Nachdem Fabian Schäfer in der NZZ die inhaltlichen Schwächen des VZ-Pensionierungsbarometers aufgezeigt hat, kritisiert sein Redaktionskollege Hansueli Schöchli die in der Studie erkennbare Tendenz, die Lage der Rentner zu dramatisieren. Er schreibt:
Die Welt hat wirkliche Probleme. Doch die Schweiz lebt immer noch wie auf einer Luxusinsel. Standesgemäss schwelgen wir gerne in Luxusproblemen.
Eine aktuelle Illustration liefert ein Papier der Finanzberatungsfirma VZ Vermögenszentrum mit der Botschaft, dass die Neurenten in Prozent des letzten Lohns vor allem für Leute mit Jahreslöhnen ab 125’000 Franken seit 2002 deutlich gesunken seien.
Schuld sei der Rückgang der Pensionskassenrenten. Die Medien nahmen die Hiobsbotschaft dankbar, unkritisch und mit alarmierendem Tonfall auf. Unerwähnt blieb viel Relevantes. Darunter auch, dass man mit einem Jahreslohn von 125’000 Franken oder mehr ohnehin kein Sozialfall ist.
Hier kommt die Realität: Es gibt in der Schweiz keine allgemeine Rentnerarmut. Den Rentnern geht es finanziell im Mittel sogar besser als den Jüngeren.
Laut regelmässigen Befragungen sind Personen im Rentenalter im Mittel finanziell zufriedener als Jüngere, und Entbehrungen aus finanziellen Gründen kommen im Rentenalter seltener vor als bei den Erwerbsjahrgängen.
Doch jede verzerrende Darstellung zur Lage der Rentner durch Medien und andere Interessengruppen liefert Futter für die verlogene Debatte zur Altersvorsorge. Das ist enorm teuer. Die vom Volk im vergangenen Jahr beschlossene 13. AHV-Monatsrente, deren Initianten mit der Mär der Rentnerarmut hausierten, kostet 4 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr. (…)
Auch die Anreize der traditionellen Medien erschweren eine ehrliche Diskussion über die Altersvorsorge: In dieser Branche dominiert eine Kombination aus Linksdrall, Anbiederung bei der Hauptkundengruppe Ü 50, Lust an Negativschlagzeilen und Abneigung gegen Kompliziertes. (…)
Die AHV ist vor allem aus einem Grund populär: Sie ist ein Selbstbedienungsladen, der dank der Verschleierung der Quersubventionen kein schlechtes Gewissen gibt. Die Älteren können sich dank ihrer Dominanz an der Urne subventionierte Renten zuschieben und die Kosten grossenteils den Jüngeren anhängen – ohne dass man sich seine Sünden eingestehen muss.
Die berufliche Vorsorge ist dagegen für das Gemüt ein härteres Pflaster: Hier spart man im Prinzip für sich selbst. Höhere Renten muss man sich in der Regel zuerst mit höheren Beiträgen verdienen. Auch die Finanzierung des Anstiegs der Lebenserwartung lässt sich nicht so einfach an die Jüngeren abschieben wie in der AHV.
Bei den Pensionskassen gibt es zwar ebenfalls versteckte Umverteilungen, doch diese sind weit weniger ausgeprägt als in der AHV. Selbstverantwortung ist mühsam und deshalb auf der Luxusinsel Schweiz aus der Mode gefallen. Selbstbedienung klingt in vielen Ohren weit besser.
NZZ / Artikel Schäfer / VZ-Barometer
More