«1e-Pläne» sind umstritten, was sich schon in ihrer Geschichte zeigt. Als Alternative zur kollektiven Vorsorge im Rahmen der 1. BVG-Revision 2006 ins Gesetz genommen (Art 1, Abs.3), zeigte sich bald, dass aufgrund der mangelhaften Legiferierung das neu ermöglichte Angebot unterschiedlicher Anlagestrategien für die Versicherten an Art. 17 FZG (Mindestbetrag Austrittsleistung) scheitern musste. Die 2008 eingereichte Motion Stahl forderte entsprechende Anpassungen. Der Bundesrat bezeichnete in seiner Antwort die Situation zwar als «stossend», für die Umsetzung legten dann aber weder er noch das BSV besondere Eile an den Tag. Das Vorhaben wurde über Jahre vertrödelt. Bis zu seiner Umsetzung dauerte es bis 2016. Die notwendige Anpassung in der BVV2 benötigte dann noch ein weiteres Jahr.

Erst jetzt konnten diese Pläne, benamst nach dem massgeblichen Artikel in der BVV2, langsam Fahrt aufnehmen. Sie bieten dem Destinatär einen hohen Freiheitsgrad bei der Anlage seines Vorsorgeguthabens und bewahren ihn zuverlässig vor unerwünschter Umverteilung.

Die meisten Anbieter solcher Pläne ermöglichen jederzeit Einblick in die Entwicklung des Guthabens und per App die Umschichtung von Assets. Das Angebot unterschiedlicher Strategien, erlaubt sind max. 10, gestattet die Anlage gemäss individueller Präferenzen. Doch die Freiheit ist limitiert auf Gutverdienende. Lediglich Lohnanteile über 126’900 Franken (anderthalbfacher oberer Grenzbetrag) kommen dafür in Frage. Und die Kasse, welche solche Pläne anbietet, muss ausschliesslich zu ihrer Durchführung dienen.

Damit das System funktioniert, gehört als Korrelat zur gebotenen Freiheit das entsprechende Risiko. Wer eine mit höherem Risiko behaftete Strategie wählt, muss allenfalls Verluste hinnehmen und bei einem Austritt aus der Kasse auch realisieren. Zum Schutz der Versicherten sind die Kassen gehalten, mindestens eine risikoarme Strategie anzubieten.

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Allerdings dürfte den meisten Versicherten mittlerweile aufgegangen sein, dass die Sicherheit gemäss BVG-Leistungsgarantie einen hohen Preis hat. Erstens geht sie auf Kosten der eigenen Gestaltungsfreiheit und zweitens ist sie seit Jahren mit einer nicht zu rechtfertigenden und kaum mehr zu beseitigenden Umverteilung verbunden.

1e-Pläne bieten dazu eine in mehrfacher Hinsicht freundlichere Alternative. Die Aussicht, über Jahrzehnte in Eigenverantwortung ein 2. Säule-Vermögen aufzubauen und gemäss persönlichen Präferenzen zu investieren, bildet eine überzeugende Alternative zur gängigen Zwangsvorsorge mit der vorgegebenen Default-Strategie der Kasse. Dass weder Umverteilung noch Sanierungskosten anfallen, ist ein nicht zu verachtender Vorteil. Das System kommt bei den Versicherten gut an, was die hohen Einkäufe belegen, wie sie in der neuen Studie von PwC zu den 1e-Sammelstiftungen ermittelt wurden. Sie haben 2019 wie schon im Vorjahr die regulären Beiträge übertroffen.

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Es stellt sich die Frage, weshalb nur Versicherte mit Einkommen deutlich über 127’000 Franken (sonst machen 1e-Pläne keinen Sinn) von diesem System profitieren sollen, was auch altersmässig den Kreis der potenziellen Destinatäre stark einschränkt. Weshalb nicht das ganze Überobligatorium für 1e-Pläne öffnen? Die Sifo-Garantien liessen sich entsprechend anpassen.

