Claude Chatelain, gemäss Cash studierter Ökonom und langjähriger Wirtschaftsjournalist (aka Gopfried Stutz), erläutert am Beispiel seines verstorbenen Schwiegervaters, was denn nun wirklicher Rentenklau sei. Nein, nicht der Griff in die Konten der jungen Versicherten, sondern die Anpassung der Renten an die Realitäten des Kapitalmarkts.
Blick
Auf dem Weg zur Volkspension?
Claude Chatelain alias Gopfried Stutz kommentiert im Blick die Folgen des “Kuhhandels” auf AHV und BVG:
Es ist wenig wahrscheinlich, dass diese (AHV-) Revision bald in Kraft treten könnte. Ursache der Verzögerung ist der Kuhhandel, welcher in der laufenden Herbstsession von den Räten abgewickelt wird. Danach soll die AHV jährlich zusätzliche 2,1 Milliarden Franken erhalten; finanziert mehrheitlich mit Lohnbeiträgen von 0,3 Prozentpunkten, die je hälftig Arbeitnehmern und Arbeitgebern belastet werden.
Damit gibt’s für die AHV mehr Geld, ohne dass auf der anderen Seite etwas eingespart wird. Für die Linken das Goal des Jahres. Eine Anpassung des Frauenrentenalters ist damit für mehrere Jahre vom Tisch. Noch offen ist, ob gegen den Kuhhandel das Referendum zustande kommt, sodass wir Stimmbürgerinnen und Stimmbürger dazu auch noch etwas sagen dürfen.
Noch schlimmer dran ist die berufliche Vorsorge, obschon der Sanierungsbedarf der 2. Säule mindestens so dringend ist wie bei der AHV. Bundesrat Alain Berset gab den Sozialpartnern ein Jahr Zeit, um einen Kompromiss auszuhandeln. Hier ginge es darum, den Umwandlungssatz zu senken und die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zu erhöhen. Für die Arbeitgeberseite ist das eine bittere Pille, wenn nun wegen des Kuhhandels die Lohnnebenkosten bereits für die AHV erhöht werden sollen.
Auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sind die Gewerkschaften kaum zu Konzessionen bereit – auch dies wegen des Kuhhandels. Mit der Zusatzfinanzierung von 2,1 Milliarden für die AHV haben sie, was sie wollen. Ihnen liegt die AHV am Herzen und nicht die berufliche Vorsorge, mit der auch börsenkotierte Konzerne Geld verdienen.
Böse Zungen behaupten sogar, die Linke wolle die 2. Säule zerstören und damit den Beweis haben, dass das System nicht funktioniere. Bester Nährboden, um ein altes Anliegen aufzufrischen und eine Initiative zur Schaffung einer Volkspension zu lancieren.
Stimmen zum BVG-Mindestzins
Die Empfehlung der BVG-Kommission für eine erneute Senkung der Mindestverzinsung hat in den Medien breites Echo gefunden. Im Tagesanzeiger heisst es:
«Diese Senkung ist uns nicht leichtgefallen», sagt Christine Egerszegi, Präsidentin der BVG-Kommission und frühere FDP-Ständerätin. Aber man müsse den Satz den Realitäten anpassen. Und die zeigen: Der durchschnittliche Zinssatz fällt auf absehbare Zeit. Die Kommission orientiert sich bei ihrer Empfehlung vor allem am Zinssatz der 10-jährigen Bundesobligationen und berücksichtigt daneben die Renditen von Aktien, Anleihen und Liegenschaften. Hätte sie sich wie bis anhin an den 7-jährigen Bundesobligationen orientiert, hätte sie den Mindestzinssatz noch stärker, auf 0,38 Prozent, senken müssen.
Um den Mindestzinssatz wurde in der Kommission hart gerungen. Manche Mitglieder wollten ihn auf 0,25 Prozent senken (der Schweizerische Versicherungsverband), andere auf 1,25 Prozent erhöhen (Gewerkschaften). Nach Meinung von Adrian Wüthrich, Präsident von Travailsuisse und SP-Nationalrat, berücksichtigt die Kommission die in der Regel höheren Erträge aus Aktien, Anleihen und Immobilien zu wenig, weshalb eine Erhöhung zu verantworten gewesen wäre. Die Arbeitgeber hingegen hätten den Satz auf 0,5 Prozent gesenkt. (..)
