Im Urteil 9C_139/2018 hat sich das Bundesgericht dazu geäussert, wie die Pensionskasse die (Obligatoriums)-Leistungen zu berechnen hat, wenn eine versicherte Person wegen Verletzung der Anzeigepflicht keinen Anspruch auf überobligatorische Invaliden-Leistungen hat. Franziska Bur Bürgin berichtet über den Fall im Experten-Blog von Ludwig und Partner.
BGer
BGer: Entscheid gegen Anpassung laufender Renten
Die NZZ berichtet über den Entscheid des Bundesgerichts in Sachen Anpassung laufender Renten gemäss Modell der Pensionskasse von PricewaterhouseCoopers (PwC). Hansueli Schöchli schreibt:
Die Pensionskasse der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) wagte sich 2014 an ein Tabuthema. Die laufenden Renten sollten je nach Finanzlage der Kasse nicht nur erhöht, sondern auch gesenkt werden können. Das Modell sah alle drei Jahre eine Neuberechnung vor. 89% der ursprünglichen Gesamtzahlung galten quasi als fixe Grundrente, der Rest war der Bonusteil. Der einzelne Anpassungsschritt beim Bonusteil konnte in beide Richtungen maximal 2% der ursprünglichen Gesamtzahlung (hier als 100% definiert) ausmachen. Für 2014 bis 2016 war eine Gesamtzahlung von 100% vorgesehen, für 2017 bis 2019 eine solche von knapp 102%. Das Modell sollte mehr Generationengerechtigkeit und finanzielle Nachhaltigkeit ermöglichen. Doch die Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich und in der Folge auch das Bundesverwaltungsgericht haben das Modell nicht akzeptiert, da das Gesetz für Pensionskassen ohne Finanzloch keine Kürzung von laufenden Renten zulasse.
Das Bundesgericht hat nun die Sichtweise der Vorinstanzen gestützt. Die entscheidende Hürde für das Modell der Kasse ist Artikel 65d im Gesetz zur beruflichen Vorsorge. Laut diesem Artikel können Vorsorgeeinrichtungen «während der Dauer einer Unterdeckung» auch laufende Renten kürzen – in dem Umfang, in dem diese Renten in den zehn Vorjahren durch gesetzlich oder reglementarisch nicht vorgeschriebene Massnahmen erhöht worden sind. «Unterdeckung» heisst, dass die versprochenen Leistungen nicht voll durch Kapital gedeckt sind. Die PwC-Pensionskasse hatte aber bei Einführung des Modells kein solches Finanzloch und hat es auch jetzt nicht. Laut Bundesgericht ist der Wortlaut des besagten Gesetzesartikels klar. Der Wille des Gesetzgebers sei auch aus der Entstehungsgeschichte klar. Wenn selbst Pensionskassen in finanzieller Schieflage nur in beschränktem Ausmass die laufenden Renten kürzen dürften – und damit nie unter das Niveau des Anspruchs zum Zeitpunkt des Rentenbeginns kämen –, bleibe «für eine Kürzung der Anfangsrente bei Vorliegen eines weit weniger gewichtigen Sachverhalts (keine Unterdeckung) von vornherein kein Raum».
NZZ / “Gerichtsfall Rentenmodell” / Kommentar Bur-Bürgin
Bger Entscheid zu Retrozessionen
Der Pensionskassenverband befasst sich in der Fachmitteilung 108 mit dem Thema Retrozessionen aufgrund des BGer-Urteils vom 16. Juni. Der Verband hält fest, dass mit dem Urteil 4A_508/2016 das Bundesgericht in 5-er Besetzung endgültig die bisher hochumstrittene Frage der Verjährung von Retrozessionen geklärt hat. Die Verjährungsfrist beträgt neu 10 Jahre. Die Rechenschafts- und Herausgabepflicht des von der Vorsorgeeinrichtung beauftragten Finanzdienstleisters , d.h. der Anspruch der Vorsorgeeinrichtung auf die Herausgabe von Retrozessionen, entsteht mit Eingang der Retrozessionszahlung beim von der Vorsorgeeinrichtung Beauftragten und wird in diesem Moment auch fällig, und nicht erst bei der Beendigung des Auftragsverhältnisses. Vorsorgeeinrichtungen können somit die Retrozessionen und Provisionen, die ein von ihnen beauftragter Finanzdienstleister erhalten hat, für die letzten 10 Jahre zurückverlangen.
