imageSimon Gemperli und Michael Ferber interviewten Colette Nova, Vizedirektorin im BSV, zu aktuellen Fragen der beruflichen Vorsorge. Die Chefin des Geschäftsfeldes BV und frühere Sekretärin des Gewerkschaftsbundes kritisierte die Positionen des SGB bezüglich Umwandlungssatz mit klaren Worten. Eher ausweichend verhielt sie sich bei Fragen über ihr Verhältnis zur Assekuranz, welche sie vor nicht allzu langer Zeit noch aus der BV rauswerfen wollte. Auszüge:

Frau Nova, Sie waren bis 2010 geschäftsführende Sekretärin des Gewerkschaftsbunds. Heute sind Sie beim Bund für die berufliche Vorsorge zuständig und vertreten oft diametral andere Positionen als die Gewerkschaften. Wie geht das auf?
Wer für einen Verband arbeitet, vertritt die Position dieser Organisation. Wer für ein Bundesamt arbeitet, vertritt die Position dieses Amts. Das ist normal. Schwierig wäre es, wenn man permanent gegen die eigene Überzeugung handeln müsste. Das ist für mich im BSV überhaupt nicht der Fall.

Der Gewerkschaftsbund zweifelt an den offiziellen Grundlagen zur Berechnung der Lebenserwartung. Personen mit tieferen Einkommen und solche, die nur im BVG-Obligatorium versichert sind, würden weniger lang leben als ausgewiesen und hätten Anspruch auf einen höheren Umwandlungssatz. Wie sehen Sie das?
Wir haben uns die Unterlagen des SGB sehr gut angeschaut. Aus fachlicher Sicht ist die Kritik an den vorhandenen Daten nicht stichhaltig. Es trifft zum Beispiel nicht zu, dass die Lebenserwartung nicht zunimmt. Stellt man wie der SGB auf die Lebenserwartung bei Geburt ab, scheint es gewisse Unterschiede zu geben. Für den Umwandlungssatz ist aber die Lebenserwartung ab dem Zeitpunkt der Pensionierung relevant. Hier ist es anders, weil Angehörige von Risikogruppen eher vor dem Rentenalter sterben als andere Versicherte. Die bisher bekannten Resultate einer noch nicht publizierten grossen Studie zur Lebenserwartung zeigen keine Korrelation zwischen Lebenserwartung und Branchen oder Berufen auf.

Das heisst, Sie sehen keine Anhaltspunkte, dass für bestimmte Gruppen ein höherer Umwandlungssatz angemessen wäre?
Die Lebenserwartung variiert zum Beispiel je nach Kanton. Dieses Kriterium ist stärker als alle soziodemografischen. Auch die Ausbildung hat einen Einfluss, aber einen schwachen. Für den Mindestumwandlungssatz muss man zwingend auf die vorsichtigsten Daten abstellen. Es muss aber jede Vorsorgeeinrichtung individuell eine passende technische Grundlage wählen und berücksichtigen, falls der eigene Versichertenbestand vom Durchschnitt abweicht.

Der Gewerkschaftsbund bezweifelt auch die Annahmen des Bundes zu den Pensionskassen-Renditen. In den letzten 70 Jahren hätten diese mit einem Standard-Portfolio 5 Prozent betragen.
Die Vorsorgeeinrichtungen fahren seit über zehn Jahren Pensionierungsverluste ein, für welche die aktiven Versicherten aufkommen müssen. Es sieht nicht so aus, als ginge es rasch wieder aufwärts. Die Aussage, die Vorsorgeeinrichtungen könnten das problemlos wegstecken, ist schon sehr gewagt. Es besteht das Risiko, dass man so den Karren an die Wand fährt.

Sie haben sich als Gewerkschafterin sehr kritisch zur Rolle der Lebensversicherungen in der zweiten Säule geäussert. Müssen Sie jetzt bei dem Thema einen Spagat machen?
Es stellt sich die Frage, ob man die heutige Gewinnverteilung, die derzeitige Mindestquote, beibehält. Es scheint nicht einfach zu sein, hier praktikable Lösungen zu finden, die auch politisch mehrheitsfähig sind. Pensionskassen können eine Unterdeckung haben, Versicherungen nicht. Deshalb ist die Situation hier anders. Auch müssen die Folgen der Regulierungen Solvency II und Swiss Solvency Test mit einbezogen werden. Dieser ist erst ab 2011 für die Versicherungen verbindlich geworden, und hinsichtlich Krisenresistenz sind die Auswirkungen noch nicht bekannt.

Es braucht also noch Zeit, um dies zu beobachten?
Nach den neuen Regelungen zur Solvabilität werden die Lebensversicherungen mehr Eigenkapital brauchen. Dies stellt die Frage neu. Schliesslich könnte es dazu führen, dass die Aktionäre der Versicherungen die in schwierigen Zeiten relativ hohen Risiken der beruflichen Vorsorge nicht mehr mittragen wollen. Man muss die heutige Regel noch länger beobachten und sicher sein, dass sie stabile Resultate bringt. Die BVG-Kommission hat sich für die Überprüfung der Mindestquote im Jahr 2015 ausgesprochen.

Interview NZZ / SGB zum UWS