Auch Christine Egerszegi findet, dass der Mindestzinssatz mit 0,75 Prozent sehr tief ist. Aber: Damit ihn eine Pensionskasse ausrichten kann, muss sie eine Rendite von 2,38 Prozent erzielen, denn sie muss auch Verwaltungskosten bezahlen und Reserven äufnen. Die Kommission hat sich laut Egerszegi an den schwächsten Kassen orientiert. Könnten sie die Guthaben nicht genügend verzinsen, führe dies zu einer Umverteilung von Erwerbstätigen zu Pensionierten. Kassen aber, die es sich leisten könnten, könnten die Guthaben auch viel höher verzinsen.
Im Blick schreibt Sermin Faki:
Dass die Kommission erneut die Senkung des Mindestzinssatzes empfiehlt, liegt an den tiefen Zinsen: Mit Bundesobligationen und anderen Anlagen verdienen die Pensionskassen kaum mehr Geld. Vor diesem Hintergrund findet der Schweizerische Versicherungsverband den vorgeschlagenen Mindestzinssatz von 0,75 Prozent noch zu hoch. Er fordert 0,25 Prozent.
Die Gewerkschaften reagieren ebenfalls empört – allerdings, weil sie einen Rentenklau orten: Die Pensionskassen hätten im Durchschnitt der letzten sechs Jahre eine Performance von 5,5 Prozent erzielt, rechnet Daniel Lampart (49), Chefökonom des Gewerkschaftsbunds (SGB) vor. Dass das Kapital im Obligatorium nur so wenig abwerfen soll, sei ein Skandal.
Der Stv. Chefredaktor Schätti raisoniert:
Mit ihrem Vorschlag von 0,75 Prozent liegt die Expertenkommission des Bundes deshalb ebenso richtig wie mit dem Entscheid, Aktien stärker zu gewichten. Es ist der Job der Stiftungsräte, dafür zu sorgen, dass gesunde Kassen ihren Versicherten deutlich mehr als das Minimum zahlen. Gleichzeitig ist der Satz auch für jene Kassen verkraftbar, die nur beschränkt Risiken eingehen können.
Kontroverse um EL-Entscheide des Nationalrats
Die Kosten für die Ergänzungsleistungen haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt und wachsen weiterhin rasant. Es muss also etwas getan werden. Entweder das bleibt wirkungslos oder es tut weh. Der Nationalrat hatte den Mut, weh zu tun und entsprechend sind die Einschätzungen der Sozialpartner und die Medienkommentare.
Die ersten Entscheide des Rats:
• Der Kapitalbezug bei Pensionierung bleibt in der obligatorischen beruflichen Vorsorge möglich. Wer das Kapital aber bezieht und verbraucht, dessen EL wird um 10 Prozent gekürzt. Der Kapitalbezug für Wohneigentum und Selbstständigkeit wird nicht angetastet.
• Das Maximum der anrechenbaren Mieten wird nur für Städte um 100 auf 1200 Franken erhöht. Kantone können diese Höchstbeträge um bis zu 10 Prozent kürzen.
• Die Beiträge für Kinder werden teilweise gesenkt.
• Es wird eine Vermögensgrenze von 100’000 Franken eingeführt (Ehepaare 200’000 Franken): Wer mehr Vermögen hat, erhält keine EL. Für Wohneigentum gibt es eine Sonderlösung.
• Wer AHV-, IV oder Hinterlassenenrenten bezieht und sein Vermögen ohne wichtigen Grund rasch verbraucht, muss Kürzungen bei der EL gewärtigen.
• Ältere Arbeitslose sollen ihre Pensionskassenguthaben bei der Pensionskasse des bisherigen Arbeitgebers belassen und später dort verrenten lassen können.
Der Arbeitgeberverband schreibt:
Der Nationalrat hat in seiner Beratung der Reform der Ergänzungsleistungen (EL) gegenüber dem Ständerat wichtige Korrekturen vorgenommen. Zum einen will er eine Vermögensschwelle für den EL-Bezug einführen. Damit wird verhindert, dass Personen mit Vermögen die Behörden zunehmend administrativ belasten und unnötig EL beziehen. Zum anderen will die grosse Kammer die Vermögensfreibeträge im Vergleich zum Ständerat tiefer ansetzen, indem er auf das bis 2010 geltende Niveau zurückgeht. Damit sollen die Leistungen gezielter jenen zugutekommen, die wirklich darauf angewiesen sind. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) unterstützt diesen Ansatz.
