Unser Newsletter zeigt deutlich, welche Diskussionen der Entscheid der Axa, sich gänzlich aus dem Vollversicherungsgeschäft zurückzuziehen, ausgelöst hat. Die Einschätzung der Kommentatoren geht von «Gefahr für die 2. Säule» bis zu «alles halb so schlimm»; von «Assekuranz unter Druck» bis zu «unzuverlässiger Anbieter».

Unbestritten ist, dass die Vollversicherung eine überaus wichtige Rolle spielt. Die rund 1,2 Mio. Destinatäre sprechen eine deutliche Sprache. Das Instrument ist gesucht und gemäss Einschätzung der Finma vermag das Angebot die Nachfrage nicht zu decken; ab sofort noch weniger. Schon vor dem Axa-Entscheid war es für Kleinst-KMU kaum mehr möglich, zu einem Vertrag zu kommen.

Unbestritten ist auch, dass die mit der Vollversicherung verbundene Sicherheit für die Arbeitgeber aber auch für die Versicherten teuer ist. Und wegen der hohen, möglicherweise zu hohen Anforderung an die Sicherheit der Anlagen, ging der Börsenboom der letzten Jahre an den Versicherten spurlos vorbei. Sie erhalten pro einbezahlten Vorsorgefranken bei der Assekuranz deutlich weniger Leistung als bei den allermeisten autonomen Kassen. Wessen Arbeitgeber die Vollversicherung gewählt hat, ist als Arbeitnehmer benachteiligt.

Aber viele Kleinstbetriebe sind schlicht nicht in der Lage, die notwendigen Reserven für eine allfällige PK-Sanierung bereitzustellen oder gegebenenfalls aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Auch wenn das Risiko in den letzten zehn Jahren gering war, es ist nie gleich Null. Auch die einfache Administration spielt eine wichtige Rolle. Mit anderen Worten, die Vollversicherung bildet einen notwendigen Bestandteil der beruflichen Vorsorge. Und als Risikoträger kommt dafür nur ein privater Aktionär in Frage. Andere Lösungen sind theoretisch denkbar, aber nirgends auszumachen.

Diese Bemerkungen vorausgeschickt – sie dürften für die Leser unseres Newsletters herzlich geringen Neuigkeitswert haben – ist an der ganzen Diskussion vor allem interessant, wie die Kritiker der Vollversicherung und der Assekuranz generell auf den Entscheid in den letzten Tagen reagiert haben.
Wenn der Axa-Entscheid zumindest bedauerlich ist, so sind diese Reaktionen insgesamt einfach nur trostlos. Und sie lassen vor allem eines erkennen, die jetzt angestossene BVG-Revision steht unter keinem guten Stern. Es reicht, dazu ein paar Müsterli, alle aus unserer Berichterstattung, zu zitieren. Vieles ist an Scheinheiligkeit schwer zu übertreffen.

Da wäre etwa Barbara Gysi, Vizepräsidentin der SP, zu nennen, die verlangt: «Unternehmen und Unternehmensorganisationen sind jetzt gefordert, schnell brauchbare Übergangslösungen zu präsentieren und auf nichtgewinnorientierten Einrichtungen zu setzen, um nicht mehr von den Launen der Versicherungskonzerne abhängig zu sein.» Das also die Stellungnahme einer Partei, die bei der Behandlung der anstehenden Revision im Parlament eine massgebliche Rolle spielen will. Das ist in jeder Beziehung ungenügend.

Der mit der SP auch personell eng verbandelte Gewerkschaftsbund argumentiert ebenso unbeholfen im luftleeren Raum ideologischer Schaumschlägerei. Ein Satz sagt alles: «Der SGB kritisiert, dass Versicherungsgesellschaften Profite aus der Durchführung einer Sozialversicherung ziehen – das ist systemfremd.» Wie Risiken ohne Profite finanziert werden sollen, ist das Geheimnis der Gewerkschafter, die offenbar mit offenen Augen von der Überwindung des Kapitalismus träumen. Dass auch alle anderen Dienstleister in der 2. Säule Profite erzielen wollen und müssen, ist ihnen offenbar entgangen. Da scheint die Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge sich am Beispiel des Arbeiterhilfswerks zu erschöpfen.

