imageProf. Monika Bütler hat in einem Interview mit dem St. Galler-Tagblatt nochmals ihre Vorbehalte gegenüber dem 70 Franken-Zückerchen formuliert. Auszüge:

Monika Bütler, bei der Rentenreform deutet vieles darauf hin, dass sich im Parlament das Modell des Ständerats durchsetzen wird. Ist das die Reform, die unsere Altersvorsorge braucht?
Nein. Ich muss ehrlich sagen, ich begreife nicht, was sich der Ständerat beim 70- Franken -Zuschlag zur AHV-Rente überlegt hat. Das ist ein Zückerchen ohne jede Treffsicherheit. Eine völlig ungerechte Giesskanne, die den einen zu viel gibt und den anderen zu wenig.

Jeder Neurentner würde die 70 Franken pro Monat erhalten. Wo liegt das Problem?
Es gibt zahlreiche angehende Rentner, denen es finanziell sehr gut geht. Und es gibt zahlreiche aktuelle Rentner, die wenig Geld haben und teilweise bereits von Rentensenkungen in der zweiten Säule betroffen waren. Und trotzdem sollen nur die Neurentner die AHV-Zulage bekommen. Das ist einfach ein Blödsinn.

Sie trauen den Leuten also genug Realitätssinn zu, um eine Reform ohne das berühmte Zückerchen zu schlucken?
Sagen wir es mal so: Ich habe nicht das Gefühl, dass die 70 Franken die Abstimmung entscheiden werden. Ich glaube sogar, dass sie sich als Bumerang erweisen könnten. Es wurde bisher nicht an die grosse Glocke gehängt, dass die aktuellen Rentner keinen Zuschlag erhalten. Wenn sich dort Widerstand regt, könnte aus dem Rentnerlager mehr Ablehnung kommen als Ja-Stimmen von denjenigen, die am meisten profitieren, den verheirateten 45- bis 65-Jährigen. Die sind übrigens auch im National- und im Ständerat am meisten vertreten.

Nein könnten auch die Jungen sagen. Man hat aber das Gefühl, dass dort das Interesse an dieser Reform nicht allzu gross ist. Wie erleben Sie das als Dozentin an der Universität?
Ich erlebe das auch so, obwohl es am Schluss ja vor allem die Jungen sind, die die Zeche bezahlen müssen. In Holland ist das übrigens ganz anders: Dort gehen die Jungen auf die Strasse. Und das, obwohl sogar die laufenden Renten gekürzt wurden. Bei uns ist das undenkbar.

Sie haben einmal gesagt, dass in der Schweiz bei politischen Debatten durchaus auf die Wissenschaft gehört wird. Wie erleben Sie das bei der Rentenreform?
Bundesrat Alain Berset hat zu Beginn den Kontakt mit der Wissenschaft gesucht. Aber mittlerweile sind wir in der Diskussion an einem Punkt angelangt, an dem beide Seiten auf ihrem Standpunkt beharren. Die Bereitschaft, sich mit Argumenten zu befassen, ist klein. Was mich momentan irritiert: Die Kritiker werden auf einer Ebene angegriffen, die ich so noch nie erlebt habe. Man wird gebrandmarkt als verantwortungslose Bedrohung eines Kompromisses, der coüte que coüte gelingen muss, auch wenn er vielleicht schlecht ist.

Es gibt Stimmen, die sagen, keine Reform wäre besser als die des Ständerats. Sehen Sie das auch so?
Ich bin noch unschlüssig, aber die Lösung des Ständerats sendet ein falsches Signal aus. Mit dem schlanken Paket, das Bundesrat Alain Berset ins Parlament geschickt hat, hätte ich leben können. Die Ständeratslösung ist nun völlig überladen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Die 70 Franken bereiten mir Kopfschmerzen. Es wird kaum mehr möglich sein, eine Reform zu machen, ohne jemandem ein Zückerchen zu geben. Das ist eine falsche Botschaft und ist einer Demokratie eigentlich unwürdig.