Andreas Uhlig schreibt in der NZZ über die zunehmend kritischen Stimmen vieler Marktteilnehmer über die Konsequenzen der Negativzinspolitik.

Zu den Folgeschäden der Finanzkrise von vor über einem Jahrzehnt gehören Negativzinsen für Staats- und Unternehmensanleihen. Rund 25% dieser Anleihen haben auf globaler Ebene mittlerweile einen Minuszins, wie Bloomberg berechnet hat. Gar 85% aller deutschen Staatsanleihen weisen eine negative Rendite auf. Eine wichtige Ausnahme sind die US-Staatsanleihen, von denen keine einzige negativ verzinst.

Nutzniesser dieser Entwicklung sind die Schuldner, insbesondere Regierungen und Unternehmen, die für Neuverschuldung oder Umschuldung bezahlt werden. Zu den Leidtragenden gehören vor allem Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen, denen es immer schwerer fällt, ihre Verpflichtungen einzuhalten, sowie die Banken, deren traditionelles Geschäftsmodell unter Druck ist, und natürlich jeder Sparer.

Immer mehr Marktteilnehmer äussern sich kritisch über das von der Politik der Notenbanken beeinflusste Geschehen an den Märkten. «Dies ist wohl der gefährlichste Kapitalmarkt aller Zeiten», sagte vor kurzem Scott Maher, Anlagechef des Kapitalverwalters Pimco, über seine Befürchtungen. Wie in den Jahren vor der Finanzkrise bestehe eine wachsende Verschuldung der Unternehmen, eine sinkende Qualität der Kredite, ein abnehmender Standard bei der Kreditvergabe und eine immer geringere Marktliquidität. (…)

Die Frage, warum auch über ein Jahrzehnt nach Ausbruch der Finanzkrise die Weltwirtschaft noch so unstabil sei, versucht Bill Blain, Investmentbanker und Marktstratege bei Shard Capital, in einer kurzen, aber umso heftigeren Polemik zu beantworten. Über ein Jahrzehnt hätten Investoren zwar hohe Gewinne erzielt, aber das Wohlbefinden der Menschen habe dramatisch abgenommen. Arbeitnehmer werden real geringer entlöhnt als damals, die westlichen Wirtschaften sind in einem schlechteren Zustand mit zerfallender Infrastruktur, überlastetem Gesundheits- und Erziehungswesen und mangelhaften öffentlichen Diensten. Für diesen miserablen Zustand macht Blain ein Jahrzehnt schlechter Entscheide von Politikern, Bankern und Notenbankern verantwortlich: quantitative Lockerung, monetäre Experimente, erzwungene Austerität, regulatorischer Overkill, zerstörte Marktliquidität und vieles mehr.

  NZZ