Die Situation ist bekannt, sie ist unbefriedigend, gilt aber als unabänderlich: Wer eine Kasse mit gut gefüllten Reserven verlässt, verliert seinen Anspruch daran. Wer Glück hat, wechselt in eine Kasse in ähnlich guter Verfassung. Eventuell landet er oder sie auch in einer Vorsorgeeinrichtung mit Sanierungsbedarf, was zumindest eine Einbusse an Vorsorgesicherheit bedeutet. Schwankungsreserven werden in den Kassen kollektiv gebildet und sind somit dem Zugriff des einzelnen Destinatärs entzogen.

Dass es so ist, heisst nicht, dass es auch so sein muss. Und unsere 2. Säule ist immerhin so flexibel, dass andere Lösungen möglich sind. Dies hat Stefan Thurnherr, Partner des Vermögenszentrums VZ, an einer Online-Präsentation der IZS anhand eines Modells mit individualisierten Wertschwankungsreserven aufgezeigt.

Das von Thurnherr vorgestellte Modell – das nur wenig bekannt ist – wurde konkret in einer Kasse eingeführt und hat sich offenbar bewährt. Thurnherr war mit Unterstützung der Libera an seiner Entwicklung beteiligt. Sie hat mehrere Jahre gedauert und wurde, was nicht ganz selbstverständlich ist, von der Zürcher Aufsicht nach ein paar Anpassungen abgesegnet. Es verstösst in seinem Ansatz auch nirgends gegen irgendwelche Vorschriften.

Da zwischen den Versicherten einer Kasse vielfältige Solidaritäten und Leistungsgarantien bestehen, hat sich das als recht anspruchsvolles Projekt erwiesen. In der schliesslich gefundenen Lösung wird das persönliche Guthaben aufgeteilt auf ein Garantie- und ein Überschusskonto, wobei auf das Überschusskonto maximal 30 Prozent entfallen dürfen. Leitplanken werden auch gesetzt bei der Höhe der Verzinsung, die auf die Spanne zwischen -3 und +5 Prozent limitiert ist.

Weil naturgemäss Verluste den individuellen Wertschwankungsreserven belastet werden müssen und bei Austritt eines Versicherten in einem «ungünstigen» Moment möglicherweise Leistungsgarantien nicht eingehalten werden können, bestehen ergänzend kollektive Reserven. Diese müssen ausreichend dotiert sein, um in einer kritischen Situation allen Ansprüchen zu genügen; gleichzeitig möchte man sie möglichst tief halten.

Haben wir hier ein Modell, das sich für alle Kassen eignet? Nein. Wie Thurnherr darlegte, ist es praktisch nur durchführbar, wenn a) die betreffende Kasse hohe überobligatorische Leistungen bietet und b) der Arbeitgeber einen deutlich über 50 Prozent liegenden Anteil der Beiträge übernimmt. Im Falle der betreffenden Kasse, welche das System eingeführt hat, bezahlt der AG 70 Prozent der Beiträge.

Das – zusammen mit dem beträchtlichen Aufwand zur Einführung des Modells – relativiert seine Bedeutung. Als echte Innovation verdient es zweifellos Beachtung und Anerkennung. Thurnherr ist auch bereit, Interessenten mit weiteren Informationen behilflich zu sein.

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Das Modell gehört zu den Bemühungen, der 2. Säule gegen den allgemeinen Trend zu mehr Individualisierung zu verhelfen. Allerdings geht es deutlich weniger weit als 1e-Pläne, welche Erträge und Risiken ganz dem einzelnen Destinatär zuordnen, ihm bei der Wahl der Anlagepläne auch mehr Entscheidungsfreiheit geben. Deren Anwendung ist durch die Beschränkung auf spezielle Kassen und auf Einkommensteile über 132’000 Franken aber noch stärker eingeschränkt.

Zwar lassen Umfragen erkennen, dass die Versicherten durchaus mehr Wahlfreiheit, sprich Individualisierung, in ihren Pensionskassen wünschen, aber die Erfolgschancen einer solchen Entwicklung sind bescheiden. Insbesondere die Gewerkschaften stellen sich vehement dagegen: Man erinnert sich an die Kritik aus VPOD-Kreisen, als die Zürcher BVK sich erkühnte, unterschiedliche Rentenbezugsmodelle einzuführen oder an den Widerstand gegen flexible Renten. Das Heil wird noch immer in weitgehender Kollektivierung mit maximalen Garantien gesehen. Man übersieht gerne, dass Flexibilität und Individualisierung zu Effizienzgewinnen führen können, was nicht nur mehr Freiheit, sondern auch Leistungsgewinne bedeutet.
Peter Wirth, E-Mail

PS 1: Der Online-Anlass der IZS mit Stefan Thurnherr wird am 28. November wiederholt. Anmeldung
PS 2: Thomas de Courten, Präsident des Vorsorgeforums, wurde im Kanton Baselland für den Nationalrat mit einem hervorragenden Resultat wiedergewählt. Wir gratulieren herzlich.