Man wähnt sich im falschen Film. In Europa wütet Krieg, die EU ist in der Krise, der Konflikt mit den Diktaturen bremst die Wirtschaft, Europas Verteidigung wird massiv teurer, die Trump-Zollmauer kann eine Rezession auslösen – und die Schweizer verpulvern Milliarden für Luxusprojekte.
So brachte die vergangene Woche nicht nur den Trump-Zollschock, sondern in der Schweiz auch den AHV-Schock. Die Sozialkommission des Ständerats schlägt vor, zur AHV-Finanzierung die Mehrwertsteuer um bis zu einem Prozentpunkt und die Lohnabzüge um bis zu 0,8 Prozentpunkte zu erhöhen.
Zudem soll auch aus der allgemeinen Bundeskasse noch mehr Geld in die AHV fliessen. Alles zusammen macht ab 2030 etwa 8 bis 9 Milliarden Franken pro Jahr aus. Erhöhung des Rentenalters zur Kosteneindämmung? – Fehlanzeige.
Die Kommission sprach von einem «ausgewogenen» Vorschlag. Unter Ausgewogenheit scheinen die Ständeräte Folgendes zu verstehen: 100 Prozent des AHV-Bedarfs werden durch Zusatzeinnahmen gedeckt, null Prozent durch Einsparungen. (…)
Die Begründungen für die Initiative sind ähnlich abstrus wie die Begründungen der Regierung Trump für die Zollmauer. Das Kernargument ist die angebliche AHV-Benachteiligung der Ehepaare im Vergleich zu Konkubinatspaaren wegen des Rentendeckels von 150 Prozent einer maximalen Einzelrente.
Richtig ist laut Bundesdaten das Gegenteil: Die Ehevorteile sind vor allem wegen der Witwenrenten und des Einkommens-Splittings grösser als die Nachteile – 2023 überstieg der Nettovorteil eine Milliarde Franken. Der Argumente-Test ist simpel: Wäre die Mitte mit einem Gegenschlag einverstanden, der mit dem Rentendeckel für Ehepaare gleichzeitig auch alle AHV-Ehevorteile abschafft? Auf ein Ja wartet man bis heute. (…)
Ältere sind die wichtigste Kundengruppe der grossen politischen Parteien und der traditionellen Medien. Anbiederung und Verlogenheit statt Ehrlichkeit sind deshalb das gängige Motto in der Politik der Altersvorsorge. Für die Mitte ist zudem ihre Renteninitiative ein attraktives Mittel zur Imagepflege als «Familienpartei».
Dafür ist die Partei bereit, die Zukunft des Landes zu verpfänden. Eine solche Verantwortungslosigkeit orten derzeit viele zu Recht in Washington. Doch wer mit dem Finger auf Trump zeigt, sollte auch ab und zu in den Spiegel schauen.
NZZ / Vorschlag SGK-S