Die FDP ist mit der Bundesratswahl beschäftigt. Und die SVP hat kein Interesse, ihre Wählerschaft mit Forderungen zur AHV-Sanierung zu vergraulen.
Tages-Anzeiger
Rudolf Strahm pro erste, contra zweite Säule
pw. Rudolf Strahm hat im Tages-Anzeiger eine weitere Folge seiner bekannten Polemik gegen die 2. Säule publiziert, diesmal mit Blick auf die Abstimmung zur AV2020. Kritiken an der Vorlage werden pauschal als “Stimmungsmache” bezeichnet. Zahlen, die nicht in sein Weltbild passen, generell in Zweifel gezogen. Die diversen Analysen und Umfragen von UBS, CS, Complementa und Swisscanto als “Gefälligkeitsstudien” abqualifiziert. Unter diesem Titel sind sie automatisch nicht ernst zunehmen.
Besonders schlecht kommt bei Strahm die AHV-Analyse der UBS von Veronica Weisser und Bernd Raffelhüschen an. Auch das BSV mag sie anscheinend nicht besonders. Für alternative Zahlen sind wir jederzeit zu haben, Strahm hat dazu nichts anzubieten. Dabei machen die Autoren der Studie nichts anderes, als die Leistungsversprechen den Zahlungsverpflichtungen gegenüberzustellen und zu saldieren. Dass der Saldo massiv negativ ist, kann wohl nicht der UBS angelastet werden und auch nicht den Autoren der Studie.
Der Vorwurf, dass künftige Beitragserhöhungen nicht berücksichtigt würden, geht ins Leere. Die Konsequenzen der AV2020 werden sehr wohl und detailliert aufgezeigt. Dass mehr, sogar viel mehr nötig ist, wird transparent gemacht. Gemäss BSV-Zahlen, also unverdächtig (wenn auch nicht über alle Zweifel erhaben), würde trotz AV2020 nach 2030 der Ausgleichsfonds innert fünf Jahren auf 50% einer Jahresausgabe abstürzen. Die Autoren der UBS-Studie haben dieses Szenario einfach bis 2050 erweitert und in Prozent des BIP umgerechnet. Das bringt sie unweigerlich in die Kategorie der bei der SP besonders unbeliebten Angstmacher. Dumm nur, wenn die Angstmacher auch noch recht behalten, wie die laufenden Umlageresultate zeigen.
Nichts Neues ist Strahm zur 2. Säule und den Vermögensverwaltungskosten eingefallen. Jeder Franken, der dafür aufgewendet wird, ist offenbar ein Franken zu viel. Wer auf einer Versicherung arbeitet oder bei einer Bank oder als Berater oder bei einer Pensionskasse, hat das offenbar unentgeltlich zu tun, wenn es die 2. Säule betrifft. Dass die Pensionskassen heute sehr genau schauen, wieviel sie für was bezahlen, ist ihm noch nicht aufgefallen, dafür kolportiert er unverdrossen die alte Mär, dass jeder 7. Franken in der “Kostenfalle” der 2. Säule “versickere”.
Mit diesen und ähnlichen Scheinargumenten und Zahlenspielerein hat sich Roland Kriemler an dieser Stelle bereits im Detail auseinandergesetzt. Wer willens ist, sich mit dem Thema Strahm intensiver auseinanderzusetzen, sei dies als Lektüre empfohlen.
Kommentar Strahm im TA /
Kommentar Kriemler / Weitere Strahm-Kolumnen
K-Tipp gegen AV2020
Im Tages-Anzeiger berichten Markus Brotschi und Andreas Valda über die Referendumskampagne des K-Tipp gegen die Altersvorsorge 2020. Festzuhalten ist, dass es aufgrund der MWSt-Erhöhung in jedem Fall zu einer Abstimmung kommt, ob mit oder ohne Referendum, da ohne Zustimmung zur MWSt die AV2020 nicht in Kraft treten kann und die MWSt, weil in der Verfassung verankert, vors Volk muss.
