Zwei Jungparteien haben massgeblich im Abstimmungskampf mitgemischt: die Jungfreisinnigen und die Jungsolzialisten. Beide haben gewonnen; doch sie liegen in ihren Zielen meilenweit voneinander entfernt. Auf Seite der Jungsozis rebelliert Tamara Funicielle gegen die Mutterpartei. Bei den Freisinnigen lieferte Andri Silberschmidt entscheidende Punkte.
NZZ
NZZ: “PKs müssen sich selber helfen”
Hansueli Schöchli analysiert die unmittelbaren Folgen der Neins zur AV2020 für die Pensionskassen und skizziert erste Ideen für einen teilvariablen Umwandlungssatz:
Zurzeit ist völlig offen, wie lange die politische Blockade in der beruflichen Vorsorge anhalten wird. Aus Kreisen der Abstimmungsgewinner war am Montag eine Idee zu hören, welche den Streit auflösen soll. Demnach würde das Minimum des gesetzlichen Umwandlungssatzes von 6,8 Prozent statt auf 6,0 Prozent zum Beispiel nur auf 6,2 oder 6,3 Prozent fallen; dazu gäbe es aber für Vorsorgeeinrichtungen mit klar ausgewiesenen Problemen eine Ausnahmeklausel mit einer möglichen Senkung um zum Beispiel weitere 0,5 Prozentpunkte – sofern ein unabhängiges Gremium wie etwa die Oberaufsicht der beruflichen Vorsorge dies gutheisst. Man müsse alle Ideen anschauen, sagt dazu die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel. Auf den ersten Blick bezweifle sie allerdings, dass dieser Vorschlag mehr bringe als nur zusätzliche Bürokratie.
Versicherer und AV2020: “Entlastung und neue Schikanen”
Werner Enz geht in der NZZ den Folgen der AV2020 für die Assekuranz nach. Enz schreibt:
Bauchschmerzen bereitet den Lebensversicherern die geplante Verschärfung der Legal Quote. Neu sollen Überschüsse säuberlich so aufgeteilt werden müssen, dass, getrennt in die Prozesse Kosten, Risiko und Sparen, dieselben Gewichtungen erfolgen wie bei der Prämienberechnung. Das tönt fürchterlich kompliziert und ist es auch. Im Prinzip hat sich mit diesem Votum die Linke durchgesetzt, die die verbliebenen sechs Lebensversicherer aus dem Markt drängen möchte. In dasselbe Kapital gehört die Auflage, Tarife für Todesfall- und Invaliditätsleistungen dürften den erwarteten Schaden (wer kennt ihn?) nie um mehr als 100% übersteigen.
Die Lebensversicherer hoffen, es werde bei der Ausformulierung der Verordnung noch Gegensteuer gegeben, wenn die Vorlage denn durchkommt. Abgesehen von der Wettbewerbsverzerrung – unabhängige Sammelstiftungen sind diesbezüglich frei – kommt hinzu, dass diese ideologisch motivierte Feinregulierung die Vollversicherung weiter verteuern würde. Man muss bedenken, dass Lebensversicherer gesprochene Renten in der Laufzeit der Verträge auf den Rappen genau zahlen müssen und mit ihrem Eigenkapital dafür haften; wenn unabhängige Sammeleinrichtungen in Unterdeckung geraten, sind Sanierungen die Folge. Lebensversicherer bemängeln, die Finma sei schon bisher dafür verantwortlich gewesen, bei missbräuchlichen Tarifen zu intervenieren. Es wird somit doppelt und widersprüchlich reguliert.
Berset: “Alle bekommen etwas”
Die NZZ hat Bundesrat Berset zur AV2020 interviewt. Auszug:
Sie verkaufen die Vorlage als «ausgewogenen Kompromiss». Ist das nicht ein schlechter Witz? Die Vorlage bringt für die AHV per saldo sogar noch Mehrausgaben von 1 bis 2 Milliarden Franken pro Jahr, und die Senkung des Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen wird durch die Besitzstandgarantie zu einem grossen Teil gleich wieder ausgehebelt.
Schauen wir die Fakten an. Diese zählen. Gemessen an den Stellungnahmen der massgebenden Parteien und Organisationen in der Vernehmlassung ist es schwierig, die Vorlage nicht als Kompromiss zu sehen. Alle haben etwas bekommen, aber alle müssen auch einen Schritt tun. Die Wirtschaftsvertreter haben den grossen Teil ihrer Wünsche erfüllt bekommen: Rentenalter 65 der Frauen, Senkung des Umwandlungssatzes, Finanzierung der Demografiemehrkosten durch eine leicht höhere Mehrwertsteuer statt Beitragserhöhung, keine Anpassung der Witwenrenten und manches mehr. Die einzige Ausnahme ist die teilweise Kompensation mittels der 70 Franken für Einzelpersonen beziehungsweise maximal 226 Franken für Ehepaare im Monat in der AHV. Diese ist gegenfinanziert und macht 2030 rund 2 Prozent der AHV-Ausgaben aus. Das ist machbar. Eine grosse Minderheit der Wirtschaft akzeptiert dies auch.
