Kürzlich hat Jérôme Cosandey, Directeur romand und Forschungsleiter Sozialpolitik bei Avenir Suisse, sich in den Medien für die freie Pensionskassenwahl stark gemacht. Es gibt einige Argumente dafür und zahlreiche dagegen. Ich habe mich mit Cosandey darüber ausgetauscht. Hier das Resultat unserer Diskussion.
Lieber Jérôme,
Du schlägst vor, dass die Sozialpartner den Umfang – das heisst die Leistungshöhe – der Vorsorge einer Firma definieren. Die Versicherten sollten dann die Freiheit haben, das so definierte Sparkapital resp. die laufenden Beiträge der Kasse ihrer Wahl anzuvertrauen. Die Risikodeckung würde weiterhin kollektiv beim Arbeitgeber versichert.
Ein Problem ergibt sich gleich beim ersten Schritt. Die Leistungshöhe resp. der für die Pensionskasse betriebe Aufwand wird letztlich vom Arbeitgeber bestimmt. Man kann ihn nicht zu Leistungen über dem BVG-Minimum zwingen. Mit der freien Wahl fällt die Verbindung von Kasse und Arbeitgeber weg. Was hat das für Folgen für die Motivation des Arbeitgebers, mehr als das Minimum zu tun?
Wie würde eine Pensionskasse aussehen, welche über den Markt Versicherte akquirieren könnte? Sie sähe eher aus wie die heutige Kollektivversicherung als wie eine klassische Pensionskasse. Denn sie dürfte kaum in Unterdeckung geraten. Ein Arbeitgeber könnte nicht dazu gezwungen werden, Sanierungsbeiträge an eine von den Versicherten frei gewählte Kasse zu entrichten. Man müsste also Garantien wie bei der Kollektivversicherung verlangen, mit den entsprechenden Restriktionen auf der Anlageseite und den Folgen für die Rendite.
Ginge es auch anders? Wir haben an dieser Stelle schon früher den Gedanken entwickelt, das Obligatorium mehr oder weniger in seiner heutigen Form zu belassen, hingegen der überobligatorische Teil in Form von 1e-Plänen freizugeben. Für 1e-Pläne besteht keine Notwendigkeit der Bindung an eine Kasse. Sanierungsprobleme stellen sich nicht. Die leidige Umverteilung fällt weg.
Lieber Peter
Ich bin mit dem ersten Einwand – man würde Richtung Minimalpläne gehen – nicht einverstanden. Die Befürchtung hatte man schon bei der Einführung des Freizügigkeitsgesetzes (FZG) anfangs 1990er Jahre, nach dem Motto: warum soll sich ein Arbeitgeber engagieren, wenn das Geld dem Mitarbeiter beim Stellenwechsel folgt? Und siehe da? Wir haben immer noch ca. 650 Mrd. Fr. im Überobligatorium.
Weshalb? Solange die BVG-Sparbeiträge steuerbefreit sind, bleibt es für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer interessant, diese Lohnanteile in die 2. Säule einzuzahlen. Bei gleicher Gesamtentschädigung für den Arbeitgeber, hat der Arbeitnehmer netto mehr – bloss zeitlich verschoben. Für den Arbeitgeber ist es gleich teuer – er kann sich aber «als grosszügiger, moderner» Arbeitgeber positionieren, der eine starke Vorsorgelösung bietet. Und der Vergleich von Vorsorgelösungen ist weniger transparent als eine Zahl wie der Bruttolohn, was eine Differenzierung ermöglicht.
Der zweite Einwand, dass die Risikofähigkeit solcher Kassen mit freier PK-Wahl sinken würde, trifft zu. Dadurch ginge auch Rendite verloren. Dafür würde die systemwidrige Umverteilung grösstenteils verschwinden. Es sind immerhin ca. 1700 Fr. pro Versicherte pro Jahr. Diesen Nutzen müsste man berücksichtigen und gegenüber den Renditenverlusten abwägen.
Für die 1e-Pläne (auch wenn ich sie grundsätzlich unterstütze), müsste man den gleichen Vorbehalt (oder nach meiner Meinung eben nicht) gegenüber dem Engagement der Arbeitgeber im Überobligatorium haben.
Warum würden die Arbeitgeber eine überobligatorische Lösung mit 1e-Plänen anbieten, und bei der freien PK-Wahl nicht? Er hat bei beiden Lösungen die gleiche Motivation und Möglichkeit, sich am Markt mit überdurchschnittlichen Paketen zu positionieren.
Und schliesslich sind 1e-Pläne nur für hohe Einkommen möglich. Hingegen gibt es andere überobligatorische Lösungen, z.B. via Senkung des Koordinationsabzugs oder zusätzliche Sparbeiträge, die man für «normale» Einkommen mit der freien PK-Wahl anbieten könnte, mit 1e-Plänen hingegen nicht.
Lieber Jérôme
Dein Einwand gegen die Gefahr einer Leistungsminderung durch die freie Wahl der PK trifft wohl zu. Der Punkt geht an dich. Ich befürchte aber, die berufliche Vorsorge verliert derzeit generell an Attraktivität, teils durch äussere Umstände, teils hausgemacht. Das tangiert auch die Leistungshöhe.
Du siehst auch die Gefahr, dass frei gewählte Kassen in ihrer Risikofähigkeit bei den Anlagen eingeschränkt sind. Du rechnest das auf gegen die bestehende Umverteilung. Aber das Problem der Umverteilung müsste gelöst sein, bevor man die freie PK-Wahl einführt. Voraussetzung wäre, dass man einen versicherungstechnisch korrekten Umwandlungssatz hat. Davon sind wir Tag für Tag weiter entfernt.
Und zu den 1e-Plänen: sie haben auch ihre Nachteile und sind keinesfalls die Antwort auf alle Fragen. Ich glaube, sie sind auch die Reaktion auf die aktuelle Situation, in welche die 2. Säule durch die Politik geraten ist.
Die freie PK-Wahl ist ein wertvoller Denkansatz für die Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge. Sie entspricht wohl auch einem wachsenden Bedürfnis jüngerer Versicherter. Angesichts der ungenügenden Vorschläge für die BVG-Revision, wie sie heute vorliegen, ist mir wichtig, das noch zu erwähnen.
Lieber Peter
Es ist mir bewusst, dass auch die freie PK-Wahl nicht sämtliche Probleme der 2. Säule lösen kann. Es stimmt auch, dass vor dem Systemwechsel manche Hausaufgaben im heutigen Konstrukt zu erledigen sind. Das ist aber genau der Punkt: die Diskussion um die freie PK-Wahl macht deutlich, dass ein neues System zwar nicht perfekt wäre, aber die jetzige Organisation der beruflichen Vorsorge bei weitem auch nicht.
Jérôme Cosandey, E-Mail
Peter Wirth, E-Mail