Reiche Swissair-Rentner
Der Blick schreibt zur formidablen Verfassung der Rentnerkasse der gegroundeten Swissair:
Während andere Pensionskassen strampeln, schwimmt die der ehemaligen Swissair im Geld, die Rentner erhalten immer höhere Ausschüttungen. Damit werden die ehemaligen Angestellten der Fluggesellschaft, die 2001 das Grounding erlebte, finanziell auf Rosen gebettet. Es war die bedeutendste Firmenpleite der Schweiz.
Rund zehn Milliarden Franken mussten die 10’000 Gläubiger der Swissair abschreiben. Zudem hatten 63’000 Aktionäre des bankrotten Unternehmens ihren Einsatz an der Börse verloren. Darunter waren neben dem Bund und den Kantonen auch viele Kleinaktionäre und ihre Pensionskassen.
Während damals viele Beteiligte ihr Geld verloren, erhalten jetzt die Rentner der Allgemeinen Pensionskasse der SAirGroup (APK) Extrazahlungen: Im Juni 2017 bekamen sie zusätzlich zur normalen Jahresrente bis zu 16’450 Franken ausbezahlt. Im Jahr zuvor gab es einen Zusatzbatzen von maximal 7050 Franken. Das ist den Jahresberichten der APK zu entnehmen.
Der Grund für die Extrazahlungen: Die APK muss schauen, dass ihre letzten Rentner nicht alle zu Multimillionären werden, denn die Pensionskasse ist dermassen gut mit Kapital ausgestattet. Wenn weiter nur die regulären Renten ausgeschüttet würden, bliebe am Schluss für den letzten Überlebenden der Pensionskasse ein Vermögen von rund 400 Millionen Franken.
“Ebiker Mall schreckt Mieter ab”
In den grossen Städten rennen Interessenten den Vermietern die Bude ein. Auf dem Land hingegen bleiben die Bauherren immer öfter auf Wohnungen sitzen, schreibt der Blick und geht konkret auf die Vermietungssituation bei der neuen Shoppingmall in Ebikon ein.
Vor anderthalb Monaten wurde das zweitgrösste Einkaufscenter des Landes in Ebikon LU eröffnet – gleichzeitig mit «Ebisquare», einem Wohnkomplex mit 191 Wohnungen; Projektleitung: die Migros-Pensionskasse (MPK).
Nur die Hälfte aller Wohnungen dort sind bewohnt, wie SonntagsBlick erfahren hat. Eine Geistersiedlung neben dem Prestigeprojekt! Christoph Ryter, Geschäftsführer der Migros-Pensionskasse, bestätigt: «Zurzeit sind 104 Wohnungen vermietet.» Das sind 55 Prozent des Angebots. Von einem Flop will er aber nicht sprechen. «Mit unserem Projekt sind 191 Wohnungen neu auf den Markt gekommen. Das entspricht mehr als dem doppelten einer normalen Jahresproduktion von neuen Mietwohnungen in Ebikon.»
AHV-Fonds rechnet mit 6% Rendite
Der Blick hat Compenswiss-Präsident Manuel Leuthold zum Anlageerfolg des AHV-Fonds befragt. Auszüge:
Im laufenden Jahr sind wir gut unterwegs, oder?
Ja, Stand heute haben wir in diesem Jahr eine Rendite von knapp sechs Prozent erzielt. Wir können also das Defizit 2017 überkompensieren.
Was heisst das?
Wir müssen mehr Renten zahlen, als wir als Beiträge erhalten. Das Defizit der Umlage betrug schon letztes Jahr über 750 Millionen. Dank der Rendite, die wir auf dem Finanzmarkt erzielten, können wir das Defizit 2017 dieses Jahr, wie schon im letzten, mehr als ausgleichen.
Also können wir doch Entwarnung geben.
Nein! Erstens können wir nicht alle Jahre mit dieser Rendite rechnen. Und zweitens nehmen die Ausgaben wegen der Alterung von Jahr zu Jahr stärker zu als die Einnahmen. Das Defizit wird immer grösser. Schon nächstes Jahr kann es ganz anders aussehen.
