«Das Hauptmotiv einer BVG-Reform war immer die Senkung des gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes, der festschreibt, welcher Anteil des ersparten Rentenkapitals pro Jahr als Rente ausbezahlt werden muss.
Diese starre Vorgabe brachte das System in Schieflage: Den Älteren mussten höhere Renten ausbezahlt werden, als sie in jungen Jahren an Kapital angespart hatten. Doch mittlerweile haben die Pensionskassen das Problem der Umverteilung von Jung zu Alt mit einer Mischrechnung aus gesetzlicher und freiwilliger Vorsorge weitgehend gelöst.
Die Branche hat einen Weg gefunden, ohne Reform zu überleben und sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen. Die Branche würde ebenso agil mit der Reform umzugehen wissen. Die Abstimmungsvorlage mag überfordernd sein.
Doch zum Glück ist sie kein Entscheid über Prosperität und Verderben. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn der persönliche Abstimmungsentscheid ohne starke Überzeugungen erfolgt. Selbst BVG-Expertinnen und -Experten werden hier nicht nur sachlogisch entscheiden.
Im Kern stellt sich eine einfache und doch nicht einfach zu beantwortende staatspolitische Frage: Wollen wir ein politisches System, das zumindest in Ansätzen handlungsfähig bleibt und Ziele vorgibt, oder sind wir der Ansicht, dass neue Regulierungen das System bloss komplexer, aber nicht besser machen?
Der Preis der direkten Demokratie ist der grosse Murks. Ein Murks, wie ihn die aktuelle BVG-Vorlage sinnbildlich verkörpert und der zu fast unüberwindbaren Reformhürden führt. Der Benefit der Abstimmungsdemokratie liegt auf einer anderen Ebene.
Die direkte Demokratie ist eine Maschine, die Vertrauen schafft. Sie nimmt die Stimmberechtigten für vollwertig und mündig. Sie traut ihnen anspruchsvolle Sachentscheide zu, und, ja, sie ist gelegentlich eine Zumutung, weil sie überfordert.
Dieses System schöpft seine Zukunftsfähigkeit nicht aus grossen, durchdachten Reformschritten, sondern aus seiner feinstofflichen Beschaffenheit. Es lebt von Bürgerinnen und Bürgern, die das in sie gesetzte Vertrauen mit Engagement, Gegenvertrauen und Mitverantwortung danken.
Und es lebt von Akteuren in Wirtschaft und Gesellschaft, die sich auch ohne strenge gesetzliche Vorgaben im Kleinen stets von neuem für Verbesserungen und Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen einsetzen. So wie dies bei der beruflichen Vorsorge in den letzten Jahren geschehen ist.»