Umverteilte Umverteilung
Hansueli Schöchli geht in der NZZ der Frage zur bestehenden Umverteilung in der 2. Säule und den diesbezüglichen Auswirkungen der AV2020 nach. Der Bundesrat beziffert die aktuelle und systemwidrige Umverteilung zwischen den Generationen auf 1,3 Mrd., welche wir als zu gering veranschlagt erachten. Die AV2020 soll sie um 60% reduzieren. Die vom BR benutzten Daten beruhen auf einer von WTW erstellten Studie und sind in diverser Hinsicht in Frage zu stellen. Bezüglich Umverteilung ist die Tatsache von Bedeutung, dass als wenig beachteter Aspekt der Reform künftig Einkäufe in das BVG-Obligatorium möglich sein sollen, was sie angesichts des technisch weit überhöhten künftigen Mindestumwandlungssatzes von 6% sehr attraktiv macht, die Umverteilung gleichzeitig aber wieder verstärkt.
NZZ: “Wenn das Volk Nein sagt”
Hansueli Schöchli behandelt in der NZZ einen besonders neuralgischen Punkt der AV2020:
Das potenziell stärkste Argument für die vorliegende Rentenreform ist auch das unpopulärste: Nach einem Ja könnte die Erhöhung des Rentenalters schneller zum Thema werden als nach einem Nein. Einige Befürworter wie Gegner der Vorlage neigen zu dieser These. Grund: Der vorgesehene Ausbau der AHV-Leistungen verschärfe mittelfristig den Sanierungsdruck, und nach einem Volks-Ja im September könnte man rascher auch politisch «risikoreiche» Reformen aufs Tapet bringen.
Ob das Volk solchen Vorschlägen zustimmen oder weitere Steuer- oder Beitragserhöhungen bevorzugen würde, ist aber eine andere Frage. Zudem gibt es auch eine gegenläufige Sicht, welche eher in linken Voten durchschimmert: Nach einem Volks-Ja in drei Wochen hätte man zunächst etwas Ruhe, und mit weiteren Reformschritten eile es nicht.
In der CVP sieht man dies zum Teil anders. Nationalrätin Ruth Humbel möchte das Rentenalter nach dem Urnengang rasch thematisiert sehen. Im Parlament bereits hängig ist eine Motion des Zuger CVP-Ständerats Peter Hegglin, die eine Koppelung des AHV-Referenzalters an die Lebenserwartung fordert. Hängig ist auch eine Motion der Sozialkommission des Nationalrats, wonach die Minima für Umwandlungssatz und Verzinsung in der zweiten Säule nicht mehr politisch festzulegen wären.
«Reformen in der Altersvorsorge sind gegen die Linke nicht durchzubringen», ist eine namentlich in der CVP gerne vertretene These. Ob sich die CVP künftig in Sachen Rentenalter auch gegen linken Widerstand engagieren würde, liessen Parteiexponenten diese Woche offen.
“Eine Sanierung mit Langzeitschäden”
Helmut Stalder kommentiert in einem Leitartikel der NZZ die AV2020:
Die Reform ist nicht aus der Logik der Vorsorgewerke und nicht aus den Erfordernissen der demografischen Realitäten heraus konstruiert, sondern ein Machwerk aus politischem Kalkül, das mit dem gut getarnten Ausbau der AHV eine zusätzliche Umverteilung von oben nach unten verfolgt und den folgenden Generationen die Hypothek aufbürdet. Soll man trotz allem in einer Abwägung einer solchen Reform zustimmen, weil sie nun mal auf dem Tisch liegt und bei allen Nachteilen einige wichtige Neuerungen bringt wie das höhere Frauenrentenalter, den tieferen Umwandlungssatz und die Flexibilisierung des Altersrücktritts? Soll man dem Argument folgen, besser jetzt eine schiefe Reform, die kurzfristig Luft verschafft, als gar keine Reform?
Das sollte man nicht tun. Mit einem Ja an der Urne würde eine längerfristig untaugliche Reform gebilligt und die Bereitschaft für weitergehende Reformen reduziert. Ein Nein jedoch hält den Handlungsdruck auf Bundesrat und Parlament hoch, rasch Lösungen vorlegen, die den Auftrag für die nachhaltige Stabilisierung beider Vorsorgewerke wirklich einlösen.
