imageAdriano Lucatelli, Gründer von Descartes Finance, äussert sich in einem Interview mit finews zum Abstimmungserfolg zur 13. AHV-Rente und zu beunruhigenden Trends in der 2. Säule. Auszüge:

Herr Lucatelli, die Schweiz hat Ja zu höheren AHV-Zahlungen gesagt. Im Grunde genommen scheint das richtig: Den Auftrag der Existenzsicherung konnte die AHV nicht mehr vollumfänglich erfüllen.
Die Existenzsicherung ist Auftrag des Gesamtsystems, nicht spezifisch der AHV. Dieses Ziel war auch ohne die jetzt beschlossene Rentenerhöhung nicht im grossen Stil gefährdet. Für mich ist das Abstimmungsergebnis ein ernsthafter Sündenfall, ein Bruch des Generationenvertrags. Bis dahin hatte die Stimmbevölkerung bei den Staatsausgaben eher vernünftig abgestimmt. Sollte sich jetzt eine «Buy Now, Pay Later»-Mentalität festgesetzt haben, wäre das gefährlich. Wie wir wissen, gibt es keinen Free Lunch.

Bei der offenen Frage der Finanzierung der 13. AHV-Rente droht nun ein Angriff auf die 2. Säule und ihre Schwächung. Was würde das für das gesamte Vorsorgesystem bedeuten?
Ich rechne auch damit, dass es Versuche geben wird, die 2. Säule zu schwächen und eine Dynamik in Richtung Einheitskasse zu entfesseln. Das würde nichts Gutes bedeuten. In unserem Drei-Säulen-System steht die AHV für Solidarität, die 2. Säule verkörpert ein patriarchales Element (Zwangssparen) und die 3. Säule die Eigenverantwortung. Jedes der drei Elemente hat seine Stärken und Schwächen. Gesamthaft waren sie bis anhin gut austariert.


Die Vermögensverwaltungskosten in der BVG dienen als Angriffsflanke aus linken und gewerkschaftlichen Kreisen, die erzielten Renditen werden verschwiegen. Darf Vermögensverwaltung nichts kosten?

Gute Vermögensverwaltung kostet immer etwas. Das tut sie übrigens auch im Ausgleichsfonds Compenswiss, der die Reserven der AHV verwaltet. Dort sind es 19 Basispunkte (0,19 Prozent pro Jahr). Bei den Pensionskassen sind es gemäss der Pensionskassen-Studie von Swisscanto im Durchschnitt der letzten fünf Jahre 48 Basispunkte (0,48 Prozent). Solange die Pensionskassen gute Renditen erzielen, sehe ich darin kein Problem.

Woran krankt unsere berufliche Vorsorge?
Es gibt zu viele, vor allem kleine Pensionskassen, denen die effiziente und kostengünstige Anlage der Vorsorgegelder schwerfällt. Hinzu kommt, dass die Rendite infolge der politisch gewollten Tiefstzinsen im vergangenen Jahrzehnt gelitten hat. Zudem ist die Anlagepolitik zu stark politisch reglementiert. Die gesetzlichen Bestimmungen zwingen die Pensionskassen, übermässig in Immobilien und Obligationen zu investieren, was sie einem riesigen Zinsrisiko aussetzt.

Wäre eine freie Pensionskassenwahl der Weg, um das System insgesamt effizienter und professioneller zu machen?
Meiner Überzeugung nach wäre das ein klar besseres System. Weil die Pensionskasse heute dem Arbeitgeber obliegt, haben zahlreiche Versicherte nur sehr ungenügende Kenntnisse. Überraschend viele wissen nicht einmal, dass das Pensionskassengeld ihnen persönlich gehört. Das würde sich bei freier Pensionskassenwahl durch die Versicherten sicherlich verbessern. Der Markt würde besser spielen, das ganze System würde transparenter und offener für Innovation und Digitalisierung.

Pensionskassen sollen auch vermehrt eine Nachhaltigkeitsrendite erzielen und in ESG-Anlagen investieren. Entspricht dies dem eigentlichen gesetzlichen Auftrag?
Das Gesetz über die Betriebliche Vorsorge (BVG) beauftragt die Vorsorgeeinrichtungen, das Vermögen so zu verwalten, dass «Sicherheit und genügender Ertrag der Anlagen, eine angemessene Verteilung der Risiken sowie die Deckung des voraussehbaren Bedarfes an flüssigen Mitteln gewährleistet sind». Es geht also um die Maximierung der Anlagerendite bei einem grösstenteils politisch festgelegten, sehr geringen Risiko. Von einer Nachhaltigkeitsrendite liest man im Gesetz nichts. Das ist meines Erachtens richtig.

  finews