Urban Hodel vom PK-Netz, der freudvoll am äusseren linken Rand von SP und Gewerkschaften zu argumentieren pflegt, sieht bei der Axa alle seine Vorurteile bestätigt, da kann der Versicherer tun und lassen was immer er will. «Die Leistungen der privaten Lebensversicherer sind seit längerem am Boden – der Rückzug ist deshalb eine logische Konsequenz. Nur durch überhöhte Broker- und Maklerkosten und horrende Werbekosten konnte das schlechte Angebot der privaten Lebensversicherer bislang am Leben erhalten werden.» Auch das an den Realitäten und den tatsächlichen Problemen vorbeiargumentiert.

Zitieren wir zum Abschluss noch Matthias Kuert von Travail Suisse, der seit Jahren durch die Lande zieht mit der einzigen Botschaft, dass die Versicherer sich mit horrenden Profiten und den überrissenen Risikoprämien ihrer Vollversicherung an der 2. Säule mästen. Was weiss er uns zu sagen? «Das Hohelied der Versicherer auf die Verlässlichkeit der Vollversicherung als die einzige Lösung für die KMU gilt offenbar nicht mehr. Jedenfalls erhofft sich die Axa noch mehr Gewinne mit teilautonomen Lösungen.» Sagen wir es so: richtig überzeugen kann uns Kuert mit dieser gewagten Kehrtwende seiner Argumentation nicht wirklich.

Dass die Verhältnisse für die Vollversicherung mit einem massiv überhöhten Umwandlungssatz und sehr einschränkenden Anlagemöglichkeiten nicht mehr attraktiv sind, ist offenkundig. Aber hat vielleicht jemand der Assekuranz-Kritiker in den letzten Jahren etwas unternommen, um die Situation nicht nur für die Versicherer, sondern insbesondere für deren Versicherte, zu verbessern? Fehlanzeige. Kuert war an vorderster Front als Unterstützer mit dabei, als die vom Bundesrat höchstselbst vorgeschlagene Erhöhung der Legal Quote in der AV2020 auf 92% zur Diskussion stand, was selbstredend deren Risikofähigkeit auf den Kapitalmärkten noch mehr eingeschränkt hätte. Mehr noch: Kuert forderte sogar 95%! Schon klar: wenn schon, denn schon. Mehr als Versicherungs-Bashing und abstruse Forderungen sind der Linken nicht in den Sinn gekommen.

Rückblickend erstaunt noch mehr, wie der Bundesrat auf die damalige, rein auf populistischen Überlegungen beruhende Erhöhung gekommen ist. Oder vielleicht auch nicht. Man erinnert sich, dass die heute im BSV Zuständige für die 2. Säule, die ehemalige Gewerkschaftssekretärin Colette Nova, einst vollmundig erklärte: die Assekuranz hat in der 2. Säule nichts zu suchen. Falls sie ihre Meinung geändert hat – an der Politik des BSV ist das jedenfalls nicht zu erkennen. Sowohl Wichtigkeit wie Probleme der Vollversicherung sind allgemein bekannt. Irgendwelche Bemühungen zur Verbesserung der Situation weit und breit nicht festzustellen. Und absehbar ist, dass die Erhöhung auf die 92% wider jede Vernunft erneut aufs Tapet kommt.

Und jetzt sind die Sozialpartner aufgefordert, gemeinsame Vorschläge für die BVG-Revision dem Bundesrat vorzulegen. Das Klima, in denen die laufenden Probleme abgehandelt werden, lässt uns wenig Hoffnung auf ein Gelingen. Travail Suisse hat schon erkennen lassen, dass man von den Arbeitgebern Konzessionen bei den laufenden Lohnverhandlungen erwartet, wenn ein Kompromiss möglich sein soll. Ohne Kuhhandel scheint nichts zu gehen. Schöne Aussichten.

Peter Wirth