Bisher wurden die Unterschriften gegen die Rentenreform nur von einem linken Komitee vorab in der Romandie gesammelt. Aber nun tritt mit der Konsumentenzeitschrift «K-Tipp» in der Deutschschweiz ein gewichtiger Gegner der Altersvorsorge 2020 auf den Plan. Dem neusten «K-Tipp» mit einer Auflage von 248 000 Exemplaren und rund 900 000 Leserinnen und Lesern liegt ein Unterschriftenbogen für das Referendum bei. Ebenfalls verschickt wird der Bogen an die rund 500 000 Leser der aus dem gleichen Verlag stammenden Zeitschrift «Saldo». Damit dürfte das Referendum gegen die Altersvorsorge 2020 zustande kommen. (…)
Die inhaltliche Kritik richtet sich beim «K-Tipp» gegen das Pensionskassensystem. Die Reform zeuge vom Versagen des Politiksystems, sagt Peter Salvisberg (Geschäftsleitung K-Tipp). Die Senkung des Umwandlungssatzes führe zu ungerechtfertigten Rentenkürzungen. Dass die Lebenserwartung auch in Zukunft weiter steigen werde, sei im Parlament wie ein «Mantra» heruntergebetet worden, dabei stagniere die Lebenserwartung. Zudem sei die zweite Säule mit 1700 Pensionskassen ineffizient und die Versicherungen verursachten hohe Verwaltungskosten. Die Pensionskassen sässen auf hohen Reserven von 116 Milliarden und erwirtschafteten trotz historisch tiefer Zinsen «prima Renditen», etwa mit Liegenschaften, von denen die Versicherten nur begrenzt profitierten.
Erste Kontroversen um die Verordnungen zur AV2020
Der Tages-Anzeiger berichtet über die Arbeit des BSV an den Verordnungen zur Altersvorsorge 2020 mit ihren vielen Gesetzesänderungen. Kreise, die mit den ersten Entwürfen vertraut sind, aber daran keine Freude haben, werden Sie wohl dem TA zugespielt haben. Bundeshausredaktor Fabian Renz schreibt:
Die Bundesverwaltung tüftelt schon jetzt an den Verordnungen herum, in denen die Fein- und Einzelheiten des gewaltigen Gesetzesprojekts geregelt sind. Wie das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf Anfrage bestätigt, werden die Verordnungsentwürfe noch vor der Abstimmung in eine öffentliche Vernehmlassung geschickt. Der Start erfolge voraussichtlich «in den nächsten Wochen».
Vor allem ein Vorschlag sorgt im Hintergrund jetzt schon für Kontroversen. Es geht um die Menschen, die bei Inkrafttreten der Reform mindestens 45 Jahre alt sind. Für diese sogenannte Übergangsgeneration enthält die Gesetzesvorlage eine spezielle Schutzklausel: Den Betroffenen wird garantiert, dass sie aus der Pensionskasse mindestens gleich viel Geld erhalten, wie es unter den heutigen Regeln der Fall wäre – der tiefere Mindestumwandlungssatz würde ihnen also keine Verluste verursachen.
Der noch interne Verordnungsentwurf des BSV sieht nun aber vor, dass dieser Schutz nur gilt, wenn man bis zum 65. Geburtstag arbeitet. Wer früher aufhört, bekäme die Verluste nicht ausgeglichen. Vor allem ältere Jahrgänge könnte dies empfindlich treffen, da ihnen die Zeit fehlt, sich ein grösseres Altersguthaben anzusparen.
TA: Der Röstigraben bei der Altersvorsorge
Während die Deutschschweizer Wirtschaftsverbände die Nein-Parole gegen die AV2020 ausgeben, sind die Romands dafür. Der Tages-Anzeiger schreibt:
Er habe aus Westschweizer Unternehmerkreisen nur positive Reaktionen auf diese Stellungnahme erhalten, sagt Christophe Reymond (Centre Patronal). «Fast alle Wirtschaftsorganisationen in der Romandie sind für die Reform.» Bereits Anfang März hatte die Fédération des Entreprises romandes, der Westschweizer Unternehmerverband, die Rechte im Parlament aufgefordert, im übergeordneten Interesse den Widerstand gegen die von der SP-CVP-Mehrheit im Ständerat beschlossenen Erhöhung der AHV-Renten aufzugeben und der Reform zuzustimmen.
