Sie sprechen von Frühpensionierungen, die verdeckte Entlassungen sind.
Ja. Heute werden viele Frühpensionierungen über Sozialpläne abgefedert – etwa bei Restrukturierungen. Ein 61-Jähriger, der seinen Job verliert, kann sich so frühpensionieren lassen und wird finanziell geschützt. Mit der neuen Regelung wäre das nicht möglich.
Wie das?
Die Realität zeigt: Wer mit 60 den Job verliert, findet in der Regel keine neue Stelle mehr. Weil er bald wieder weg ist. Und weil er teurer ist als ein jüngerer Arbeitnehmer. Was passiert mit diesen Leuten, wenn sie nicht mehr in die Frühpensionierung ausweichen können? Das ist nicht wirklich durchdacht. Hinzu kommt ein weiterer problematischer Punkt.
Welcher?
Wer beispielsweise mit 62 entlassen wird, könnte gar keine Rente mehr beziehen. Sein Pensionskassenguthaben würde auf ein Freizügigkeitskonto ausgelagert – und daraus ist nur Kapitalbezug möglich, nie eine Rente. Auch diese Einschränkung der Wahlfreiheit wäre erheblich.
Frühpensionierung ist für den Mittelstand ein attraktiver Lebensentwurf.
Würde der Vorschlag des Bundesrates diesen gesellschaftlichen Konsens aufbrechen?
Ich denke schon. Die Verschiebung auf ein Mindestalter von 63 käme einer Bevormundung gleich. Auch wenn es einen Anteil erzwungener Frühpensionierungen gibt – viele sagen sich doch: Sechzig ist das neue fünfzig, und ich wähle deshalb die Frühpensionierung. Wenn sich das jemand leisten kann, ist das ein berechtigter Wunsch. Womöglich haben diese Leute auf dieses Ziel hin gespart, womöglich bewusst auf Kinder verzichtet. Weshalb will der Staat dies nun erst ab 63 erlauben?
Um das Rentensystem zu retten, heisst es.
Dafür gäbe es bessere Lösungen.
Welche?
Der Staat sollte das Arbeiten über das Pensionsalter hinaus attraktiver machen. Genauso wie es Leute gibt, die sich vor dem Referenzalter pensionieren lassen, gibt es andere, die über 65 hinaus arbeiten möchten. Heute lohnt sich das für viele jedoch schlicht nicht.
Weshalb?
Wer nach 65 weiterarbeitet, zahlt weiterhin AHV-Beiträge, erhält aber nur unter Umständen zusätzliche Leistungen. Man könnte diese Beiträge streichen oder deutlich senken. Ebenso könnte man steuerliche Anreize schaffen. Man sollte es den Leuten überlassen, ob sie früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden wollen – und sich dafür allenfalls freiwillig einschränken – oder ob sie länger als üblich arbeiten möchten.
Würde die spätere Frühpensionierung wenigstens den Fachkräftemangel lindern?
Ich glaube nicht. Die Personalpolitik der Unternehmen wird sich nicht ändern, ob die PK-Rente mit 58 oder erst mit 63 bezogen werden kann. Firmen entlassen ältere Mitarbeitende nicht deshalb, weil sie früh in Rente gehen könnten, sondern weil sie sie als zu teuer oder zu wenig flexibel einschätzen. Und Fachkräftemangel entsteht ja nicht nur, weil sich ein paar 60-Jährige vorzeitig zurückziehen, sondern weil vor allem zu wenig Nachwuchs nachkommt. Die Vorstellung, man könne den Arbeitsmarkt stabilisieren, indem man den Vorbezug erschwert, halte ich für eine Illusion.
Sie sagten, es gebe ein Sammelsurium an Reformen bei der Altersvorsorge. Wie sähe eine stringente Reform aus?
Es gibt Länder, die bereits ein Rentenalter 67 kennen, und die Schweiz wird kaum umhinkommen, das Referenzalter irgendwann zu erhöhen – um zwei oder drei Jahre. Die demografische Entwicklung ist eindeutig, die Gesellschaft wird älter, die Lebenserwartung nimmt zu. Zusätzlich sollte man, wie erwähnt, Anreize schaffen für Leute, die über das reguläre Rentenalter hinaus arbeiten wollen. Dazu gehört, dass möglichst viele Unternehmen Teilpensionierungen ermöglichen.
Tages-Anzeiger