Was müsste passieren, damit die AHV wieder ins Lot kommt?
Wenn eine Organisation laufend Defizite macht, muss man die Einnahmen erhöhen oder die Ausgaben kürzen – oder eine Kombination davon.
Welche Massnahmen bevorzugen Sie?
Das muss die Politik entscheiden. Für mich ist die Planungssicherheit am wichtigsten. Denn so können wir eine bessere Rendite erzielen.
Blick: “Sammelstiftungen kommen ins Trudeln”
Moritz Kaufmann befasst sich im Blick mit den Folgen des Neins zur AV2020 für die Sammelstiftungen. Dazu heisst es:
Umwandlungssätze von über sechs Prozent sind Standard – obwohl sich die kaum noch eine Kasse leisten kann. Eigentlich hätten die Sammelstiftungen längst Senkungsschritte einleiten sollen. Doch sie haben sich verzockt. «Die Sammelstiftungen haben gepokert: Sie gingen davon aus, dass die Rentenreform angenommen wird», sagt Stefan Thurnherr (VZ): «Im Zuge dieser Anpassung hätten sie eine Senkung rechtfertigen können. Jetzt kommen sie unter Druck. Das geben Kassenverantwortliche selber zu.»
Wer glaubt, dass nur eine Minderheit der Arbeitnehmer bei Sammelstiftungen angeschlossen ist, irrt! Immer weniger Firmen wollen eine eigene Pensionskasse betreiben und schliessen sich einer Sammelstiftung an. Laut der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK) kommen 2,4 Millionen Arbeitnehmer bei Sammelstiftungen unter – das sind 60 Prozent der werktätigen Bevölkerung!
Immerhin: Die Gemini-Sammelstiftung hat angekündigt, den Umwandlungssatz zu senken. Schrittweise auf 5,6 Prozent im Jahr 2022. «Da die Sammelstiftungen dem Wettbewerb ausgesetzt sind, versucht man Senkungen möglichst hinauszuschieben», räumt die Pensionskasse ein. Andere Sammelstiftungen würden aber folgen, ist man bei Gemini überzeugt.
Die Sammelstiftung Asga, der 12’000 KMU und über 100’000 Versicherte angeschlossen sind, bietet nach wie vor 6,3 Prozent. Dies könne man sich leisten: «Wir wachsen und haben ein gutes Aktiven-Rentner-Verhältnis», heisst es. Doch auch die Asga sieht ein: «Massnahmen sind notwendig. Ein zu hoher Umwandlungssatz ist ein Systemrisiko.»
Forderung nach Stärkung der 3. Säule
Der Blick berichtet über die Vorschläge des Vereins Vorsorge Schweiz zum Ausbau der Säule 3a.
Der Verein Vorsorge Schweiz (VVS), in dem zahlreiche 3a-Vorsorge- und Freizügigkeitsstiftungen vertreten sind, legt ein eigenes Reformkonzept vor. Nicht unerwartet rückt sie dabei eine Stärkung der 3. Säule und damit der freiwilligen privaten Vorsorge in den Fokus. Speziell ist aber: Gleichzeitig soll die AHV klar gestärkt werden. Eine Reform der zweiten Säule hingegen lässt der Verein aussen vor.
«Dringender Handlungsbedarf besteht bei der AHV», erklärt VVS-Vorstandsmitglied Werner Hertzog (58), Direktor der Berner Pensionskassen. «In der zweiten Säule ist das Problem nicht wahnsinnig dringend – da haben die meisten Kassen ihre Hausaufgaben gemacht.»
Umso interessanter sei daher der Fokus auf die 3. Säule, ergänzt VVS-Generalsekretär Emmanuel Ullmann (37). «Wir stärken damit die Eigenverantwortung.» Die 3. Säule ist durchaus beliebt: 3,7 Millionen3a-Konti gibt es in der Schweiz. 56 Prozent der Bevölkerung verfügen über eines.
Der Nationalrat hat wenig zu sagen
Der Blick analysiert das Kräfteverhältnis zwischen National- und Ständerat. Dort Rechts-, hier Linksblock. Zum Schluss sitzt der Ständerat am längeren Hebel. Wie sich bei der AV2020 krass zeigte.
