imageAnton Schaller hat für das Seniorweb ein Interview mit Veronica Weisser, Vorsorgespezialistin der UBS, zur Reform der AHV geführt. Auszüge:

Die Erhöhung des Renteneintrittsalter für die Frauen von 64 auf 65 Jahren ist Stein des Anstosses. Der Gegnerschaft geht aber auch die Kompensation für die Frauen zu wenig weit. Hätte die Vorlage eine grössere Chance gehabt, wenn die bürgerlichen Parteien der linken Seite stärker entgegengekommen wären? Mehr als 9 Jahrgänge berücksichtigt, höhere Leistungen zugestanden hätten?
Man sollte die Frage stellen, ob ein Privileg, das abgeschafft wird, überhaupt kompensiert werden muss. Eigentlich nein. Und nein, ich glaube nicht, dass eine noch umfassendere Kompensation, die Personen, die prinzipiell gegen diese Angleichung sind, bewogen hätte, die Reform zu unterstützen. Denn die Kompensationen, die entschieden wurden, sind äusserst grosszügig, die Anzahl der Generationen, die kompensiert werden, sind so viele, dass die Wirkung der Reform zu Gunsten der AHV zu einem grossen Teil verpufft. Man kann eher die Frage stellen, ob die Reform sich überhaupt noch lohnt. Es ist nicht ganz klar, ob es für die jungen Generationen nicht langsam besser wäre, die AHV an die Wand zu fahren, als so umfassende Kompensationen für die Neurentner bei jeder Reform finanzieren zu müssen.

An einer Veranstaltung des Sozialliberalen Forums SLF zur Altersvorsorge haben Sie Lösungsansätze skizziert. Sie legten dar, dass man die Pro-Kopf-Einzahlungen in die AHV anheben, die Pro-Kopf-Rentenanstiege dämpfen oder die AHV-Renten senken könnte. Man könnte eben auch das Renteneintrittsalter erhöhen. Und ganz brisant: Man könnte die Renten von gewissen Gruppen senken, z.B. Wohlhabenden ohne Kinder könnte man nur noch 50% der AHV auszahlen. Welche Ihrer Vorschläge favorisieren Sie?

Die Perspektive, aus der ich Alternativen primär beurteile, ist die der Generationengerechtigkeit. Um die Generationengerechtigkeit wieder etwas mehr ins Lot zu bringen, wären alle diese Möglichkeiten akzeptabel, ausser der Anhebung der Pro-Kopf-Einzahlungen (über höhere Beitragssätze, höhere Beiträge aus dem Bundeshaushalt oder über die Mehrwertsteuer), denn das belastet einseitig die Jungen. Die Anhebung des Rentenalters hat den Charme, dass dabei der Wohlstand aller Generationen erhalten bleiben könnte. Nur sind wir mit dieser Massnahme schon viel zu spät. Viele Babyboomer-Jahrgänge sind schon in Rente, und die, die es noch nicht sind, sollen für die Anhebung des Rentenalters so stark kompensiert werden, dass die Lasten doch wieder auf die jungen Generationen fallen. Wenn man die Perspektive wählt, wer es sich am meisten leisten kann, eine Mehrbelastung zu tragen, dann wissen wir, dass die Rentner unter allen Jahrgängen die tiefsten Armutsquoten (materielle Entbehrung) und die grössten Vermögen aufweisen, sodass eine Belastung Rentner durchaus zumutbar wäre. Wer zusätzlich keine Kinder hatte, konnte viel mehr arbeiten, mehr sparen und ist dem Generationenvertrag, Kinder zu haben, nicht nachgekommen.

Rentenkürzungen für Wohlhabende ist doch sehr gewagt. Für viele gut bis sehr gut Verdienende kommt die AHV doch einer Reichtums-Steuer gleich, weil Leute mit Einkommen ab rund 85’000 Franken (aktuell) mehr leisten als sie jemals zurückerhalten, sich solidarisch an der AHV beteiligen.
Jede Massnahme tut weh, denn wir haben uns einfach viel zu viel versprochen. Genau genommen haben wir uns Renten von Kindern versprochen, die wir nie gehabt haben. Mich wundert es aber, dass schmerzfrei den jungen Generationen immense Zusatzlasten aufgebürdet werden, dass dann aber, wenn man die wohlhabendsten Generationen – nämlich die Rentner und Babyboomer – mit ins Boot holen möchte, es immer zu einem Aufschrei kommt. Dabei waren es genau diese Generationen, die über die vergangenen Jahrzehnte zu wenig Kinder hatten und notwendige Reformen wie eine Anhebung des Rentenalters verhindert haben.

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