Der Verband verweist seine Mitglieder auf ihre Pflicht, die Beiträge einzufordern und empfiehlt ihnen, bei den Verhandlungen hart zu bleiben.
Mitteilung BGer / Artikel NZZaS
Wie lange kann der Arbeitgeber PK-Beiträge beim Arbeitnehmer nachfordern?
Franziska Bur Bürgin (Ludwig und Partner) analysiert ein Urteil des Bundesgerichts und kommt zu kritischen Schlussfolgerungen.
Sachverhalt: Eine Arbeitnehmerin war seit September 2004 mit variablem Pensum beim Arbeitgeber beschäftigt. Versehentlich war sie nicht bei der Pensionskasse (PK) angemeldet worden. Im Jahr 2011 wurde der Fehler entdeckt, und die Frau wurde nachträglich bei der PK gemeldet. Die Kasse forderte beim Arbeitgeber Beiträge nach. Entsprechend wollte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer-Anteil, den er nicht vom Lohn abgezogen hatte, bei der Arbeitnehmerin nachfordern. Diese war damit nicht einverstanden.
Urteil des Bundesgerichts: Während das kantonale Gericht noch davon ausging, dass das Bereicherungsrecht nach Art. 62 ff. OR anwendbar sei, entschied das Bundesgericht, dass sich die Nachforderung der Arbeitnehmerbeiträge nach Art. 66 Abs. 2 BVG richtet und sie daher nach Art. 41 Abs. 2 BVG verjähren. Somit musste die Arbeitnehmerin ihren Anteil an die PK-Beiträge für die letzten 5 Jahre an den Arbeitgeber zurückzahlen. Das Bundesgericht argumentierte, für diese Regelung spreche, dass die Ansprüche der Kasse gegen den Arbeitgeber und die seinigen gegen den Arbeitnehmer gleichgeschaltet seien.
Bur Bürgin: “Ein gefährliches Urteil”
Franziska Bur Bürgin (Ludwig und Partner) kritisiert ein Urteil resp. die Begründung des Bundesgerichts mit Bezug auf einen Kapitalbezug. Bürgin schreibt:
In den Entscheiden 9C_62/2017 und 2C_63/2017 hatte das Bundesgericht die Situation eines Steuerpflichtigen zu beurteilen, der zuerst Geld in Kapitalform aus einer Pensionskasse bezogen hatte und kurz darauf freiwillige Einkäufe in eine andere Pensionskasse tätigte. Das Ergebnis des Entscheids ist nachvollziehbar, schreibt Bur Bürgin, gefährlich seien aber die dazu angestellten Erwägungen resp. die fehlenden bundesgerichtlichen Korrekturen an der Begründung des vorinstanzlichen Urteils.
L’avertissement du Tribunal fédéral aux caisses de pension
PwC zieht Urteil zum Rentenmodell ans Bundesgericht weiter
Die Pensionskasse von PricewaterhouseCoopers (PwC) zieht den Rechtsstreit über ihr Rentenmodell ans Bundesgericht weiter. Das Bundesverwaltungsgericht hatte jüngst entschieden, dass die Pensionskasse keine laufenden Renten kürzen darf, wenn sie noch kein Sanierungsfall ist. Nun wird das oberste Gericht diese rechtlich und sozialpolitisch heikle Frage klären. “Angesichts der Eindeutigkeit des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts dürfte es für die Pensionskasse nicht einfach werden, beim Bundesgericht Gehör zu finden”, meint dazu die NZZ.
pw. Es ist der PwC resp. ihrer Pensionskasse hoch anzurechnen, dass sie den nicht ausgesprochen erfolgversprechenden Fall an das Bundesgericht weiter zieht. Denn die heutige gesetzliche Regelung mit Rentengarantie entwickelt sich angesichts der Langfristigkeit der Rentenverpflichtungen sowie der hohen Volatilität der Kapitalmärkte zunehmend zum Risiko für die Kassen und damit für ihre Versicherten.