Geht es weiter wie in den letzten zwei Jahren, wird der Knatsch-Rekord aus der Legislatur 2007–2011 mit 30 Einigungskonferenzen mindestens egalisiert. In allen Legislaturen zuvor waren es weitaus weniger (siehe Grafik). «Die Fronten haben sich verhärtet », bestätigt der erfahrene CVP-Ständerat Konrad Graber (59). Heute werde weniger nach einem Konsens gesucht, selbst wegen Details komme es zu Einigungskonferenzen.
Dies sagt auch ein langjähriger Vertreter des Nationalrats, Christian Wasserfallen (36, FDP): «Beide Räte haben eine härtere Gangart eingelegt. » Zum grossen Zoff kommt es meist, wenn es FDP und SVP nicht gelingt, die CVP ins Boot zu holen. Zwar können sich die beiden Parteien rechts der Mitte im Nationalrat alleine durchsetzen. Denn seit den Wahlen 2015 haben sie 101 Sitze in der 200-köpfigen Kammer. Im Ständerat hingegen haben FDP und SVP mit 19 von 46 Sitzen wenig zu melden. Im Stöckli dominiert Mitte-links!SP, Grüne und CVP können mit 26 Sitzen einem Geschäft locker ihren Stempel aufdrücken. Und das tun sie, wie die grosse Anzahl der Einigungskonferenzen beweist. Doch nicht nur das: Geht es hart auf hart, hat die Kleine Kammer die besseren Karten. Denn der dortige Mittelinks- Block ist stärker als der Rechtsblock im Nationalrat. Nur gerade drei Mal führte das Nachsitzen zu einem echten Kompromiss. In acht der bisher 15 Einigungskonferenzen liess der Ständerat hingegen seine Muskeln spielen und setzte sich durch. Nur gerade vier Nationalratsvorschläge überlebten die Endausmarchung.
Prominentestes Beispiel für die Ständerats-Dominanz ist die Rentenreform. Hier beharrten die Kantonsvertreter eisern auf den 70 Franken AHV-Zustupf. Gebracht hat es nichts: Das Stimmvolk versenkte die Vorlage vor zehn Tagen. Dasselbe Bild zeigte sich bei der Frauenquote in Unternehmen: Die Grosse Kammer wollte diese verschieben, die Kleine gewann das Seilziehen und beauftragte den Bundesrat, das Aktienrecht entsprechend anzupassen.
Die Macht des Ständerats zeigt sich jedoch nicht nur in Einigungskonferenzen. Sie entfaltet schon vorher eine psychologische Wirkung: «Der Nationalrat ist wegen der Stärke des Ständerats zu einem Weicheier-Verband mutiert, der zu schnell nachgibt», ärgert sich Ulrich Giezendanner (63, SVP). «Wie der Bundesrat in Brüssel, der vor Beginn der Verhandlungen schon mal Danke sagt.»
«Wir hätten Alternativen zu den 70 Franken prüfen müssen»
Im SonntagsBlick gibt CVP-Fraktionschef Gerhard Pfister Auskunft über seine Sicht der Dinge nach der AV2020-Abstimmung.
Herr Pfister, vor einer Woche scheiterte die Reform der Altersvorsorge an der Urne. Wo steht die bürgerliche CVP beim nächsten Anlauf – wieder an der Seite der Linken?
Wir dürfen nicht zu schnell sein und sagen: Das machen wir ohne die Linken! Ideal wäre es, wenn auch die Linken mehrheitlich hinter einer neuen Vorlage stehen könnten. Wichtig ist jetzt, dass zuerst FDP und CVP schauen: Was ist unser gemeinsamer Nenner? Dann können wir überlegen, wie wir nach Möglichkeit die anderen Parteien mitnehmen.
Sie haben die FDP vor kurzem als «kalt» bezeichnet …
Abstimmungskämpfe sind hart, aber wenn die Entscheidung gefallen ist, muss man wieder aufeinander zugehen. Die Tonalität hat sich bereits gewandelt.
Wie konnte überhaupt eine Reform scheitern, für die Sie gemeinsam mit der Linken kämpften?
Eine Vorlage, die im Parlament so knapp durchkam und bei der die Fronten derart verhärtet sind, steht an der Urne unter schwierigen Vorzeichen.
Ihre Gegner kritisierten, das Ja-Lager wolle keine Kompromisse eingehen.
