Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) warnt in einer aktuellen Analyse davor, dass es eine «verlorene Generation» geben könnte bei den Pensionskassen. Die Analyse löste in den Tagesmedien eine Debatte aus, der Inhalt der Analyse ist in der «Schweizer Personalvorsorge» 7/22 zu lesen. Anlass für eine Diskussion mit Gabriela Medici (SGB) und Hanspeter Konrad (ASIP) auf der Website von vps.epas. Das Interview führte Chefredaktor Kaspar Hohler. Auszüge.

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Der SGB stellt fest, dass Versicherte in der 2. Säule in den letzten 10 Jahren immer mehr Beiträge zahlten für immer tiefere Leistungen. Was sagen Sie dazu, Herr Konrad?
Konrad: Es ist eine sehr plakative Aussage und stimmt so einfach nicht.  Ein grosser Teil der Senkung des Umwandlungssatzes entspricht keinen Leistungseinbussen, sondern spiegelt die längere Rentenbezugsdauer und den Rückgang der Zinsen. Die Kassen haben in den letzten 10 Jahren entsprechende Massnahmen ergriffen, um die Renten zu finanzieren. Das mussten insbesondere die Jüngeren finanzieren.

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Frau Medici, ist Ihre Aussage zu plakativ?
Medici: Die Aussage ist für mich der Anfang einer Diskussion und gibt nüchtern die PK-Statistik wieder. Und diese zeigt, dass wir mehr Beiträge zahlen und die Renten gesunken sind. Das ist übrigens auch nicht sehr innovativ, das sagt beispielsweise auch die Swisscanto. Selbstverständlich ist die Lebenserwartung gestiegen und wir hatten ein tiefes Zinsumfeld. Das ist aber der nächste Schritt: Ausgehend von diesem Befund kann man über die Gründe und die Konsequenzen diskutieren.

Wenn man den Befund ohne die Gründe kommuniziert, kann das eine gewisse Empörung hervorrufen.
Medici: Ja, einverstanden. Dieser Befund über das Preis-Leistungsverhältnis der 2. Säule wirft aber auch Fragen auf. 

Konrad: Aber die Aussage alleine ist eben nicht richtig. Die längere Rentenbezugsdauer muss in diesem Kontext als Hauptgrund genannt werden, und weshalb dies bei den Aktiven Konsequenzen gehabt hat. Das gehört in diese Gesamtbetrachtung wie die Verzinsung. 2.3% p.a. über die letzten zehn Jahre mögen auf den ersten Blick etwas tief erscheinen, gerade wenn man die Renditen der letzten Jahre betrachtet. Aber wenn Sie’s mit dem vergleichen, was Sie auf der Bank erhalten, oder mit der goldenen Regel, ist es viel höher.

Sehen Sie diese Verlierergeneration im Alter von ungefähr 55 bis 70 Jahren, Herr Konrad?
Konrad: In dieser Beschreibung sehe ich dies nicht.

Medici: Warum nicht?

Konrad: Weil die Realität eine andere ist. Die Kassen haben ihre Hausaufgaben gemacht, haben sich stabilisiert, haben die notwendigen Rückstellungen gebildet, und diese werden immer im Interesse der Versicherten eingesetzt. Die erwähnte Generation hat in den letzten Jahren über die Verzinsung immer auch an den hohen Renditen partizipieren können. Unmittelbar vor der Pensionierung ist das entscheidend.

Medici: Sie haben wieder aus der Optik der Kassen gesprochen. Mir ist es wichtig, was aus Sicht der Versicherten geschieht. Ein Beispiel: Eine Lehrerin, 63, kurz vor der Pensionierung, in einer grossen öffentlich-rechtlichen Kasse. Sie hat einen Umwandlungssatz, der meilenweit anders aussieht als der Umwandlungssatz vor zehn Jahren. Entweder hat sie deswegen eine tiefere Rente oder sie musste massiv dazu beitragen, ihr Kapital zu erhöhen. Jetzt dieser Frau zu sagen, aber deiner Kasse geht es gut, weil sie einen korrekten technischen Zins hat, ist doch keine Antwort.

Konrad: Der Vorteil einer gesicherten Rente ist auch für diese Frau positiv zu werten. Zudem konnte sie von der Verzinsung profitieren. Viele Kassen haben zudem die Senkung des Umwandlungssatzes über Einlagen zur Erhöhung des Altersguthabens kompensiert. Man muss den einzelnen Fall anschauen, so pauschal lässt sich dies nicht sagen.

Medici: Und die Einlage wurde auch von ihr finanziert.

Konrad: Nein, diese wurde teils über Rückstellungen, teils vom Arbeitgeber finanziert.

Medici: Und die Rückstellungen sind durch Kapitalerträge auf ihrem Kapital oder durch ihre Beiträge entstanden. Arbeitgeberbeiträge, meinetwegen, aber bei ganz vielen Kassen stiegen auch die Arbeitnehmerbeiträge.

Konrad: Ich sage es nochmals: Die Stabilität der Kassen ist notwendig, und davon profitieren mittel- bis langfristig auch die Versicherten. Wenn es wieder Entwicklungen gäbe, in denen die finanzielle Stabilität in Gefahr geriete – wer bezahlt dann? Auch der Versicherte und der Arbeitgeber. Daher sind die Rückstellungen auch so sinnvoll und kein Selbstzweck. Das muss und wird der Versicherte  anerkennen und nachvollziehen können.

  Interview Personalvorsorge /  Beitrag Medici Personalvorsorge