In Wahrheit könnte es für etliche Bezügerinnen und Bezüger aber günstiger werden. Warum? Für Tranchen unter 100’000 Franken ist der Steuertarif künftig noch tiefer als heute. Das hilft nicht nur Kleinverdienern, wie viele glauben, sondern auch all jenen, die sich ihre Kapitalbezüge mithilfe von Beratern geschickt staffeln lassen.
Und vor allem: Heute werden Kapitalbezüge bei Verheirateten zusammengerechnet, wenn sie im selben Jahr erfolgen. Das führt zu einer höheren Steuerprogression – und setzt so der Steueroptimierung Grenzen.
Nun will die Finanzministerin diese Hürde abschaffen: Auch wenn beide Partner im selben Jahr Kapital beziehen, würden ihre Tranchen nach neuer Regel separat besteuert. Damit steigt das Optimierungspotenzial massiv.
Beispiel: Ehepaar, er 65, sie 63. Beide lassen sich in zwei Schritten pensionieren. Zudem haben beide eine Pensionskasse und je drei Konten der 3. Säule. Sie können sich ihr Kapital nach neuem System problemlos in jeweils zehn einzelnen vollständig steueroptimierten Tranchen auszahlen lassen, zumal die zeitliche Verteilung keine Rolle mehr spielt. (…)
Der Anreiz, Steuern zu optimieren, würde mit der neuen Reform wegen der steileren Progressionskurve insbesondere für Gutverdienende erhöht. Denn je höher die Steuern sind, desto mehr lohnt es sich, durch legale Tricks in eine tiefere Progressionsstufe zu kommen.
Mit der steilen Progressionskurve wollte Finanzministerin Karin Keller-Sutter der politischen Linken entgegenkommen: Wer viel Kapital bezieht, soll dank stärker ansteigenden Steuertarifen künftig mehr Steuern zahlen, während kleinere Bezüge steuerlich entlastet werden. Doch unabhängige Experten warnen, dass sich die Reform in der Praxis ganz anders auswirken werde. (…)
Auch Lukas Müller-Brunner, Direktor des Pensionskassenverbands Asip, warnt vor «noch weitreichenden Möglichkeiten zur Steueroptimierung», welche die Reform Ehepaaren bringen würde. Er ist überzeugt: Anders als das Finanzdepartement suggeriere, würden «nicht unbedingt Menschen mit tiefen Guthaben profitieren – sondern erneut Gutverdienende».
Das sieht auch Ökonom Marius Brülhart von der Uni Lausanne so: Die Reform schaffe «neue Anreize, um Steuern zu optimieren». Wie stark Gutverdiener darauf reagierten und wie sehr Steuerberater das ausreizen würden, lasse sich schwer prognostizieren. Klar sei aber: Die erhofften Mehreinnahmen könnten «tiefer ausfallen, als vom Bund geschätzt».
Selbst im Finanzdepartement von Keller-Sutter geht man davon aus, dass viele Ehepaare die für sie neuen Möglichkeiten zur Steueroptimierung nutzen werden und es deshalb zu «steuermindernden Verhaltensreaktionen» kommt.
Wie viel das ausmache, sei «unsicher», räumt ein Sprecher ein. Gemäss seiner Einschätzung lohnt sich die Neuerung für den Bund unter dem Strich trotzdem.
TA / Blick