Vergangene Woche hat die Wirtschaftshistorikerin Andrea Franc der NZZ ein aufschlussreiches Interview gegeben. Und ein mutiges dazu, muss man anfügen, denn nicht alle ihre Studenten, vor allem nicht jene an der Uni Basel, werden über ihre Bemerkungen amüsiert gewesen sein. Und das in Zeiten, da schon subliminale Micro Aggressions für den sensiblen akademischen Nachwuchs als unzumutbar gelten, eine kritische Einschätzung ihrer Leistungen erst recht. Für unser Thema interessant sind die Antworten zu Fragen der Altersvorsorge und der wirtschaftlichen Situation von Absolventen der Geisteswissenschaften.

NZZ: Von wie vielen Leuten reden wir?
    Franc. Derzeit studieren 47’000 Geistes- und Sozialwissenschafter an den Schweizer Universitäten, sie machen über einen Viertel aller Studenten aus. Diese Gruppe wird fünf Jahre nach dem Master oder der Promotion übers Ganze gesehen einen Minilohn haben – das werden die Sozialwerke zu spüren bekommen.

NZZ. Der Sozialstaat ermuntert gut ausgebildete Leute geradezu, wenig zu arbeiten. Wer als 38-jähriger Romanist mit Teilzeitpensum in einer Stadt wie Zürich wohnt, profitiert von ermässigten Kita-Tarifen, vielleicht erhält er noch eine städtische Wohnung, und die Krankenkassenprämien werden verbilligt.
   Franc. Für den Einzelnen mag dieses Modell stimmen. Doch was passiert, wenn die Heerscharen von Geistes- und Sozialwissenschaftern dereinst pensioniert werden? Viele werden keine genügende Altersvorsorge haben, das Erbe ist vielleicht schon aufgebraucht, sie werden Ergänzungsleistungen benötigen. Kommt dazu, dass die Leute sich durchs Leben hangeln, was nicht befriedigend ist. Die in den 1950ern geborenen Akademiker, die Geschichte studierten, konnten Diplomaten werden. Auch die 1960er Jahrgänge kamen noch überall unter. Heute muss man als Germanist froh sein, wenn man ein paar Stunden Deutsch für Ausländer unterrichten kann oder als Kunsthistoriker im Museum das Telefon abnehmen darf.

NZZ. Das tönt sehr ernüchternd. Ziehen die Geisteswissenschaften speziell Leute an, die im Leben nichts Besseres zu tun haben und ihre Jahre an der Uni einfach absitzen?
   Franc. Absitzen und sich durchs Studium kiffen. Bei fünfzehn Leuten im Geschichtsseminar ist im Minimum einer bekifft. Andere zeigen sich gegenseitig ihre Ferienbilder, schicken sich Whatsapp-Nachrichten oder schiessen auf dem Handy Zwerge ab. Wer sich so an der Wirtschaftsfakultät verhält, fliegt durch die Prüfung.

NZZ. Wie reagieren Sie, wenn sich die Studenten so undiszipliniert verhalten?
   Franc. Ich sage ihnen, sie sollen sich in die hinterste Reihe setzen.

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Wer das alles nicht schon gewusst oder geahnt hat, dem muss es die Sprache verschlagen. Aber eine lockere Einstellung den materiellen Erfordernissen des Lebens gegenüber, hat längst  breitere Kreise erfasst. Die Work/Life Balance und ihre strikte Einhaltung scheint sich zunehmend als essentielle Voraussetzung eines gelungenen resp. lebenswerten Lebens etabliert zu haben. Und die Balance neigt sich zunehmend in Richtung Life, dem entschiedensten Gegensatz zu Work. Dass die Unterscheidung eine neuere Erfindung ist und keineswegs in die Gesetze sozialen Lebens eingeschrieben ist, wie gerne suggeriert wird, fällt nicht auf. Man hat es offenbar mit einer weiteren Variante von «Recht auf … « zu tun.

Der nonchalante Lebensentwurf ist keineswegs auf die Absolventen der höheren geistigen Künste beschränkt, er verbreitet sich querbeet durch unsere Gesellschaft. Gutverdienende Paare kommen auch mit 2x 80 Prozent Jobs bestens über die Runden. Von prekären Existenzen keine Rede.

Gemäss BFS-Statistik arbeitet nur knapp die Hälfte der Frauen ohne Kinder unter 15 Jahren Vollzeit. Das sei ihnen gegönnt. Bloss die Aufregung um die tieferen BVG-Renten von Frauen wirkt vor diesem Hintergrund etwas pathetisch. Da wäre zu differenzieren. Die hohen Anteile von Teilzeitbeschäftigungen von Frauen sind auch ein Wohlstandsmerkmal.

Und als letzte Bemerkung: die (noch nicht publizierten) Ergebnisse der diesjährigen Swisscanto-Umfrage zeigen, dass die Mehrheit der Teilzeiterwerbstätigen in der beruflichen Vorsorge von variablen oder tieferen als BVG-gemässen Koordinationsabzügen profitiert. Da wird möglicherweise mehr geklagt als gelitten.

Peter Wirth, E-Mail