Doch die Schaltzentralen der nationalen Wirtschaftsverbände in Zürich und Bern bereiten zurzeit eine Nein-Kampagne vor, um am 24. September die Vorlage an der Urne zu Fall zu bringen. Der Schweizerische Arbeitgeber- und der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) haben ihre Nein-Parolen gefasst. Am Montag wird noch das Nein des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse erwartet. SGV-Direktor und FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler lässt keine Zweifel offen, dass die nationalen Wirtschaftsverbände zusammen mit FDP und SVP eine geballte Kampagne gegen die Altersvorsorge lancieren.
AV2020: Übersicht über die Reaktionen im TA
Der Tages-Anzeiger hat einige Reaktionen auf den Entscheid des Parlaments gesammelt.
TA / 20 Minuten
Tages-Anzeiger: “Ein vernünftiger Schritt”
Daniel Foppa kommentiert im Tages-Anzeiger die Parlaments-Beschlüsse zur AV2020:
Gesondert betrachtet wären die Mehrkosten angesichts der demografischen Entwicklung nicht zu verantworten. Vor allem, weil die AHV-Erhöhung flächendeckend an alle Neurentner entrichtet wird — und nicht nur an jene, die darauf angewiesen sind. Eingebettet in das Gesamtpaket dieser umfassenden Reform sind sie jedoch vertretbar. Sie sind, wenn man so will, der Preis der direkten Demokratie.
Unter dem Strich kommt nun am 24. September eine Rentenreform zur Abstimmung, die als Kompromissvorlage niemanden so richtig glücklich macht, aber dennoch ein Ja verdient. Sie ist eine Absage an reine Ausbauvorlagen nach der blauäugigen Maxime, ein reiches Land wie die Schweiz verfüge über unendliche Mittel für die Rentenfinanzierung.
Die Vorlage ist gleichzeitig eine Absage an eine rein versicherungsmathematische Betrachtung des Rentensystems und an ein Vabanquespiel, wonach das System erst mal an die Wand gefahren werden soll, um anschliessend einschneidende Sparmassnahmen durchzusetzen.
TA: Wer gibt nach?
Markus Brotschi befasst sich im Tages-Anzeiger mit den Kräfteverhältnissen bei der anstehenden Einigungskonferenz zur AV2020 und zitiert mehrfach Konrad Graber, der die SGK-S präsidiert und aus dessen Worten allenfalls auf eine gewisse Kompromissbereitschaft geschlossen werden könnte. Da Graber angeblich Bundesratsambitionen hegt, könnte dies einem Zugehen auf FDP und SVP förderlich sein. Bloss hat sich die CVP dermassen auf den AHV-Zuschlag und das Zusammengehen mit der SP versteift, dass dies einer grösseren Überraschung gleichkäme. Im Artikel heisst es:
CVP, SP und Grüne stellen in der Einigungskonferenz mit 14 Sitzen die Mehrheit. SVP und FDP sind mit 12 National- und Ständeräten vertreten. Sollte es dennoch zum Stimmenpatt kommen, fällt Graber der Stichentscheid zu. Falls die Mitte-links-Allianz will, kann sie den Einigungsvorschlag nach ihrem Gusto ausgestalten. Doch dies sei nicht sein Ziel, versichert der 58-Jährige. Der Wirtschaftsprüfer verfügt über eine Ausbildung als Mediator und weiss, wie zwischen zerstrittenen Parteien vermittelt werden kann. Der Ständerat, der als möglicher Nachfolger von Bundesrätin Doris Leuthard gehandelt wird, ist die Ruhe selbst, wägt seine Worte ab, selbst wenn der Ton gehässig wird. Er strebe nach einem breit abgestützten Kompromiss und nicht nach einem Diktat der knappen Mehrheit, sagt er.
