Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis;
Das Unbeschreibliche, hier ist’s getan;
Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.

Goethe, Faust, der Tragödie zweiter Teil
Der feministische Frauenstreik fand einen Tag vor meiner Rückkehr aus den Ferien statt. Den habe ich verpasst. Nicht ganz verpasst hat ihn die Malerin, die am Streiktag mein Schlafzimmer neu ausmalte und nach getaner Arbeit an der Tramhaltestelle freundlich darüber informierte wurde, dass wegen des Streiks das Tram ausfällt und die verehrten Fahrgäste gebeten sind, den Weg zum Bahnhof per pedes zurückzulegen. «Wir danken für Ihr Verständnis» plärrte es aus dem Lautsprecher. Ihr Verständnis war begrenzt. Mit müden Füssen und schmerzenden Handgelenken hätte sie es gerne etwas bequemer gehabt. Und der Streik konnte ihr gestohlen bleiben.

Wie viele Handwerkerinnen sich der «violetten Welle», welche die Schweiz angeblich überrollte, angeschlossen haben, ist nicht in Erfahrung zu bringen; die Fotos lassen eher auf Studentinnen und Angehörige sitzender Berufe schliessen, die mit Hingabe gegen die grassierende Ungerechtigkeit und das patriarchalische Diktat demonstrierten. Ihre strahlenden Gesichter lassen immerhin erkennen, dass die erlittene Ungerechtigkeit keine sichtbaren Spuren hinterlassen hat. Ebenfalls nicht auszumachen sind Frauen in Burkas, die in verschiedenster Hinsicht einiges zu meckern und zu klagen hätten. Aber die passten wohl nicht ins Bild. Der Kampf für Abschaffung des Kapitalismus oder besser noch gleich der Männer, scheint nicht von allen Kreisen in gleicher Weise getragen zu werden.

Die Ungerechtigkeit, wir wissen es, ist auf Franken und Rappen genau an den diskriminierend tieferen Frauenlöhnen und entsprechend tieferen Renten der beruflichen Vorsorge festzumachen. Das Bundesamt für Statistik liefert dazu das gewünschte Material: mit unerklärbaren, unerklärlichen und ungeklärten Lohndifferenzen. Da muss frau auf die Strasse, um der Empörung Luft zu machen. Den alten, weissen, toxischen Männern ist der Marsch zu blasen.

Allerdings gab es schon immer Zweifel an den BFS-Daten. Sie werden errechnet aus den Zahlen der Lohnerhebung und gemäss internationalen Standards aufbereitet. Entscheidend sind sog. objektive Kriterien. Mutterschaft (ist der Begriff noch erlaubt?) gehört bspw. nicht dazu. Das lässt sich rechtfertigen mit dem Argument, dass sie auf die Lohnhöhe keinen Einfluss haben darf.

Allerdings wäre zu fordern, dass das Bundesamt die Daten so aufbereitet, dass sie für eine weitere und vertiefte Analyse dienen können, um das hilflose und irreführende «nicht erklärbar» zu überwinden. Zivilstand und Mutterschaft bieten dazu ein höchst fruchtbares Feld, weil bei deren Berücksichtigung die Differenzen statistisch weitgehend verschwinden. Das scheint aber in Neuchâtel nicht zu interessieren. Sollte es aber, zumal die Daten von grosser gesellschaftspolitischer Bedeutung sind und einseitig Teile dieser Gesellschaft in ihren Forderungen unterstützen.

Noch mehr zu denken gibt, dass die angebliche Lohndifferenzen schlicht nicht plausibel sind, etwa bei den öffentlichen Arbeitgebern, deren Lohngesetze nicht nur mit massgeblichem Einfluss der (linken) Angestelltenverbände zustande kommen und keinerlei geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen. Erkennbar ist dies beispielsweise daran, dass das Rentenalter bei den öffentlichen Pensionskassen in höherem Ausmass bereits für beide Geschlechter auf 65 festgelegt ist als bei den Kassen privater Arbeitgeber.

Hier liesse sich einwenden, dass Plausibilität kein Kriterium für gestandene Statistiker sein darf. Die Zahlen sind wie sie sind und basta. Erneut zu kurz gedacht, vor allem, wenn sie sich empirisch nicht nachweisen lassen. Die NZZ hat mit einigem Aufwand versucht, die für die öffentlichen Arbeitgeber ermittelten Lohndifferenzdaten gemäss BFS zu bestätigen: Fehlanzeige. Katharina Fontana fasste die Ergebnisse kurz und treffend im Titel ihres Artikels zusammen: «Der grosse Bluff der Lohndiskriminierung».

Auf privater Seite das gleiche Ergebnis. Das vom Arbeitgeberverband beauftrage HSG-Institut, das die Zahlen aller den lohnpolizeilichen Vorgaben unterstellten Firmen unter die Lupe nahm, konnte so gut wie keine Differenzen ausmachen, die auch nur entfernt als Diskriminierung bezeichnet werden könnten.

Mit anderen Worten: Lohndiskriminierung darf man vergessen, trotz allem Getöse, aufgesetzter Empörung und parlamentarischem Theater. Sie findet schlicht nicht statt. Lohndifferenzen als Begründung für beliebige Forderungen bei der Sozialversicherung und sonstigen Bereichen müssen mangels Substanz fallen gelassen werden. Aber für einen lustigen Streiktag dürfen sie noch alleweil dienen – unter der Bedingung, dass man ihn nicht mehr ernst zu nehmen braucht.

Peter Wirth, E-Mail