Vor Ferienbeginn haben Befürworter und Gegner der Altersvorsorge 2020 nochmals heftig in die Tasten gegriffen und in einem furiosen Crescendo Wohl oder Wehe der Reform beschworen. Lässt man die zahllosen Berichte und Kommentare Revue passieren, erkennt man: die Kontrahenten bewegen sich in getrennten Universen. Es ist kaum eine Frage auszumachen, bei welcher man in eindeutig definierten Argumenten ein objektives Für oder Wider formulieren könnte. Sehr bald schon landet man bei subjektiven Einschätzungen und diese werden auch für den Ausgang der Abstimmung im September ausschlaggebend sein. Es fällt in der Tat schwer, in abgehobener Objektivität die Sache zu betrachten. Wir haben es versucht. Wir geben zu: es will uns auch nicht gelingen. Erlauben Sie also ein paar ausgesprochen subjektive Wertungen.

Bundesrat Berset hat seine Warnung, seine Vorlage sei der «Plan B», schon bei der Präsentation der Vorlage ins Spiel gebracht und zwischenzeitlich ad nauseam wiederholt. Die Befürworter haben sie dankbar aufgenommen. Es ist die helvetische Variante der merkelschen Alternativlosigkeit. Entweder das oder gar nichts. Das ist Propaganda in eigener Sache. Es gibt im Leben immer Alternativen und erst recht in der Politik. Darauf darf man nicht hereinfallen.

Auch nicht sonderlich überzeugend sind Argumente wie «Nichtstun ist die teuerste Lösung» oder «die Reform ist besser als der Status Quo». Zum einen verlangt niemand, dass nichts getan werde, und dass eine Reform per Saldo Verbesserungen bringt, ist die Minimalforderung. Ein Umwandlungssatz von 6% ist besser als einer von 6,8%. Wenn aber die Realitäten bei 5% liegen, dann ist die Verbesserung einfach ungenügend.

Beim Umwandlungssatz zeigt sich die fundamentale Schwäche dieser Reform. Sie wird zu grossen Teilen durch den Umstand bestimmt, dass er gesetzlich definiert ist und damit potenziell einer Volksabstimmung unterliegt. Bei einer versicherungstechnischen Grösse das Gesetz ins Spiel zu bringen ist ein Unding. Aber es besteht keinerlei Hoffnung, dass unser Parlament dieses Spielzeug sobald wieder aus den Händen gibt.

Mit einem entpolitisierten Satz wäre eine echte Reform sehr viel einfacher zu haben und es käme auch niemand auf den Gedanken, für eine Senkung des Umwandlungssatzes als Trost eine AHV-Erhöhung vorzuschlagen.

Grob geschätzt werden zwei Drittel der Diskussion im Kern um den Umwandlungssatz geführt oder davon ausgelöst. Eine Diskussion, die sinnlos ist. Denn die versicherungstechnisch berechnete Grösse wird weitgehend bestimmt durch zwei exogene Faktoren, auf welche der Gesetzgeber nicht den geringsten Einfluss hat, ergo auch nicht auf die Resultante. Eine gesetzliche Festlegung ist deshalb Augenwischerei. Zwar kann man damit Renten im Einzelfall manipulieren, nicht aber in der Gesamtheit. Ein höherer Umwandlungssatz generiert nicht einen Rappen mehr an Rentensumme. Es wird lediglich in intransparenter Weise in Finanzierung und Verteilung eingegriffen. Mit Gewinnern und Verlierern. Eine politische Lotterie. Der Jahrgang entscheidet über den Ausgang.

Weder Bürgerliche noch Linke, weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer und auch nicht die Fachverbände wehren sich gegen die von Bundesrat und Verwaltung vorgeschlagenen und realitätsfernen 6%. Man verweist auf die Abstimmung von 2010, und sagt: mehr ist politisch nicht machbar. Genau besehen sagt man aber: das Volk ist zu dumm, um das zu verstehen.

Doch damit werden die Stimmbürger bloss für dumm verkauft. Das gilt auch für die abstruse, zwanzigjährige Uebergangsfrist und den anvisierten Leistungsausgleich, der nur im Obligatorium greift, auf einem zu hohen Umwandlungssatz beruht und damit zu falschen Erwartungen und zur gleichen Verwirrung führen muss wie der Begriff «Mindestumwandlungssatz». Wer hofft, mit dieser Reform werde das angeschlagene Image der beruflichen Vorsorge verbessert, gibt sich einer Illusion hin. Sie wird noch unübersichtlicher und komplexer. Man denke nur an die neue KA-Berechnung. Als Kollateralschaden dieser Revision dürften bei Annahme dutzende weiterer Kassen das Handtuch werfen. Das scheint niemanden zu interessieren. Profitieren werden Assekuranz und Sammelstiftungen.

Es kann nicht überraschen, dass die eine Sinnlosigkeit nur zu weiteren führt. Im konkreten Fall zu dem notorischen AHV-Ausbau, ohne den angeblich dem tumben Volk die halbbatzige Senkung des Umwandlungssatzes nicht zu verkaufen ist. Mit den bekannten verheerenden Folgen für die AHV-Finanzen.

Gar nicht zumutbar ist scheinbar eine Erhöhung des Rentenalters. Nicht einmal als Ultima Ratio, wenn es mit der AHV sonst Matthäus am Letzten wäre. Um Gottes Willen nicht. Nicht jetzt. Aber beim nächsten Mal, bei der nächsten Revision, reden wir darüber. Versprochen. Wie hat man einst gesagt? Gouverner c’est prévoir. Forget it!

Nein, es will nicht gelingen, objektiv und abgehoben zu bleiben. Es fällt einfach zu schwer, diese Zumutung emotionslos hinzunehmen. Viele meinen, das sei die unter den gegebenen Umständen die beste machbare Lösung. Wenn die Schweiz in der Tat nichts besseres zustande bringt, dann hat sie wohl auch nichts Besseres verdient. Aber man soll uns künftig mit der Bemerkung verschonen, das Ausland würde uns für unsere Altersvorsorge beneiden. Nicht mit einer solchen Revision.

Peter Wirth, E-Mail

Newsletter 340, 10.7.2017