Die Schweizer Personalvorsorge hat in Ausgabe 18/12  Martin Kaiser, Geschäftsleitungsmitglied des Arbeitgeberverbands, und Daniel Lampart, Leiter des Zentralsekretariats des Gewerkschaftsbunds, zum Thema BVG-Reform befragt. Auszüge:

KAISER

Wieso wollen diese Personen denn früher in Rente gehen?
Man hat (…) die Leute gefragt: Wie hätten Sie sich vorstellen können, weiterzuarbeiten? Als wichtigster Anreiz zeigt sich dann nicht das Geld, sondern die Wertschätzung. Wann ich in Rente gehe, hat viel damit zu tun. Für den Arbeitgeber heisst das, dass es sich lohnt, frühzeitig auf die Leute zuzugehen und ihnen Wertschätzung für ihre Arbeit und ihr Know-how entgegenzubringen. Meine Vision ist ein wirklich Flexibilisiertes System mit positiven Anreizen, in dem man zwischendurch einmal aus dem Berufsleben aussteigen, nachher aber zurückkommen und wieder ins Rentensystem einsteigen kann. Weshalb nicht sogar nach 60?

Reichen freiwillige Anreize aus, damit die Leute länger arbeiten?
Nicht, um insbesondere auch die AHV finanziell nachhaltig zu sichern. Wir werden deshalb nicht darum herumkommen, ernsthaft über das ordentliche Rentenalter zu reden. Dieses wird sich schrittweise nach oben bewegen müssen. Ab 2020 setzt die grosse Pensionierungswelle der Babyboomer ein: Aus dem Babyboom wird ein Rentnerboom und die Finanzierungslücke steigt exponentiell. 2035 fehlen der AHV 12 Milliarden Franken pro Jahr – oder mehr. Aber auch für das BVG wird die schrittweise Erhöhung des Rentenalters mittelfristig zu einem wichtigen Stabilisierungsfaktor werden.

Kann eine Reform ganz ohne mehr Geld gelingen?
Um die Renten auf heurigem Niveau zu sichern, gibt es drei Hebel: Die Leistungen senken, die Beiträge erhöhen oder länger arbeiten. Mehr gibt es nicht. Es ist furchtbar komplizier und gleichzeitig so einfach. Leistungen senken will niemand. Massive Beitrags- oder Steuererhöhungen ebenso wenig und auch ein Rentenalter 67 ist nicht beliebt. Also bleibt über kurz oder lang nur der Mix aus Zusatzfinanzierung und schrittweise etwas längerer Erwerbsarbeit.

Wie stark stehen die Arbeitgeber hinter der 2. Säule?
Die berufliche Vorsorge har für die Zukunft eine gute Chance, als patronales Instrument mit Blick auf eine Arbeitswelt, die Fachkräfte noch stärker nachfragen wird. Gleichzeitig sehe ich auch, dass hier und dort der Geduldsfaden mir der BVG-Reform langsam anfangt zu reissen. Das wäre schade. Immer noch leisten die Arbeitgeber viel mehr für die berufliche Vorsorge, als sie von Gesetzes wegen leisten müssten.

LAMPART

Bleibt das Rentenalter 64/65 bei der AHV bis in alle Ewigkeit?
Der SGB har sich nach Ablehnung der Altersvorsorge 2020 für 64/65 ausgesprochen. Wenn ich an einer Versammlung frage, was die Leute lieber möchten: Mehr Beitragsprozente oder ein höheres Rentenalter? Dann zahlen die allermeisten lieber etwas mehr ein.

Sie sehen die Babyboomer als Opfergeneration?
Wir stellen fest, dass die Leute, die jetzt in Rente gehen, nicht das erhalten, was wir unter «Weiterführung der gewohnten Lebensführung» verstehen. Unter BVG-Konditionen sind die Lebenspläne fürs Rentenalter zunehmend nicht mehr realisierbar. In der Schweiz ging es der nächstfolgenden Generation bisher immer besser als der vorherigen. Diese Situation kehrt sich in der 2. Säule ins Gegenteil. Das ist historisch ein Novum.

Wie würden Sie die Blockade lösen?
Die grosse Frage ist, wie man den Ausfall des dritten Beitragszahlers kompensiert. Zum Teil wird die kleinere Rendite in der Ansparphase über höhere Beiträge kompensiert. Zum Teil bezahle man weniger Risikoprämie, weil man dorr noch kürzen kann, um mehr in den Sparprozess zu bezahlen. Doch das Problem für das Kapitaldeckungsverfahren ist der tiefe Zins. Wie leistungsfähig ist das System? Es ist evident, dass für untere und mittlere Einkommen die AHV ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis aufweist als das Kapitaldeckungsverfahren.

Wäre ein gleiches AHV-Alter für Mann und Frau nicht mehrheitsfähig?
Sicher nicht, wenn die Leistungen sinken. Für 64/65 gibt es gute Gründe. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt, aber auch die Lebensrealität. Man ist froh , dass das Rentenalter für Frauen etwas tiefer ist. Viele machen sich viele Sorgen, ob sie überhaupt bis 65 gut arbeiten können oder ob es am Ende nur noch eine Qual ist.

Kehren wir zur 2. Säule zurück: Der Mindestumwandlungssatz ist ein grosses Ärgernis.
Der politische Druck ist gross. Dabei sind wir in Bezug auf die Zinsen historisch in einer ausserordentlichen Lage. Der Handlungsbedarf hängt stark von der künftigen Inflation ab. Da kann sich rasch wieder vieles ändern.

Sind Sie pauschal gegen eine Senkung?
Wir bewerten, was das heisst für die Renten in der Schweiz. Bei einer BVG-Reform müssen die Rentenprobleme gelöst werden. Aber so ein Abbau im Obligatorium, das liegt nicht drin. Kommt dazu , dass es gar keine wissenschaftliche Diskussion zur Lebenserwartung gibt.

Sehen Sie gar keinen Reformbedarf.
Doch, es gibt einen grossen Reformbedarf bei der Höhe der Renten . Die Weiterführung der gewohnten Lebensweise muss möglich bleiben. Und wir müssen Massnahmen gegen die sinkenden Renten ergreifen.

Was würden Sie am Arbeitsmarkt für Ältere ändern?
Es braucht einen besseren Kündigungsschutz für langjährige, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers besagt, dass sie für langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine entsprechende Verantwortung haben. Politisch heisst das: Ein Kündigungsschutz oder eine Frühpensionierung oder eine andere soziale Lösung. Weiter braucht es Massnahmen im Aus- und Weiterbildungsbereich. Damit diese maximale Wirkung erfüllen, müssen sie sich auch an Personen unter 50 richten.

  Interview Kaiser / Lampart