Beide Seiten waren ziemlich kompromisslos. Die Gegner haben es uns schwer gemacht, sie wollten von einem sozialen Ausgleich nichts wissen.
Was heisst das für eine kommende Reform?
Mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse muss es unser Ziel sein, mindestens drei Bundesratsparteien auf einen Vorschlag zu verpflichten. Sonst wird es wieder knapp.
Und inhaltlich?
Die CVP setzt sich weiter dafür ein, dass das Frauenrentenalter nur dann auf 65 steigt, wenn dies in irgendeiner Art kompensiert wird. Wir dachten, eine Erhöhung der AHV könnte dieser Ausgleich sein. Aber die ist jetzt vom Tisch.
Also gibt es mit Ihnen keinen AHV-Ausbau mehr?
Für uns war es nie ein Ausbau, sondern eine Kompensation für die Ausfälle bei den Pensionskassen. Wenn wir die AHV isoliert sanieren – und danach sieht es aus –, wird man sie nicht ausbauen können.
Wie sehen Sie eine gemeinsame Reform der ersten und zweiten Säule?
Die Reform der AHV ist dringlicher als die der zweiten Säule. Dort herrscht auch grössere Einigkeit: Das Volk hat eine Verbindung abgelehnt. Dennoch sollten beide Pfeiler zeitgleich angegangen werden. Nur so weiss jeder Stimmbürger, wie hoch seine Rente insgesamt ausfallen wird.
Ihre persönlichen Lehren aus der Niederlage?
Unsere Partei darf sich nicht zu früh festlegen. Die Dinge ändern sich.
Wie meinen Sie das?
Die Rentenreform war noch ein Geschäft der Legislatur vor den Wahlen 2015, die den Nationalrat nach rechts rückten. Wir haben dem zu wenig Rechnung getragen. Wir hätten Alternativen zu den 70 Franken vertiefter prüfen müssen. Wir hätten darüber verhandeln müssen, als klar wurde, dass das rechte Lager – gestärkt durch den Wahlsieg – diesen Ausbau der AHV nicht will. Künftig müssen wir länger kompromissbereit sein.
Sozialpolitik rückt in den Mittelpunkt
Der “Blick” geht den personellen Verschiebungen in der Schweizer Sozialpolitik nach. Sie zeigen sich an der nochmals gewachsenen Bedeutung der Sozialkommission (SGK). Nico Menzato schreibt:
Nun nehmen womöglich zwei der lautesten Streithähne der AHV-Schlacht in der Kommission Einsitz: der unterlegene CVP-Chef Gerhard Pfister (54) und die grosse Siegerin, FDP-Chefin Petra Gössi (41). Die beiden waren die Hauptdarsteller im Abstimmungskampf und warfen sich gegenseitig auf allen Kanälen vor, kein verlässlicher Partner zu sein.
Der CVP-Fraktionsvorstand hat gestern die Neuauflage der Altersreform zur Chefsache erklärt: Präsident Pfister wird Sozialpolitiker und nimmt ab sofort in der SGK Einsitz, wie er BLICK sagt. Gesundheit und Soziales habe für die CVP grosse Priorität. «Ich möchte eine neue AHV-Reform aktiv mitgestalten.»
Weil die SP eine bürgerliche Vorlage wohl bekämpfen werde, «liegt es an uns, FDP und SVP einen sozialen Ausgleich abzuringen, damit das Rentenniveau nicht sinkt», so der Zuger weiter. Klar ist aber auch: Mit dem Einzug des rechten CVPlers Pfister wird ein Schulterschluss der bürgerlichen Parteien in der Altersvorsorge wahrscheinlicher.
Die CVP muss niemanden aus der Kommission werfen, um Platz für ihren Chef zu schaffen. Das derzeitige Mitglied, Maja Ingold (69, EVP), die zur CVP-Fraktion gehört, tritt als Nationalrätin ab. Ihr Nachfolger Nik Gugger (47, EVP) erbt Pfisters Sitz in der Aussenpolitischen Kommission.
Und die FDP? Wer krallt sich den frei gewordenen SGK-Sitz von Neo-Bundesrat Ignazio Cassis (56)? Die logische Wahl fiele auf Petra Gössi, das Gesicht der Nein-Kampagne.
