Der Chefökonom Schweiz, Daniel Kalt, und die Vorsorgespezialistin Jackie Bauer analysieren die Ereignisse rund um die Zinswende. Auszüge:

Wo stehen wir im Juli 2022?

Daniel Kalt: In der Mitte eines Jahres, das bislang von vielen Turbulenzen geprägt ist. Eine davon war und ist das Tempo, mit dem sich die Inflationsraten in den USA, in Europa und in der Schweiz entwickelt haben. Dies zwingt die Notenbanken, härter einzugreifen, als ihnen eigentlich lieb ist – wir gehen zum Beispiel davon aus, dass die SNB den Leitzins bis Ende Jahr um 125 Basispunkte anheben wird.

Heisst das, die Zeit der tiefen Zinsen ist Geschichte?

Kalt: Im Moment sieht es danach aus. Die Hypothekarzinsen, aber auch die Preise für langjährige Bundesanleihen haben diese Entwicklung zum Teil schon vorweggenommen und sind seit Herbst 2021 rasant angestiegen. Die Frage, ob die Erhöhung der Leitzinsen tatsächlich eine Epoche beendet oder nur eine temporäre Zäsur darstellt, werden wir erst in einigen Monaten abschliessend beantworten können.

Haben die Notenbanken zu lange gewartet?

Kalt: Ich glaube nicht – obwohl Janet Yellen (Finanzministerin USA) unlängst durchblicken liess, die Entwicklung unterschätzt zu haben. Ursache der Inflation sind zum Teil auch Massnahmen, mit denen Staaten ihre Konjunktur nach der Pandemie wieder ankurbeln wollten. Eine gewisse Inflation wurde also in Kauf genommen. Allerdings hatten viele dieser Massnahmen einen politischen und keinen volkswirtschaftlichen Hintergrund. So verstärkte etwa das Helikoptergeld der US-Regierung eine ohnehin positive Grundstimmung der Konsumentinnen und Konsumenten und beschleunigte dadurch die Inflation zusätzlich.

Was heisst das für die nächsten sechs Monate?

Kalt: Ich gehe davon aus, dass die Inflation in Europa ihren Höhepunkt im August oder September erreichen und ab dann wieder zurückgehen wird. In der Schweiz ist die Inflationsrate wesentlich niedriger. Wir erwarten hier einen ähnlichen Verlauf, jedoch auf einem entsprechend geringeren Niveau.

Was bedeutet diese Ausgangslage für institutionelle Anleger?

Jackie Bauer: Die Anlagevermögen der Pensionskassen haben von Januar bis Ende Juni im Schnitt fast 9 Prozent an Wert verloren. Zum Glück war 2021 ein sehr gutes Jahr, wodurch die Pensionskassen einen gewissen Puffer aufbauen konnten. Die privaten Pensionskassen sind mit einem durchschnittlichen Deckungsgrad von 120 Prozent ins neue Jahr gestartet.

Kalt: Erschwerend kommt ein Phänomen hinzu, das wir seit 20 Jahren nicht mehr erlebt haben – die positive Korrelation von Aktien und Anleihen. Sie betrifft vor allem Pensionskassen und andere Anleger, die traditionell einen hohen Anteil an Anleihen in ihren Portfolios haben.

Bauer: Deshalb weisen die Deckungsgrade aktuell einen deutlich tieferen Stand auf, und wenn es so weitergeht, könnte die ein oder andere Pensionskasse in Unterdeckung geraten. Es hat sich aber gezeigt, dass Pensionskassen, die stärker in Commodities und alternative Anlagen investiert sind, die Verluste bei Aktien und Anleihen besser kompensieren konnten.

  UBS