Viele Senioren würden gerne über das reguläre Rentenalter hinaus arbeiten – die einen aus finanziellen Gründen, andere, weil sie den sozialen Austausch am Arbeitsplatz schätzen, und wieder andere, weil die Arbeit ihre Passion ist.
Doch Weiterarbeiten ist in der Schweiz derzeit unattraktiv und in einigen Unternehmen gar unerwünscht.
Ein Blick in die Statistik zeigt, die Schweiz verschwendet Potenzial: Die Eidgenossenschaft weist bei den 55- bis 64-Jährigen eine der höchsten Beschäftigungsquoten weltweit aus.
Nur die Menschen in Island, Japan, Schweden und Neuseeland arbeiten noch mehr. Das ist erfreulich. Doch mit der Pensionierung kommt der Wendepunkt. Und plötzlich steht die Schweiz alles andere als vorbildlich da.
Bei der Beschäftigung der über 65-Jährigen liegt die Schweiz unter dem OECD-Durchschnitt. Laut einer Statistik des Staatssekretariats für Wirtschaft aus dem Jahr 2020 sind lediglich 12 Prozent der Personen im Alter von 65 Jahren und älter noch erwerbstätig. In den vergangenen Jahren dürfte sich daran kaum etwas geändert haben.
Der Grund ist offensichtlich: Für viele Senioren lohnt es sich finanziell kaum, weiterzuarbeiten. Der Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger bemängelt, dass sich der Aufschub nur für jene auszahlt, die älter werden als 86 Jahre.
Erst dann ist die Summe aller erhaltenen Renten bei einem Aufschub höher als bei einem regulären Bezug. Die statistische Lebenserwartung von Männern liegt bei 85 Jahren, die von Frauen bei 87 Jahren.
Auch die Alternative ist für Senioren wenig attraktiv: Wer weiterarbeitet, ohne den Rentenbezug aufzuschieben, wird aufgrund der Steuerprogression hoch besteuert. Denn das Arbeitseinkommen und das Renteneinkommen werden addiert.
Egal, für welchen Weg sich jemand entscheidet: Am Ende lohnt es sich finanziell für viele nicht, nach 65 weiterzuarbeiten. Das setzt falsche Anreize. Weiterarbeiten muss attraktiver werden. Einen ersten Schritt in die richtige Richtung gehen zwei Motionen, die zurzeit im Bundeshaus diskutiert werden.
Einerseits soll der AHV-Freibetrag für Personen über 65 angehoben werden. Also jener Betrag, bis zu dem sie keine Zahlungen an die AHV entrichten müssen. Derzeit liegt der Wert bei 16’800 Franken, neu soll er 21’800 Franken betragen. Zudem sollen die Rentenzuschläge erhöht werden, wenn der Rentenbezug aufgeschoben wird.
Dazu kommt, dass der Kürzungssatz bei Frühpensionierungen mindestens beibehalten oder gar erhöht werden soll. Damit bleibt die Flexibilität beim Zeitpunkt für die Pensionierung erhalten, Fehlanreize hingegen werden verringert.
Der Bundesrat hat den Parlamentariern empfohlen, die zweite Motion betreffend den Kürzungssatz bei Frühpensionierung abzulehnen. Elisabeth Baume-Schneider argumentierte, die vorgeschlagene Massnahme sei zu restriktiv und lasse dem Bundesrat zu wenig Spielraum.
Ausserhalb des Bundesrates scheint diese Sorge jedoch kaum vorhanden zu sein. Der Ständerat hat die Motion einstimmig angenommen. Als Nächstes berät der Nationalrat.
Die zwei Motionen lösen jedoch das Problem der Senioren noch nicht. Denn klar ist: Es braucht auch einen Kulturwandel. Viele Arbeitgeber stehen der Weiterbeschäftigung von Personen über 65 zurückhaltend gegenüber.
NZZ / Motion Müller Damian /