Im Interview mit dem Tages-Anzeiger kritisiert Prof. Monika Bütler die Tendenz, zunehmend die junge zugunsten der älteren Generation zu belasten, und sie weist auf die Probleme, die sich aus dem «schiefen Lohngefüge» aufgrund der starken Position des Staates auf dem Arbeitsmarkt ergeben. Auszüge:
Frau Bütler, Deutschland diskutiert über einen sogenannten Boomer-Soli. Fehlt in der Schweiz eine Debatte über Generationengerechtigkeit?
Definitiv. Spätestens seit dem Ja zur 13. AHV-Rente und der Kontroverse, wie sie finanziert werden soll. Es ist alles andere als generationengerecht, wenn die Jüngeren die zusätzlichen Leistungen an die Älteren bezahlen müssen – vor allem wenn dies über Lohnabzüge geschehen sollte. Wir bewegen uns in der Schweiz eher in Richtung Boomer-Unsoli, also hin zu einer ungerechteren Verteilung zugunsten der älteren Generationen. Nicht nur mit der 13. AHV-Rente.
Wo sehen Sie weitere Unsolis?
Eine Volksinitiative der Mitte will die AHV-Renten der Ehepaare erhöhen. Auch davon würden die Älteren profitieren – vor allem die Bessergestellten. Bezahlen müssten dies einmal mehr die Jüngeren.
Ältere monieren, sie hätten seinerzeit hart gearbeitet und seien so zu Wohlstand gekommen. Heute seien die Jungen zu bequem, würden lieber reisen und Teilzeit arbeiten. Ist da was dran?
Das ist mir zu polemisch. Geändert hat sich allerdings, dass die Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren – also in der Zeit, in der früher gespart wurde – oft noch in der Ausbildung stecken. Im Vergleich zu angelsächsischen Ländern dauert die Ausbildung hier sehr lange. Gleichzeitig sind wir nicht bereit, länger zu arbeiten. Das verkürzt die Zeit, in der wir fürs Alter vorsorgen.
Bräuchte es ein höheres Rentenalter?
Ja. Unsere Ausbildungszeit wird immer länger, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Wenn das Rentenalter aber unverändert bleibt, müssen immer weniger Aktive für immer mehr Pensionierte bezahlen.
Wie hoch sollte das Rentenalter Ihrer Ansicht nach sein?
Holland, Dänemark und Schweden bewegen sich schon länger Richtung Rentenalter 70 und höher. Bei einer Anhebung bräuchte es natürlich Abstufungen für jene, die früh zu arbeiten begonnen haben, und diejenigen, die harte körperliche Arbeit verrichten.
Die Schweizerische Nationalbank erwartet, dass in den nächsten zehn Jahren 400’000 junge Menschen weniger nachrücken, als mit der Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge den Arbeitsmarkt verlassen. Sehen Sie darin ein Problem?
Bei solchen Prognosen bin ich immer vorsichtig. In den nächsten Jahren fehlen nicht einfach 400’000 Leute. Einige Schätzungen gehen sogar vom Verlust vieler Arbeitsplätze aus wegen der künstlichen Intelligenz. Klar ist: Es fehlen Leute in gewissen Bereichen, zum Beispiel im Handwerk, in technischen Berufen und in der Pflege. Schon heute stammen 50 Prozent der Ingenieure aus dem Ausland. In anderen Bereichen haben wir hingegen genügend Arbeitskräfte. Mit der Pensionierung der Boomer wird sich dieses Missverhältnis nochmals verschärfen. Der Fokus müsste daher auf den Qualifikationen liegen, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.
Wie liesse sich das herstellen?
Als Ökonomin kommt mir als Erstes unser Lohnsystem in den Sinn: Heute ist der Lohn sehr stark an die Länge der Ausbildung gekoppelt. In Australien hingegen verdienen Techniker und Handwerker oft das Doppelte von Professoren.
Wenn es eine derart grosse Nachfrage gibt: Warum sind in der Schweiz die Löhne im Handwerk und in der Technik nicht höher als jene von Uni-Absolventen?
Weil das Lohngefüge nicht nur von Angebot und Nachfrage abhängt. 40 Prozent der Arbeitsplätze in der Schweiz sind im öffentlichen oder halböffentlichen Sektor. Da gelten andere Regeln, denen sich die privaten Unternehmen nicht entziehen können, wenn Sie auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig sein wollen. Der Staat ist damit für dieses schiefe Lohngefüge mitverantwortlich. Ich verstehe alle Eltern, die heute zu ihren Kindern sagen: «Geh studieren, dann verdienst du mehr.»
TA
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