Aber machen wir uns nichts vor: eine solche Idee dürfte es denkbar schwer haben. Den Linken ist sie grundsätzlich zuwider. Der Gewerkschaftsbund hat wiederholt die Streichung von Art. 1e BVV2 gefordert. Und der ASIP ist der Ansicht, die Kollektivität dürfe nicht weiter eingeschränkt, der geltende Betrag nicht gesenkt werden. Wieso eigentlich?

Wer in einer Vollversicherung mit den hohen Verwaltungskosten und bescheidenen Renditen seine 2. Säule aufbaut, würde für das Überobligatorium in vielen Fällen wohl gerne etwas Risiko zur Aufbesserung der finanziellen Aussichten nehmen. Und wer in einer unterfinanzierten Kasse mit hohem Rentneranteil seiner Pensionierung entgegensieht, dem kann die Kollektivität samt hochgelobter Solidarität gewiss gestohlen bleiben. Damit sind nur zwei Destinatärskreise erwähnt, die von mehr Freiheit profitieren würden. Daneben gibt es zahlreiche weitere. Viele jüngere Versicherte können mit der 2. Säule in ihrer heutigen Form nicht mehr viel anfangen. 1e-Pläne wären für sie eine valable Erweiterung der Vorsorgepalette.

Die Bedürfnisse und Wünsche dieser Versicherten werden selten thematisiert. Das Vorsorgeangebot zu öffnen und zu liberalisieren, kratzt an einem Tabu. In keinem Revisionsmodell werden sie explizit erwähnt.

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Mittlerweile ist die Situation um das BVG so festgefahren, dass eine sinnvolle Revision mit zukunftsgerechter Weiterentwicklung kaum mehr machbar ist. Davon zeugt der notorische «Sozialpartnerkompromiss», mit welchem die Hälfte der Umverteilung unangetastet bleibt und die zweite Hälfte mit noch mehr Umverteilung via Rentenzuschlag «kompensiert» werden soll. Dass auch beim neuerlichen Revisionsversuch niemand wagt, als Vorbedingung die Herauslösung des Umwandlungssatzes aus dem Gesetz zu fordern, lässt vermuten, dass es niemandem mit der Revision wirklich ernst ist. Man hat sich mit dem Unsinn abgefunden oder – weit schlimmer noch – zieht politischen Profit daraus.

Die Befreiung des Überobligatoriums aus den Zwängen der Kollektivität wäre ein simpler Weg. Zweifellos würde er das Engagement für die Vorsorge dank vermehrter Eigenverantwortung stärken und damit auch dem vielbeklagten Desinteresse entgegenwirken. Man kann kein grosses Interesse für ein System verlangen, dass seine Teilnehmer zu Statisten der eigenen Altersvorsorge degradiert. Die Arbeitgeber würde es zumindest in der weitergehenden Vorsorge vor Sanierungsfällen ebenso bewahren wie die Vollversicherung, ohne dass dazu auf quasi mündelsichere Anlagen abgestellt werden müsste. Einer Weiterführung der bestehenden überobligatorischen Vorsorge nach geltemdem Muster, stünde sofern gewünscht, nichts entgegen.

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Natürlich stellen sich sofort zahlreiche Fragen, Durchführungsprobleme und grundsätzliche Bedenken. Grosse Bedenken, ernsthafte Befürchtungen, vielfache Ängste und Sorgen und Vorbehalte. Und alles selbstverständlich im Interesse der Versicherten, die aber nicht gefragt werden. Eine Individualisierung ist für all jene unerträglich, die in der Kollektivierung das Heil suchen und die Illusion eines von Risiken weitgehend befreiten Lebens samt Altersvorsorge bewahren möchten.

Die Einführung von 1e-Plänen bei Konzernen wie Novartis und CS wurde vielfach unter dem Aspekt der Risikominderung für den Arbeitgeber und als Nachteil für die Versicherten verstanden und dargestellt. Man kann es auch anders sehen. Und vielleicht sollten wir etwas mehr Energie für Innovation statt auf Bewahrung des Status Quo einsetzen.

Peter Wirth, E-Mail