Der Entscheid falle erst im Dezember, sagt diese. Die FDP befragt derzeit alle Nationalräte, «um die Sitzverteilung optimal zu gestalten». Aus politischen Überlegungen gebe es aber keinen Grund für einen Wechsel in die SGK, so Gössi weiter. «Unsere Politik in dieser Kommission wurde durch den Volksentscheid vom Sonntag gestützt.»
Hubacher: “Am Zückerchen gescheitert”
Der Blick hat den Altlinken Helmut Hubacher zur Abstimmung befragt:
Die Altersvorsorge ist eines der Kernthemen der SP, ausgerechnet hier vertraut das Volk der Linken nicht. Was machen Ihre Genossen falsch?
Helmut Hubacher: Ich bin sehr enttäuscht. Aber das Nein zu dieser Reform ist kein linkes Versagen. Auch die FDP hat 2004 mit Bundesrat Couchepin und 2010 mit Burkhalter ein Nein kassiert. Diese Vorlage ist vom Volk wegen des AHV-Ausbaus nicht goutiert worden, sie ist am «Zückerchen 70 Franken» gescheitert. Diese Rentenerhöhung hatte Alain Berset in der ursprünglichen Vorlage nicht drin. Das Abstimmungsergebnis erinnert mich an das Nein des Volkes zu einer Woche mehr Ferien. Die Schweizer Mentalität lehnt sogar Geschenke ab. Im Ausland versteht man das nicht.
Ist das Abstimmungsresultat nicht auch ein Nein zum Frauenrentenalter 65?
Das hat sicher eine Rolle gespielt. Man vergisst oft, dass 1948 das Rentenalter 65 für Mann und Frau entschieden wurde. Die Frau war damals aber als Anhängsel des Mannes in der Altersvorsorge sehr benachteiligt, darum hat Bundesrat Tschudi das Rentenalter für Frauen reduziert. Heute leben wir aber alle länger, und das kostet – ich bin mit 91 ja das beste Beispiel.
Hat Bundesrat Berset zu viel gewollt, indem er die AHV und die Pensionskasse als Paket reformieren wollte?
Das muss man erst noch genau analysieren. Ich nehme zur Kenntnis, dass auch die SVP die Renten nicht kürzen will. Sicher ist: Die AHV braucht jetzt dringend Geld. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt spricht jetzt schon von Rentenalter 67, das hat niemals Chancen beim Volk! Unsere Wirtschaft ist nicht bereit, Leute ab 55 anzustellen, und Vogt will eine Erhöhung des Rentenalters – das ist doch absurd. Die Schweiz ist eines der reichsten Länder, da werden wir doch – gopfertori! – unsere AHV finanzieren können.
Blick: “Das grosse Renten-Duell”
Im Sonntags-Blick sind Albert Rösti (SVP) und Christian Levrat (SP) zum Thema AV2020 gegeneinander angetreten. Auszug:
SonntagsBlick: Im Abstimmungskampf um die Rentenreform dreht sich gerade alles um ein Thema: die Jungen. Warum sorgen Sie sich um die Jungen, Herr Rösti?
Albert Rösti: Weil wir die Jungen mit dieser Vorlage verraten. Wir wollen die AHVretten. Doch mit der heutigen Lösung tut man das ganz sicher nicht, im Gegenteil: Der 70-Franken-Zuschlag ist ein Leistungsausbau, der ein Riesenloch in die AHV-Kassen reisst. Bereits in gut 15 Jahren haben wir wieder ein Minus von sieben Milliarden Franken. Diese Vorlage gefährdet den Generationenvertrag.
Christian Levrat: Von wegen! Die Altersvorsorge 2020 stärkt den Generationenvertrag. Wir sichern die Renten für die Babyboomer-Generation, so bleibt das System für alle stabil – Alt und Jung. Und das ist entscheidend. Mit ihrer Kampagne hingegen versuchen die Gegner, Jung und Alt gegeneinander auszuspielen. Sie setzen auf Neid und Aggressivität zwischen den Generationen. Das halte ich für einen gefährlichen Fehler.
Rösti: Wenn jemand das Klima angeheizt hat, dann ist es wohl Bundesrat Berset! Er sagte den Jungen: Wenn ihr jetzt nicht zustimmt, gibts irgendwann nichts mehr. Das Gegenteil ist der Fall.
War die Drohung Bersets ein Fehler, Herr Levrat?
