Die Verlautbarung Bersets zur Neuauflage der Rentenreform, welche vorderhand eine AHV-Reform ist, wird in den Medien rege kommentiert.

Berner Zeitung (Fabian Schäfer):

Neu ist, dass es ­keine zweite Mammutvorlage geben wird, mit der die beiden Säulen gleichzeitig reformiert werden. Stattdessen lässt der Bundesrat als Erstes eine separate Vorlage für die AHV ausarbeiten, da hier die Zeit drängt. Ab 2023 drohen in der AHV wachsende Defizite von über 1 Milliarde Franken im Jahr.

Als Gegenmittel plant Berset eine ­relativ schlanke Reform, die 2021 in Kraft treten soll. Sie umfasst in erster Linie die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Diesen Schritt will der Bundesrat irgendwie abfedern, er weiss aber noch nicht, wie.

In der Diskussion ist eine vorzeitige Pensionierung für Personen, die jung zu arbeiten begonnen haben und nur wenig verdienen, was primär Frauen hilft. Daneben will Berset die Pensionierung ­flexibler gestalten und dabei die ­finanziellen Anreize so setzen, dass es interessanter wird, über 65 hinaus zu arbeiten.

Das alles wird aber nie aus­reichen, um die AHV über 2030 hinaus zu sichern, wie es das Ziel ist. Deshalb muss der Bundesrat erneut üppige Mehreinnahmen in die Reform einbauen, voraussichtlich über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.

So weit, so klar. Bersets AHV- ­Paket entspricht ziemlich ­genau dem Plan B, den die FDP im Abstimmungskampf um die abgelehnte Reform vorgelegt hatte.

NZZ (Heidi Gmür)

An der Frage, wie die Abfederung aussehen soll und wie viel sie kosten darf, sowie an der Frage, um wie viel die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV erhöht werden soll, daran scheiden sich die Geister weiterhin. Für das Gelingen der Reform sollte aber eine möglichst breite Abstützung in drei der vier Bundesratsparteien anvisiert werden.

Gespannt darf man daher sein, welche Richtung der Bundesrat hier vorgeben wird. Das wird frühestens im Frühjahr der Fall sein. Bis dahin muss Sozialminister Alain Berset (sp.) dem Bundesrat die Eckwerte der AHV-Reform unterbreiten, bevor das Projekt im Sommer in die Vernehmlassung gehen könnte. Die Regierung strebt ein Inkrafttreten der Reform im Jahr 2021 an. Das hätten Rösti, Gössi und Pfister allerdings gerne etwas zügiger.

Gar keinen Fahrplan gibt es für die zweite Säule. Hier spielt der Bundesrat den Sozialpartnern den Ball zur Erarbeitung der Grundlagen zu. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt hofft aber, dass eine Reform 2021 in Kraft treten könnte.

Aargauer Zeitung (Anna Wanner)

Interessanterweise unterstützt neben CVP, FDP sowie Arbeitgeberverband auch die SVP die Stossrichtung des Bundesrats. Seine Partei sei mit den wesentlichen Punkten einverstanden, sagt der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner. Nur die Ausgleichsmassnahmen für Frauen brauche es aus SVP-Sicht nicht zwingend – unter dem wichtigen Vorbehalt, dass dadurch ein breiter Kompromiss zustande kommen würde.

Frehner: «Wir müssen jetzt eine Reform schnüren, die möglichst wenig Angriffsfläche bietet. Denn dieses Mal muss es klappen.» Deshalb schliesst er eine stetige Erhöhung des Rentenalters aus, auf solch umstrittene Massnahmen müsse jetzt verzichtet werden. CVP-Nationalrätin Ruth Humbel (AG) pflichtet ihm bei: «Die Erhöhung des Rentenalters ist kein Thema. Wir brauchen mehr Flexibilität beim Pensionsalter, wie es der Bundesrat vorschlägt.»

Während das Frauenrentenalter 65 unter bürgerlichen Parteien als gegeben gilt und eine Schuldenbremse aktuell als chancenlos abgetan wird, tun sich bei den Finanzierungsfragen Gräben auf. Jede Partei hat eine andere Vorstellung, wie genau das Loch in der AHV gestopft werden soll. Das beginnt bei der Frage, für wie lange die AHV überhaupt gesichert werden muss.

