imageProf. Reiner Eichenberger, Uni Freiburg, nimmt kein Blatt vor den Mund. Er legt in einem Interview mit dem Nebelspalter das grundlegende Malaise offen, das den Mittelstand ruiniert. Und geradezu entsetzt ist er über die Auswirkungen der 13. AHV-Rente samt den Finanzierungsvorschlägen. Auszüge:

Man liest überall: Die Kaufkraft der Familien, des Mittelstandes, ist gesunken. Selbst Familien mit einem guten Lohn, zum Beispiel 10’000 Franken Brutto im Moment finden, sie kämen nicht mehr auf einen grünen Zweig.
Im internationalen Vergleich, auch kaufkraftbereinigt, ist das ein hohes Einkommen. In der Schweiz nicht. Es entspricht knapp eineinhalb Vollzeitarbeitskräften mit Medianlohn. Das Hauptproblem sind die Abgaben an den Staat.

Warum?
Was soll eine solche Familie tun? Natürlich sollte sie mehr Arbeit annehmen. Aber dann hätten sie auf dem zusätzlich Verdienten eine Steuerlast – den Grenzsteuersatz – von rund vierzig Prozent, inklusive AHV gerechnet. Wenn man Familien von den Früchten ihrer harten Mehrarbeit so viel wegnimmt, dann lohnt sich diese nicht mehr.

Das heisst, die Anreize sind falsch. Jetzt hat der Bundesrat gerade beschlossen, die 13. AHV-Rente noch einmal mit höheren Lohnabzügen oder höherer Mehrwertsteuer zu finanzieren. Das heisst, die Kaufkraft wird noch einmal sinken und die Anreize werden noch einmal falscher werden.
Ja, so gehen noch einmal rund zwei Prozent des Lohnes verloren. Der Bundesrat hat faktisch eine Lohnsenkung für alle beschlossen. Da muss man sich im Klaren sein. Da ist nicht nur die Abgabenlast schwer zu ertragen, sondern auch die Entscheidung selbst.

Daher kommt auch das Gefühl, trotz Lohnsteigerungen, komme ich nicht vom Fleck?
Ja. Das grosse Problem ist, wie der Staat diejenigen belastet, die mehr arbeiten, weil sie mehr verdienen wollen und sollten. Das Wirtschaftswachstum, das uns früher reich gemacht hat, und uns jetzt auch reich machen würde, das wird vom Staat einkassiert. Wenn die Wirtschaft wächst oder die Frauen neu bis 65 arbeiten müssen, wächst der Staat überproportional, weil er von allen Zusatz-Einkommen einen überproportionalen Anteil bekommt. Die Steuern müssten jedes Jahr sinken, nur schon um die Staatsquote nicht wachsen zu lassen. Die SP erzählt immer, der Staat werde «kaputtgespart», dabei wird er immer fetter. Und Vorsicht, die heutigen Statistiken rechnen den Staat schlank.


 

Die SP schlägt zur Linderung dieser Kaufkraftprobleme mehr Umverteilung vor.
Mit Umverteilung ist es wie mit dem Lügen. Beide haben kurze Beine. Jemand muss das nämlich bezahlen und wird dadurch ärmer.

Geht es nach der SP, wären das die Reichen.
Natürlich kann man die Reichen, die Milchkühe, schlachten. Man kann das mit Vermögensabgaben oder einer Erbschaftssteuer tun, aber eben nur einmal, dann ist die Milchkuh weg. Bei den wirklich Reichen ist es zudem oft so, dass sie oder ihr Geld schon vorher weg sind, denn sie sind mobil und sehr flexibel. Die meisten Umverteilungsforderungen sind schlicht naiv.

Dann wird am Schluss die Steuer gar nicht bezahlt. Die neueste Idee ist jetzt eine Finanztransaktionssteuer. Das fordert die Mitte-Partei.
Das ist keine neue naive Idee, sondern ein alter naiver Heuler. Das Problem ist doch, dass das Bruttoinlandprodukt kaum reicht, um diese 13. AHV-Rente zu bezahlen, die vier bis fünf Milliarden Franken kostet. Aber dann ist es völlig naiv zu glauben, ein einzelner Bereich der Volkswirtschaft, zum Beispiel die Finanzbranche, könne es.

Aber die Idee ist doch bestechend.
Ich finde sie zugleich belustigend und traurig. Die «Erfinder» sehen es als Geniestreich, die Finanztransaktionen, diesen Sekundenhandel von bösen, geldgierigen Menschen, zu besteuern. Bloss: Dann machen die Finanzinstitute das einfach nicht mehr in der Schweiz. Die Margen in diesem Geschäft sind so klein, dass es sich dann nicht mehr lohnt. So muss man immer rauf mit dem Steuersatz, weil immer mehr Finanztransaktionen wegfallen. Am Schluss werden nur noch die ganz normalen Überweisungen besteuert, insbesondere die  Lohnzahlung und der Geldbezug am Bancomat. Und die Firmen müssen wieder alle ausgelagerten Dienstleistungen wie Reinigung, Verpflegung und Steuerbuchhaltung einlagern, um die Zahl der besteuerten Transaktionen zu minimieren.  Eigentlich ist da naiv nicht passend. Es ist mehr als naiv.

  Nebelspalter