Festzuhalten bleibt, dass die Einführung des PwC-Modells mit Zustimmung der Rentner erfolgte und dieses relativ geringe jährliche Schwankungen der Renten (2%) mit einer unteren Limite vorsieht. Die kasseninterne Solidarität wird damit nicht ausgehebelt und die Umverteilungen nicht vollends beseitigt, aber wenigstens eingeschränkt.
Nachdem die SBB ihr vergleichbares Modell wegen irreführender Gewerkschafts- und Medien-Kampagnen sowie auf Druck der Bundesverwaltung zurückziehen musste, besteht zumindest die Hoffnung, dass das Bundesgericht in seiner Urteilsbegründung die Gefahren und Mängel der heutigen Regelung erwähnt. Womit ein Anstoss in Richtung einer Revision der bestehenden gesetzlichen Vorschriften gegeben wäre.
Übrigens hätten die PwC-Rentner wohl nicht unbedingt Freude an einer Bestätigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts, nachdem mit dem laufenden Jahr das Rentenniveau dank der Flexibilisierung auf über 100% gestiegen ist und sie deswegen den überschiessenden Teil allenfalls wieder zurückerstatten müssten.
Urteil Bundesverwaltungsgericht
BGer: Haftung von Stiftungsräten, betreffend Vermögensanlage
Franziska Bürgin, BVG-Anwältin bei Ludwig & Partner, orientiert auf ihrem Blog über den Entscheid 9C_752/2015 vom 28. Dezember 2016 des Bundesgerichts über Haftung von Stiftungsräten, Revisionsstelle und Anlageberater betreffend Vermögensanlage. Bürgin hält dazu fest: “Das Bundesgericht hat erneut zur Haftung von Organen – dieses Mal im Hinblick auf die Vermögensanlage Stellung genommen. Der Sachverhalt lässt erkennen, dass es um die Sammelstiftung PROVITAS geht, die (u.a. mit Vermögensanlagen bei Dieter Behring) insgesamt rund CHF 50 Mio. verloren hatte. Was das Bundesgericht zur Arbeit der Vorinstanz sagt, ist nicht schmeichelhaft. Weiter hält sie u.a. fest:
Die Vorinstanz habe es ferner nicht verstanden, die Schwankungsreserven als wesentliches Element der Risikofähigkeit in Relation zum Aktienengagement zu setzen. Sie habe einzelne für die Beurteilung der Risikofähigkeit relevante Parameter zwar isoliert betrachtet, aber nicht der Gesamtsituation Rechnung getragen.
Die Vorinstanz habe sodann nicht beachtet, dass die Sammelstiftung extrem stark wuchs und ihren Bestand z.B. von 1998 auf 1999 verdoppelte. Dies war laut Bundesgericht ein gewichtiger Risikofaktor, da Neueintretende sich in die Wertschwankungsreserven nicht einkaufen mussten, sondern diese laufend verwässerten. Unter Berücksichtigung all dieser Elemente qualifiziert das Bundesgericht bereits den Aktienanteil von 23%, den die Sammelstiftung im Jahr 1999 hatte, als „grenzwertig hoch“. Es sei damals schon hinreichend bekannt gewesen, dass Investitionen in risikoreiche Anlagen wie Aktien nur zulässig seien, wenn ausreichend Wertschwankungsreserven bestünden.
BGer: Provitas Stiftungsrat ging zu hohe Risiken ein
Der Stiftungsrat der aufgelösten BVG-Sammelstiftung Provitas ist unzulässige Risiken mit den Vorsorgegeldern der Versicherten eingegangen. Das Bundesgericht hat eine entsprechende Beschwerde des Sicherheitsfonds teilweise gutgeheissen, wie Vorsorge Aktuell schreibt. Rund 50 Mio. Franken umfassten die ausbezahlten Beträge des Sicherheitsfonds. Von den vier Stiftungsräten fordert der Sicherheitsfonds in solidarischer Haftung rund 10 Mio. Franken zurück.
Das Bundesgericht hält hinsichtlich des Vorgehens der vier Stiftungsräte der Provitas fest, dass diese bei ihrer Anlagestrategie ein viel zu hohes Risiko eingegangen seien. Das Bundesgericht hat den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich aufgehoben, welches das Begehren des Sicherheitsfonds im September 2015 abwies. Das Zürcher Gericht muss nun nochmals über die Bücher und ein neues Urteil fällen. (Urteil 9C_752/2015 vom 28. Dezember 2016).