Da im Abstimmungskampf bemängelt wurde, die Sicherung sei zu kurzfristig, fordert die CVP eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um mindestens ein Prozent, wie Ruth Humbel sagt. Für die anderen bürgerlichen Parteien ist das zu hoch. Allerdings sagt Frehner, dass sich die SVP mit der GLP und der FDP in den Grundsätzen gefunden habe und sie nun darauf hofften, die CVP in den Kompromiss einzubinden.

Tages-Anzeiger (Markus Häfliger)

Bei der Altersvorsorge marschiert der Bundesrat zurück in die Zukunft. Drei Monate nach dem Scheitern der Altersvorsorge 2020 splittet die Regierung die damalige Monstervorlage in zwei Reformen auf: AHV und berufliche Vorsorge sollen separat saniert werden.

Damit holt die Exekutive ein Rezept aus der Schublade, mit dem er zwischen 2004 und 2010 mehrmals Schiffbruch erlitten hat — zweimal vor dem Volk und einmal im Parlament. Diese Niederlagenserie war der Grund, dass sich Sozialminister Alain Berset (SP) einst zu einer umfassenden Altersreform entschied. Weil er damit im September 2017 vor dem Volk ebenfalls scheiterte, versucht er es jetzt wieder im Einzelsprung. Das zeige, wie «flexibel» der Bundesrat sei, sagte Berset — und drückte seine Hoffnung aus, dass die anderen politischen Akteure nun ebenso flexibel seien, um — endlich! — einen Kompromiss zu ermöglichen.

Während links die Kritik an den gestrigen Beschlüssen gross ist, reagieren die Bürgerlichen positiv und die FDP sogar euphorisch. «Plan B der FDP wird zum Plan A des Bundesrats», jubiliert die Partei in einem Communiqué. Auch SVP-Nationalrat Sebastian Frehner hält die Stossrichtung grundsätzlich für richtig, findet aber, der Bundesrat hätte damit schon viel früher kommen können, «am Tag nach der Abstimmung». Grundsätzlich positiv reagiert auch Hans-Ulrich Bigler, der Direktor des Gewerbeverbands. Er kritisiert jedoch, dass der Bundesrat die Reform der zweiten Säule nicht parallel zur AHV-Reform anpackt.

Auch CVP-Ständerat Konrad Graber – ein Supporter der Altersvorsorge 2020 – gibt zu bedenken, die Staffelung verhindere, dass das Parlament eine Gesamtwertung auf Kosten- und Leistungsseite vornehmen könne. Sehr skeptisch ist Graber bezüglich des Einbezugs der Sozialpartner: «Dass sich der Arbeitgeberpräsident und der Gewerkschaftsboss am runden Tisch plötzlich einigen können, ist fast unvorstellbar.»

Tages-Anzeiger (Markus Brotschi)

Zu den Ausgleichsmassnahmen für Frauenrentenalter 65 äussert sich der Bundesrat auffallend vage, das Wort Kompensation nimmt er nicht in den Mund. Denn mehr als eine Abfederung der Frühpensionierung für Frauen mit tiefen Löhnen ist im Parlament nicht mehrheitsfähig. SP und Gewerkschaften treiben ihrerseits den Preis für ein höheres Frauenrentenalter in die Höhe, im Wissen darum, dass sie im Parlament mit ihrer Forderung nach höheren AHV-Renten auflaufen. Dies wiederum wird der Linken die Legitimation geben, die Reform wegen Frauenrentenalter 65 zu bekämpfen.

Denn nun haben die Bürgerlichen das Heft in der Hand. Eine Mitte-Links-Allianz wird es im Parlament nicht mehr geben. Das weiss der Bundesrat. Es ist folgerichtig, dass er sich am Plan B der FDP orientiert, die federführend war im Kampf gegen die Rentenreform mit 70 Franken AHV-Zuschlag.

  BZ / NZZ /  AZ