Levrat: Tatsache ist: Wenn wir nichts tun, bekommen AHV und zweite Säule ein gröberes Problem. Das, was wir jetzt auf dem Tisch haben, ist ein Kompromiss. Das Pensionskassen-System ist unter Druck, es macht keinen Sinn, da noch mehr Geld reinzubuttern.
Erwin Heri: «Wir fahren die AHV an die Wand»
Neue Front gegen Alain Berset: Ökonomen kritisieren die Altersreform des SP-Bundesrats. Finanzexperte Erwin Heri fordert im Blick statt einem AHV-Ausbau, dass der Staat die 3. Säule stärker fördert.
Erwin Heri, Sie sind gegen die Rentenreform. Was kritisieren Sie konkret?
Erwin Heri: Es ist mehr eine Grundsatzkritik. Es beginnt damit, dass mit dem Trostpflästerli von 70 Franken mehr AHV-Rente 1. und 2. Säule vermischt werden. Das ist ein ganz schlechtes Signal, denn beide sind «getrennte Firmen»: Die AHV ist ein wirkliches Sozialwerk, in der Pensionskasse spart im Prinzip jeder für sich. Diese so unterschiedlich funktionierenden Vorsorgewerke sollte man auf keinen Fall verquicken.
Sondern?
Beide Säulen sind getrennt zu sanieren. Die AHV über eine Erhöhung des Rentenalters, die 2. Säule über eine Senkung des Umwandlungssatzes auf ein marktnahes Niveau.
Wo müsste der Umwandlungssatz liegen?
Eher in der Nähe von fünf Prozent, so wie es heute an vielen Orten im überobligatorischen Teil üblich ist. Zudem müsste man die vermaledeiten Rechnungslegungsvorschriften anpassen. Heute muss jede Pensionskasse schon fast monatlich eine Rechnung vorlegen. So werden langfristige Verpflichtungen in einjährige Anlagehorizonte gepresst, was eine adäquate Anlagestrategie verunmöglicht.
Und wie hoch muss die Erhöhung des Rentenalters ausfallen?
In vielen Industrieländern beträgt das Rentenalter 67 Jahre. Die Politik sollte der Bevölkerung auch hierzulande endlich reinen Wein einschenken: Das Rentenalter muss rauf! Doch Politiker scheuen so unpopuläre Massnahmen, weil sie dann um ihre Wiederwahl fürchten müssen.
Was Sie vorschlagen, ist vom Volk immer deutlich abgelehnt worden.
Ich bin nicht sicher, ob wir immer alle wissen, worüber wir eigentlich abstimmen. Auch die jetzige Reform ist sehr komplex. Deshalb muss es heissen: Zurück an den Absender!
Auch das können wir uns nicht leisten. Bis ein neues Paket auf dem Tisch liegt, wird es Jahre dauern.
Das glaube ich nicht. Jeder weiss, dass wir nicht noch einmal zehn Jahre Zeit haben. Und die Bevölkerung ist auch bereit, ein höheres Rentenalter zu akzeptieren. Dafür braucht es natürlich auch ein Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft, so dass 50-Jährige nicht in der Arbeitslosigkeit landen.
Ist die Reform nicht zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung? Über ein höheres Rentenalter können wir danach reden.
Warum machen wir das nicht schon jetzt? Stattdessen fahren wir die AHV an die Wand! Je länger wir eine echte Sanierung vor uns herschieben, desto teurer wird es am Schluss. Bezahlen muss diesen ungedeckten Scheck eine Generation, die im politischen Prozess nicht existiert. Meine Enkelin, die bald auf die Welt kommt, zum Beispiel.
Fundamentalkritik ist einfach. Doch die Reform, die auf dem Tisch liegt, ist eben der politisch machbare Kompromiss
Wohin wird uns diese unsägliche Kompromissokratie noch führen? Wir brauchen keine Kompromisse. Die wirtschaftliche Realität sagt uns, was wir tun müssen. Das beste, was die Leute machen können, ist wieder mehr für sich selbst vorzusorgen. Über die 3. Säule, die stärker gefördert werden sollte. Man sollte die Leute motivieren, verstärkt langfristig in Wertpapiere zu investieren. Wenn jeder mehr für sich selbst sorgt, ist für die meisten besser gesorgt.