“Rettet die Reform die AHV?”
Bringt die geplante Rentenreform mehr Nutzen als Schaden? Die Antwort hängt davon ab, welche Interessen man verfolgt und was die Alternativen sind, schreibt Hansueli Schöchli in der NZZ.
Die Befürworter verkaufen die Vorlage als «ausgewogenen Kompromiss». Unvoreingenommene Beobachter mögen mutmassen, dass in einer «ausgewogenen» Vorlage vielleicht je etwa die Hälfte der Korrektur über Reduktion der Ausgaben und Erhöhung der Einnahmen geschähe. Diese Vorlage sieht aber radikal anders aus: Per saldo nehmen die Ausgaben ab etwa 2026 wegen der geplanten Erhöhung der AHV-Renten trotz Heraufsetzung des Frauenrentenalters sogar noch zu – mit stark steigendem Trend, so dass 2045 die zusätzlichen Jahresausgaben als Folge der Vorlage schon über 2 Milliarden Franken betragen. Die vorgeschlagene Senkung des minimalen Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen wiegt diese Ausgabensteigerungen nicht auf.
Losgelöst von den Sekundärwirkungen der Reform zahlen mehrheitlich die Jüngeren die Zeche für die zusätzlichen Steuern und Lohnbeiträge. Wer zum Beispiel heute 60-jährig ist, zahlt noch etwa 5 Jahre lang AHV-Lohnbeiträge und 25 Jahre lang Mehrwertsteuer. Wer 20-jährig ist, zahlt noch 45 bis 50 Jahre lang Lohnbeiträge und etwa 65 bis 70 Jahre lang Mehrwertsteuer. Die einseitige Verteilung der Kosten der vorliegenden Reform illustriert die obige Grafik.
“Schlechter als keine Reform”
Für Ruth Humbel (CVP) ist die Vorlage zur Altersvorsorge nach 20 Jahren Reformstau besser als keine Reform. Regine Sauter (FDP) sieht sie als Verschlimmbesserung. Zwei Nationalrätinnen im NZZ-Rededuell. Auszug:
Die Rentenreform ist aufgegleist worden mit dem Ziel, die AHV und die berufliche Vorsorge finanziell auf eine solide Grundlage zu stellen und das Leistungsniveau der laufenden und künftigen Renten zu erhalten. Ist das gelungen?
Ruth Humbel: Ja, ganz klar. Für die Rentenbezüger kommt es nicht darauf an, ob sie die Altersrenten aus der ersten oder der zweiten Säule bekommen, sondern was sie insgesamt erhalten. In der Gesamtbetrachtung ist die Reform ein Erfolg: Sie bringt das gleiche Rentenalter für Mann und Frau, die Flexibilisierung des Rentenalters zwischen 62 und 70 und die Senkung des Umwandlungssatzes. Und bei der Zusatzfinanzierung sind es effektiv nur 0,3 Mehrwertsteuerprozente im Jahr 2021, was wirtschafts- und konsumentenverträglich ist. Damit erreichen wir eine Sicherung der AHV bis 2030.
Regine Sauter: Die Rentenreform ist misslungen. Es ist keine Reform, sondern ein riesiges Paket mit vielen Unzulänglichkeiten, unbefriedigend gelösten Punkten und einem grossen Pferdefuss. Das Ziel war es, die Altersvorsorge längerfristig finanziell zu sichern, was nicht gelingt. Bei der AHV gibt es gar einen Leistungsausbau zulasten der nächsten Generation, und das ist verantwortungslos.
NZZ: “Der Schwindel in der Altersvorsorge”
Hansueli Schöchli verweist in der NZZ auf die offenbar noch nicht allgemein erkannte Tatsache, dass man per Gesetz keine Leistungsgarantien abgeben kann, wenn die Leistung von Faktoren abhängt, auf die der Gesetzgeber keinen Einfluss hat. Schöchli schreibt:
Welche Jahresrente sich mit 100 000 Fr. Alterskapital finanzieren lässt, ist vor allem durch zwei Faktoren getrieben: die durchschnittliche Lebenserwartung ab Pensionierung sowie die nominalen Anlagerenditen auf dem Alterskapital. Beides kann die Politik nicht direkt beeinflussen, obwohl Parlament und Bundesrat ständig das Gegenteil suggerieren. Man stelle sich vor, die Politiker schrieben ins Gesetz, dass in jeder Woche mindestens an vier Tagen die Sonne scheinen müsse. Oder dass eins plus eins drei ergeben müsse. Oder dass die Schwerkraft verboten sei. Man kann solche Dinge ins Gesetz schreiben, doch damit werden sie nicht realitätsnäher. Das gilt auch in der Altersvorsorge: Die gesetzliche Festlegung eines minimalen Umwandlungssatzes bringt keine steigenden Anlagerenditen und sorgt auch nicht dafür, dass die Lebenserwartung sinkt statt steigt. (…)
Bezeichnenderweise beschloss die Pensionskasse des Bundes, den Umwandlungssatz in der Gesamtbetrachtung von obligatorischem und überobligatorischem Kapital auf 5,09% zu senken und damit viel weiter zu gehen als die Politik. Über 80% aller BVG-Versicherten sind bei Pensionskassen, die dank überobligatorischem Kapital den Umwandlungssatz insgesamt schon heute auf etwa 5% senken könnten, doch manche Stiftungsräte in Pensionskassen mögen wie Politiker und Stimmbürger Unbequemes lieber hinausschieben.
