Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard bezeichnete die BVG-Reform unlängst als «aus der Zeit gefallen». Seine Kritik zielt auf ein Kernelement der Vorlage: die Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent, die ohne Kompensation zu tieferen Renten führt. Das sei eine Idee aus der Zeit der Negativzinsen, argumentiert er. Tatsächlich ist in letzter Zeit das Zinsniveau gestiegen, was das Renditepotenzial auf dem Vorsorgevermögen erhöht. Maja Briner geht in der Luzerner Zeitung der Frage nach, ob sich die Senkung tatsächlich erübrigt.

Experten [widersprechen] dem Gewerkschaftsbund. «Die Argumentation, es brauche wegen der Zinswende keine Senkung des Umwandlungssatzes mehr, ist absurd», sagt Reto Leibundgut, Pensionskassen-Experte beim Beratungsunternehmen C-alm.

Er zieht den Vergleich zu 2010, als das Stimmvolk über den Umwandlungssatz abstimmte und eine Senkung ablehnte: «Heute ist die Umverteilung zwischen Jung und Alt sogar grösser als damals, der Handlungsdruck also gewachsen.» Der gesetzliche Umwandlungssatz sei «massiv überhöht».

Der hohe gesetzliche Umwandlungssatz bringe nicht die Pensionskassen in Nöte, stellt Leibundgut klar. «Sie haben das Problem für sich gelöst.» Auch BVG-nahe Kassen stünden nicht mit dem Rücken zur Wand. «Leidtragende sind vielmehr die jungen Aktiv-Versicherten – also die Erwerbstätigen, die in die Pensionskasse einzahlen. Sie müssen von einer Umverteilung geschützt werden.» Dafür brauche es eine Senkung des gesetzlichen Umwandlungssatzes.

Auch Experte Thomas Breitenmoser sagt, die Zinswende mache die Senkung des Umwandlungssatzes keineswegs überflüssig. Er ist Leiter Investment-Controlling und Consulting beim Finanzdienstleister Complementa. Selbst mit der Reform sei das Problem noch nicht ganz gelöst, sagt er. «Die Umverteilung von Jung zu Alt und vor allem vom Überobligatorium zum Obligatorium wird zwar weniger dramatisch, verschwindet aber nicht ganz.»

Experte Breitenmoser argumentiert nicht politisch, sondern rein mit Zahlen. Wie viel Rente aus dem angesparten Altersguthaben ausbezahlt werden kann, ergibt sich im Grundsatz aus zwei Faktoren: der Lebenserwartung und dem Zinsertrag. Bei einem Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent bräuchte es laut Breitenmoser aktuell ein Zinsversprechen von 4,8 Prozent, damit die Renten ohne systemwidrige Umverteilung ausbezahlt werden können.

Die Pensionskassen müssten also auf dem Kapital der laufenden Rentenbezüger jährlich 4,8 Prozent verdienen, damit es zu keiner Umverteilung kommt. Bei einem Umwandlungssatz von 6,0 Prozent, wie es die Reform vorsieht, sänke dieser Zinssatz derzeit auf 3,6 Prozent. «Damit wäre man näher an der Realität», sagt Breitenmoser. Die zurzeit erwartete Rendite von durchschnittlichen Pensionskassen liege bei etwa 3,4 Prozent; abzüglich Kosten sei man bei gut 3,2 Prozent.

Der Gewerkschaftsbund findet trotz der Aussagen der Experten: Die Renten müssten nun steigen, nicht sinken. Die Negativzinsen seien in den letzten Jahren das Hauptargument für die Rentensenkungen der PK im Überobligatorium gewesen, sagt Sprecher Urban Hodel. Durch die rasche Zinswende müssten die Renten jetzt der Teuerung angepasst werden.

«Es gibt Pensionskassenexperten, welche die Renten-Garantien offenbar immer weiter senken wollen», so Hodel. Die Pensionskassen seien in den letzten Jahren jedoch übervorsichtig gewesen und hätten hohe Rückstellungen gebildet. Deshalb gebe es jetzt Spielraum für Rentenverbesserung und Teuerungsausgleich.

  Luzerner Zeitung