibt:
Erst als 1997 Ruth Dreifuss, als einzige Frau im Bundesrat, die 10. AHV-Revision – manchmal Frauenrevision genannt – vor das Parlament brachte, wurde das Rentenalter der Frauen in zwei Schritten wieder auf 64 Jahre erhöht. Als Gegenleistung wurden unter anderem das Beitrag-Splitting unter Ehegatten und die Erziehungsgutschriften eingeführt, die die finanzielle Vorsorge vieler Frauen verbesserte.
Nächste Woche berät die zuständige Kommission des Nationalrats die Reformvorlage AHV 21. Es wird sich zeigen, ob die heute mehrheitlich von Frauen besetzte Kommission (14 der 25 Sitze) die einstigen Männerentscheide korrigiert und das Frauenrentenalter zurück auf den Stand von 1948 bringt. Die bisherigen Debatten in der ersten Kammer, dem Ständerat, lassen heftige und emotionale Diskussionen erwarten.
Aus feministischen Kreisen wird die traktandierte (Wieder-) Angleichung des Frauenrentenalters heftig bekämpft. Es entbehrt jedoch nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet im Namen der Emanzipation ein Relikt aus patriarchalen Zeiten mit allen Mitteln verteidigt wird.
Hände weg?
314’187-mal wird per Online-Umfrage der Gewerkschaften gefordert: «Hände weg von den Frauenrenten». Aber eigentlich will niemand die Frauenrenten senken; das Rentenalter soll im Sinne der Gleichstellung an jenes der Männer angeglichen werden. Gleichzeitig wird gefordert: Wir wollen höhere Frauenrenten.
Also entweder Hände weg oder höhere Renten. Beides geht nicht. Zu viel oder falsche Logik? Möglicherweise verstehen wir nicht, was mit Gleichstellung gemeint ist. Oder wir erliegen den Täuschungen eines heteronormativ patriarchalen Sozialkonstrukts. Oder so ähnlich.
Zumindest eine 13. Rente wird verlangt, subito. Mit dem Kettenbriefsystem der AHV lässt sich das machen. Im BVG funktioniert es nicht. Da muss die Leistung vom Empfänger selbst finanziert werden, und zwar über Jahrzehnte. Wahrscheinlich zu mühsam für eine auf Instantgratifikation konditionierte Generation.
Dass die Frauen dank dem Umverteilungssystem und den Witwenrenten im Durchschnitt sogar etwas höhere AHV-Renten erhalten, ist erwähnenswert. Und dass auf die nächsten Generationen der Beitragszahler aufgrund der demographischen Entwicklung schon mit dem heutigen Rentenniveau enorme Lasten zukommen, sollte ev. auch nicht ausgeblendet werden. Ausser man will die empfindlichen Millenials und urbanen Eliten nicht mit Fakten konfrontieren, denen sie im Zeitalter der Microaggression psychisch nicht gewachsen sind.
Begründet wird die Forderung mit der Benachteiligung der Frauen. Was damit anfängt, dass sie drei Jahre länger leben müssen als Männer. Dazu kommt der berüchtigte Gender Pay Gap. Weniger bekannt und selten thematisiert: Frauen ohne Kinder beziehen nur unwesentlich tiefere Löhne und Renten als Männer.
Für eine Frau mit Kindern ist es objektiv schwerer Karriere zu machen als für solche ohne. Eine Frau ohne volle Berufstätigkeit scheint aber die Erwartung der Gesellschaft nicht zu erfüllen und hat damit ein Reputationsproblem. Spätestens ab 6 Monaten kann man schliesslich ein Kind in der Kita deponieren. Dort wird es professionell betreut von staatlich lizensierten Fachpersonen und somit bewahrt vor den dilettantischen Erziehungsversuchen leiblicher Eltern. Angeblich ein wahrer Segen für alle Beteiligten.
Wer dieses Ideal einer progressiv-woken Gesellschaft nicht unbedingt und in jedem Fall als erstrebenswerten erachtet, sondern allenfalls noch leichte Zweifel empfindet, ist aufgefordert, nach besseren Lösungen für die Altersvorsorge der Mütter zu suchen. Gezielt und ohne populistisches Tamtam. Hände weg löst keine Probleme.
Peter Wirth, E-Mail
Rechte Jungparteien: Wenig Vertrauen in die Alten
Der Tages-Anzeiger berichtet über das gemeinsame Vorgehen der fünf bürgerlichen Jungparteien bei der BVG-Revision. Janine Hosp schreibt:
Die fünf sind längst nicht mit allem einverstanden, was die Sozialpartner – Gewerkschaften und Arbeitgeber – in der zweiten Säule ausgehandelt haben. Es geht ihnen alles zu wenig weit. Aber sie wollen die Reform nicht gefährden; es ist für sie vordringlich, dass der Umwandlungssatz von heute 6,8 auf 6 Prozent gesenkt und die Umverteilung abgebremst wird.
Erst wenn diese Revisionen gesichert sind, kommen sie zu ihrem eigentlichen Plan. Die Jungparteien wollen das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln; wer länger lebt, soll länger arbeiten. Sie wollen aber auch, dass alle Angestellten unabhängig vom Alter dieselben Beiträge zahlen. Oder dass künftig wieder der Bundesrat die Höhe des Umwandlungssatzes bestimmt, und zwar anhand der Lebenserwartung und der wahrscheinlichen Rendite am Kapitalmarkt.
Es sind abgeklärte Forderungen für Jungparteien, und sie stossen damit auch bei Experten auf Zustimmung. «Wir wollen keine Fantasieforderungen stellen», sagt Sarah Bünter, auch mit Blick auf die linken Jungparteien. «Wir wollen ernst genommen werden.»