NZZ: Finanzierung von Startups
Die NZZ gibt einen Überblick über die Situation in der Schweiz bei der Finanzierung von Jungunternehmen. Das ist gerade auch vor dem Hintergrund der vielen hundert Milliarden in der 2. Säule immer wieder ein Thema. Die NZZ gibt ein differenziertes Bild und zeigt auf, dass die Lage weniger problematisch ist, als man aufgrund andauernder Klagen glauben könnte.
NZZ: “Die AHV gerät bald in Schieflage”
Werner Enz zeigt in der NZZ die Mängel der AV2020 auf. Er schreibt:
Schon ab dem Jahr 2027 wird nach den BSV-Projektionen wegen der demografischen Alterung ohne Korrekturen mit einem negativen Umlageergebnis von mehr als einer Milliarde im Jahr zu rechnen sein. Bekanntlich lässt sich die Ausgabenseite ziemlich genau schätzen, weil die Anspruchsberechtigten in der Zahl und mit Jahrgang bekannt sind. Die Babyboomer werden in den späten zwanziger Jahren gehäuft in Rente gehen, was den Quotienten zwischen Aktiven und Rentenbezügern schnell verschlechtern wird.
Ferner prognostiziert das BSV eine Nettozuwanderung von jährlich 60’000 Personen bis 2030 (und danach bis 2035 sinkend auf 45 000), was womöglich zu hoch gegriffen ist. Im ersten Halbjahr sank die Zuwanderung übrigens um 12% auf 25’526 Personen.
Was wird die Rentenreform 2020 für die Wirtschaft an Belastungen mit sich bringen? In Fortschreibung der Trends werden der AHV aus der Mehrwertsteuer-Erhöhung gerundet 2,2 Mrd. Fr. zufliessen. Der 70-Franken-Obolus für alle wird etwa 1,4 Mrd. Fr. absorbieren. Das Streichen des AHV-Freibetrags auf dem Erwerbseinkommen von Rentnern wird ungefähr eine weitere Viertelmilliarde kosten; dabei wollte man doch die Anreize, um länger zu arbeiten und die Rente aufzuschieben, stärken.
Wer gewinnt, wer verliert, wer kommt draus?
Die NZZ hat ein kurzes Video aufgeschaltet, das klären soll, wer wie von der AV2020 profitiert resp. in welcher Weise betroffen ist.
Sehr hilfreich ist das allerdings nicht, weil die Reform rein auf Basis des BVG-Obligatoriums beschrieben wird, aber von den drei beschriebenen Fällen sind zwei Staatsangestellte, also weit vom Obligatorium entfernt.
Aussagen, dass die Rentenhöhe für zwanzig Jahre mit der Reform gesichert seien, sind also krass irreführend. Und auch der Rest sagt für den einzelnen Fall wenig aus, wenn es nicht gleich völlig falsch ist, wie etwa die Aussage, dass der Umwandlungssatz für alle gleich sei.
NZZ: AV2020 erklärt in 19 Begriffen
Die Altersvorsorge in der Schweiz hat ihr ganz eigenes Vokabular. Wer bei der Abstimmung über die Rentenreform 2020 vom 24. September mitreden will, muss das Vorsorge-Chinesisch kennen. Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt.
NZZ: “Start-ups fördern mit Sparguthaben”
Eine Vertreterin der jüngeren Generation und ein Babyboomer, der kurz vor der Pensionierung steht, machen sich in der NZZ Gedanken über die Zukunft des Werkplatzes Schweiz. Mit solch unterschiedlicher Perspektive finden sie sich beide im Engagement für einen «Zukunftsfonds Schweiz»: Das Land solle einen kleinen Teil des Pensionskassen-Sparguthabens für Investitionen in vielversprechende Jungunternehmen nutzen.