Ungelöst ist der gesetzliche Mindestumwandlungssatz, der nicht mehr den Lebenserwartungen und dem Zinsumfeld entspricht. Wie lösen die betroffenen Pensionskassen dieses Problem?
Bei Pensionskassen, die sehr nahe am Obligatorium sind, findet eine Ernüchterung statt: Sie wissen, dass sich an ihrer Situation so bald nichts ändern wird. Sie rechnen nach meinen Informationen nicht mehr mit einer Reform.
Was bedeutet das?
Entweder die Pensionskassen finden einen Weg, die überhöhten Renten querzusubventionieren. Oder sie müssen in den überobligatorischen Bereich ausweichen, wo sie nicht mehr an die gesetzlichen Mindestvorgaben gebunden sind und die Parameter an Lebenserwartung und Zinsumfeld anpassen können. Das bringt aber Kosten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit sich.
Die Diskussion über die letzte Reform hat gezeigt: Das Vertrauen in die zweite Säule bröckelt. Wieso?
Das sehe ich anders. Es gibt zwar Akteure, die bewusst oder unbewusst mit diesem Vertrauen spielen und die berufliche Vorsorge schlechtreden. Dabei wird jedoch unterschlagen, was die zweite Säule gerade in den letzten Jahren geleistet hat: Wir erlebten eine Pandemie, gefolgt von einem Krieg in der Ukraine mit massiven Unsicherheiten auf den Finanzmärkten. Die Pensionskassen trotzen diesem Sturm und beweisen, dass sie über einen langen Zeitraum nicht nur die Renten finanzieren, sondern diese auch für die Zukunft sicherstellen können.
Ausdruck der Skepsis ist eine Zunahme der Kapitalbezüge.
Das werte ich nicht als Misstrauensvotum. Es ist eine legitime Möglichkeit jeder versicherten Person, frei zu entscheiden, ob sie sich das Geld auszahlen lassen, eine Rente beziehen oder eine Mischform wählen will.
Wissen Sie, warum Kapitalbezüge zunehmen?
Der sinkende Umwandlungssatz im Überobligatorium kann zwar einen Einfluss haben. Wir sehen aber auch, dass es beispielsweise einfacher geworden ist, selber Geld anzulegen. Insgesamt macht mir die Entwicklung aber Sorgen.
Soll der Kapitalbezug verboten werden?
Keinesfalls, das wäre verkehrt. Es gibt ja gute Gründe, Kapital zu beziehen.
Der Bundesrat bietet eine Alternative: Er schlägt vor, den Kapitalbezug in der zweiten Säule höher zu besteuern. Wäre dies der Ausweg?
Nein. Der Bundesrat bedient sich hier eines «Buebetricklis». Den Vorschlag macht die Regierung ja nicht, weil sie die Zunahme an Kapitalbezügen problematisch findet, sondern weil sie ein Entlastungspaket geschnürt hat. Ich finde es fahrlässig, dass die Regierung nun die Pensionskassengelder zum Bauernopfer macht, um den Bundeshaushalt zu sanieren. Wir können jederzeit diskutieren, welchen Einfluss die Besteuerung auf den Entscheid hat, ob jemand in der zweiten Säule Rente oder Kapital bezieht. Aber dann müssen wir das aus der Vorsorgeperspektive tun.
Die Pensionskassen verfügen über gute Kapitalanlagen und hohe Deckungsgrade: Können die Leistungen jetzt verbessert werden?
In vielen Fällen, ja. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Wir sind in den letzten zwanzig Jahren von mehreren Finanzkrisen, Corona und Krieg in Europa durchgeschüttelt worden. Und trotzdem sind die Pensionskassen weitgehend in der Lage, die Renten länger auszubezahlen, gute Anlageergebnisse auszuweisen und sie an die Versicherten weiterzugeben.
Was heisst das konkret?
Über den Daumen gepeilt: Von drei Franken Rente, die ausbezahlt werden, kommt einer vom Arbeitnehmer, einer vom Arbeitgeber und einer aus der Rendite. Das ist besonders für die Arbeitnehmer ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis. Über 5,5 Millionen Versicherte in der Schweiz dürfen froh sein, dass es den Pensionskassen so gut geht.
Beim AHV-Vermögen wird befürchtet, dass die USA im Falle von Sanktionen Vorsorgegelder zurückhalten könnten, weil die neue Depotbank der AHV in den USA ist. Die Pensionskassen verwalten bekanntlich noch viel mehr Geld. Sind die Vorsorgevermögen gefährdet?
Das ist eine politische Nebelpetarde, die mich wirklich stört. Das ist genau ein Beispiel dafür, wie das Vertrauen in die Vorsorge untergraben wird.
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