Durchschnittslöhne und Lohnunterschiede 2018
pw. Das BFS hat die Zahlen zu den Lohnunterschieden zwischen Frauen und Männern für das Jahr 2018 publiziert. Es ist zu erwarten, dass sie in der laufenden Diskussion um die AHV-Revision und die Angleichung der Rentenalter ausgiebig benützt werden. Anzumerken ist, dass auch im öffentlichen Sektor mit seinen ausgefeilten und umfassenden Entlöhungsreglementen ein grosser “unerklärter” Unterschied besteht. Das Konzept der Unerklärbarkeit wäre hier dringend vertieft zu überprüfen. Das BFS benützt internationale Standards, die zu viele Fragen aufwerfen. Auffallend ist, dass das Merkmal “Frauen mit und ohne Kinder” nicht in die Statistik einfliesst. Es gilt als nicht objektiv. Für kinderlose Frauen reduziert sich die Lohndifferenz zu den Männern auf wenige Prozente. Das Bundesamt schreibt in seiner Mitteilung:
Im Jahr 2018 waren in der Gesamtwirtschaft 60,9% der Arbeitnehmenden, deren monatlicher Lohn für eine Vollzeitstelle unter 4000 Franken liegt, Frauen. Umgekehrt waren die Arbeitnehmenden im obersten Segment der Lohnpyramide mit einem Lohn von mehr als 16 000 Franken zu 81,2% Männer. Zwischen 2014 und 2018 haben die Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern leicht zugenommen (privater und öffentlicher Sektor: von 18,1% im Jahr 2014 auf 19,0% im Jahr 2018). Gemäss den Ergebnissen des Bundesamtes für Statistik (BFS) sind 45,4% dieser Lohnunterschiede unerklärt.
Junge Freisinnige und die Altersvorsorge
Mit ihrer Renteninitiative wollen die Jungfreisinnigen die Altersvorsorge nachhaltig sichern. Wie das funktionieren soll, erläutern Patrick Eugster (Präsident Initiativkomitee) und Matthias Müller (Präsident Jungfreisinnige Schweiz) im Interview mit HZ. Auszüge:
Tatsächlich gestalten sich Reformbemühungen in der Altersvorsorge traditionell schwierig. Warum kann sich die Politik bei diesem wichtigen Thema nicht auf zukunftsfähige Lösungen einigen?
Müller: Die fehlgeschlagenen Reformen der vergangenen Jahre haben eines gemeinsam: Sie alle zielten darauf ab, einzelnen Wählergruppen zusätzliche Ansprüche zu gewähren. Zudem mangelte es den bisherigen Massnahmen grundsätzlich an Nachhaltigkeit.
Wo liegen die Gründe dafür?
Eugster: Die Politik ist darauf ausgerichtet, das Interesse von Wählermehrheiten umzusetzen. Leider lässt sich mit diesem kurzfristigen Denken die Altersvorsorge nicht nachhaltig sanieren.
Und das ist bei Ihrer Initiative anders?
Müller: Ja! Mit unserer Initiative wird die Altersvorsorge strukturell saniert. Dafür haben wir drei konkrete Schritte vorgesehen: Wir fordern das Rentenalter 66 für beide Geschlechter und eine anschliessende Kopplung an die Lebenserwartung. Viele westeuropäische Länder tun das übrigens heute schon. Das gesamte System soll so reformiert und entpolitisiert werden, damit unsere Renten nachhaltig gesichert sind.
Junge SVP spannt mit Jungfreisinnigen zusammen
Der Blick berichtet, dass die Junge SVP sich entschlossen hat, die Renteninitiative der Jungfreisinnigen zu unterstützen, dies nach Überwindung einiger Animositäten.
Der Ärger war gross. Eigentlich wollten die bürgerlichen Jungparteien gemeinsam eine breit abgestützte AHV-Initiative lancieren. Den etablierten Parteien trauen sie nicht zu, rechtzeitig eine Rentenreform zur Entlastung der jüngeren Generationen aufzugleisen. Doch: Aller Absprachen zum Trotz preschten die Jungfreisinnigen im letzten Herbst plötzlich vor. Im Alleingang verkündeten sie, die Initiative zu lancieren.
Bei den Jungparteien von SVP, CVP, BDP, EVP und GLP kam das schlecht an. Mit der Initiative wollten sie seither nichts mehr zu tun haben. Die Junge FDP sollte bis im nächsten Sommer alleine die nötigen 100’000 Unterschriften sammeln – eine Herkulesaufgabe.
Nachzügler beim Rentenalter
Die Schweiz gehört zu den letzten fünf OECD-Ländern, die das Rentenalter noch nicht angeglichen haben, schreiben Diego Taboada und Jérôme Cosandey in einem Artikel von Avenir Suisse.
Einige Staaten verlangen den Frauen grosse Anstrengungen ab (vgl. Tabelle). Österreich plant, das Rentenalter zwischen 2024 und 2033 von 60 auf 65 Jahre anzuheben, was einer Erhöhung um mehr als sechs Monate pro Jahr über neun Jahre entspricht. Im Vereinigten Königreich ist die Eintrittsschwelle zwischen 2010 und 2018 von 60 auf 65 Jahre gestiegen, was siebeneinhalb Monaten pro Jahr während acht Jahren entspricht.
Die rasanteste Umstellung war jedoch in Italien zu verzeichnen, wo der Anstieg von 60 auf 67 Jahre innert acht Jahren erfolgte, was zehneinhalb Monaten pro Jahr entspricht. Dieses Tempo dürfte auf demografische Ungleichgewichte zurückzuführen sein, die kritischer sind als anderswo: Der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung ist in diesen Ländern höher als im OECD-Durchschnitt.