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Die Gewerkschaftszeitung “work” hat mit SGB-Präsident Paul Rechsteiner ein Interview zur Altersvorsorge 2020 geführt. Auszüge:

work: Die Altersreform 2020, die Sie massgebend geprägt haben, kam mit dem knappestmöglichen Resultat durch den Nationalrat. Sie standen hinten im Saal und kommentierten die 101 Ja-Stimmen mit «Heilandsack!» Warum?
Paul Rechsteiner: Das war meine spontane Reaktion auf das extrem ökonomische Resultat: keine Stimme zu viel, keine zu wenig.

Ein erleichtertes Heilandsack also?
Ja, da war viel Erleichterung dabei. Der Prozess um die Altersreform 2020 war ein Krimi. Der Bundesrat schlug zu Beginn eine Abbauvorlage vor. Höheres Rentenalter für Frauen, Senkung des Umwandlungssatzes, keinen garantierten Teuerungsausgleich mehr für Rentnerinnen und Rentner, Teilrückzug des Bundes aus der AHV-Finanzierung und so weiter. Wir haben im parlamentarischen Ringen die Vorlage stark verbessern können. Und das trotz dem Rechtsrutsch bei den Wahlen 2015 und trotz den vielen Zweiflerinnen und Zweiflern, die sagten: bei diesen Machtverhältnissen ist es unmöglich, noch etwas zu erreichen.

Sie haben für den Kompromiss mit der CVP und der BDP zusammengespannt. Ausgerechnet Vertreter dieser Parteien brachten kurz nach der Schlussabstimmung im Nationalrat über die jetzige Vorlage das Rentenalter 67 wieder ins Spiel. Ärgert sie das?
Nein. Niemand kann ernsthaft glauben, das Rentenalter 67 hätte irgendeine Chance beim Volk. Ausserdem wird die Vorlage am 24. September an der Urne nicht parteipolitisch entschieden.

Sie sind also trotz dem Widerstand von rechts und zum Teil auch in den eigenen Reihen zuversichtlich?
Ja, wenn wir die Vorteile der Reform gut erklären. Ich habe während und nach der Session im Bundeshaus so viele direkte Reaktionen wie noch nie bekommen. Die Leute haben die Debatte genau verfolgt. Die Stossrichtung der Reaktionen war: «Endlich geht wieder einmal etwas bei den Renten.» Aber es kommen auch viele Fragen. Etwa: Warum bekommen die bisherigen Rentner nicht mehr?

Und was antworten Sie darauf?
Die bisherigen Rentnerinnen und Rentner haben von der Revision keine Nachteile. Es ist uns gelungen, sämtliche Verschlechterungen abzuwehren. Und die AHV ist jetzt bis mindestens ins Jahr 2030 solide finanziert. Das ist auch für die aktuelle Rentnergeneration zentral.

Also Verteidigung statt Verbesserung.
Wie gesagt: Menschen, die bereits Rente beziehen, haben keine Verschlechterung. Die Rentenverbesserungen für Neurentnerinnen und -rentner werden via Lohnpromille ausschliesslich von den kommenden Generationen finanziert. Und die haben ja auch die Nachteile des höheren Frauenrentenalters und des sinkenden Umwandlungssatzes in der Pensionskasse.

Sie werden als Linker und Gewerkschafter in die Geschichte eingehen, der die Erhöhung des Frauenrentenalters einfach geschluckt hat. Obschon die Frauen immer noch weniger verdienen als die Männer.
Das ist der grosse Negativpunkt. Ich habe den Antrag gestellt, die Erhöhung zu streichen – erfolglos. Nicht einmal alle Ständerätinnen und Ständeräte von SP und Grünen haben mich unterstützt. Jene, für die ausschliesslich das Frauenrentenalter zählt, kommen zu einer negativen Bilanz. Jenen, die alles andere ausblenden, kann man wenig entgegenhalten. Doch ziehen wir bei diesem Mischpaket eine Gesamtbilanz, fällt sie klar positiv aus. Die bisherigen Debatten in den Gewerkschaften zeigen, dass die Vorlage von links grossmehrheitlich positiv bewertet wird. Vor allem auch, weil die Entwicklung in die richtige Richtung geht und nach 40 Jahren Stillstand die Renten endlich wieder verbessert werden. Damit wird eine neue Etappe in der AHV-Geschichte eingeleitet.

Wie erklären Sie sich den geradezu verbissenen Widerstand der Rechten?
Das liegt genau an dieser Stärkung der AHV. Die Rechten wollen dies um keinen Preis. In der Einigungskonferenz zwischen National- und Ständerat ging es von rechts höchst emotional und aggressiv zu. Die 70 Franken mehr AHV konnten sie einfach nicht ertragen. Sie hätten alles gemacht, um diese Verbesserung zu verhindern.

Das tönt ein wenig psycho.
Die AHV ist das sozialste Stück Schweiz und die grösste Errungenschaft der Schweizer Arbeiterbewegung. Sie gleicht nicht nur zwischen den Generationen aus, sondern auch zwischen Superreichen und Reichen auf der einen Seite und den Niedrig- und Mittelverdienenden auf der anderen. Die AHV demonstriert, wie effizient Solidarität ist. Und dies in einer Gesellschaft, in der es der Solidaritätsgedanke sonst gar nicht einfach hat. Die AHV ist gelebte Solidarität – das ist den rechten Parteien ein Dorn im Auge.