BVK: VPOD setzt eigene Stiftungsräte unter Druck
Der Tages-Anzeiger berichtet über die Forderung des VPOD an die eigenen Stiftungsräte bei der kantonalzürcherischen Kasse, die gesetzlich geforderte Schweigepflicht gegenüber Dritten nicht länger einzuhalten. Im Beitrag von Daniel Schneebeli heisst es:
In der BVK, der grössten Pensionskasse der Schweiz, stehen Wahlen an. Der Stiftungsrat, der für 30 Milliarden Franken Vorsorgevermögen von rund 120’000 Versicherten verantwortlich ist, wird im Mai für vier Jahre neu bestimmt. Der Stiftungsrat ist gross: Die Arbeitgeber haben Anrecht auf neun Sitze, die Arbeitnehmer ebenso.
In der Regel gehen solche Wahlen ohne viel Aufsehen über die Bühne. Doch aufseiten der Arbeitnehmer kommt es diesmal zu einer dicken Überraschung. Die Gewerkschaft VPOD wird ihre einzigen beiden Mitglieder im Stiftungsrat, den ehemaligen Mittelschullehrer Ernst Joss und den Bibliothekar Guido Suter, nicht zur Wiederwahl empfehlen – obwohl beide gerne nochmals für den VPOD kandidieren möchten.
Grund dafür ist eine sogenannte Wahlplattform, in der sich alle Kandidaten zu einigen Grundsätzen verpflichten müssen. So verlangt die Gewerkschaft neben Selbstverständlichkeiten wie dem Einsatz für die «Interessen der Versicherten» und eine «stabile BVK» auch von seinen Kandidaten, dass sie sich nicht an die Schweigepflicht halten, die für Stiftungsratsmitglieder gilt. In der Fussnote der Plattform heisst es: «Die Schweigepflicht, wie sie in Artikel 37 des Organisationsreglementes festgehalten ist, wird abgelehnt.»
Wegen Trump gegen Rentenalter 65
Im Tages-Anzeiger wird über den anscheinend wachsenden Widerstand der Frauen gegen das Rentenalter 65 berichtet.
So wie die SGB-Führung befürwortet auch das Präsidium der SP-Frauen die Ständeratslösung — «aus Realismus», wie Co-Präsidentin Cesla Amarelle sagt. Doch ob die Basis folgen werde, sei «völlig offen», sagt Amarelle. Die Waadtländer SP-Nationalrätin konstatiert bei den Frauen einen «wachsenden politischen Unmut». Seit zwei Jahrzehnten, sagt Amarelle, «warten die Frauen vergeblich auf politische Massnahmen zur Lohngleichheit». Immer noch seien viele Frauen im Alter finanziell schlechter gestellt als die Männer. Zudem seien typische Frauenjobs, etwa im Verkauf, durch die Automatisierung besonders stark bedroht. Und jetzt komme zu alledem auch noch der Sexismus eines Donald Trump dazu, sagt Amarelle. «All das fördert unter Frauen den Frust und die Lust, aufzubegehren und zu sagen: Jetzt reicht es!». Sie fürchte, dass dieser Moment mit der Rentenreform erreicht werden könnte.
AV2020: Weiterhin Konfrontationskurs
Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) hat am 2.3.17 die in der Reform Altersvorsorge 2020 verbleibenden Differenzen beraten. Über ihre Anträge hat der Kommissionspräsident Konrad Graber an einem Point de presse informiert. Zudem wurden neue Unterlagen publiziert. Der Tages-Anzeiger schreibt:
Die SGK-S hat sich am 2.3.17 ein letztes Mal vor der Einigungskonferenz über die Vorlage gebeugt und dabei offenbar kaum Spielraum entdeckt. Die zentrale Differenz bleibt der Mechanismus zum Ausgleich der Renteneinbussen, die durch die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule entstehen, wie Konrad Graber (CVP/LU) vor den Medien in Bern sagte.
Zur finanziellen Stabilisierung der AHV will die Ständeratskommission die Mehrwertsteuer weiterhin um 1 Prozent erhöhen und nicht bloss um 0,6 Prozent wie der Nationalrat. Den Interventionsmechanismus, der zu einer automatischen Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre führen könnte, lehnt sie ab. Die Witwen- und Kinderrenten sollen nicht angetastet werden.
Nachgeben will die SGK lediglich in zwei Punkten: Ausfinanziert werden sollen Versicherte ab 45 Jahren, nicht erst ab 50 Jahren. Zudem soll der Sparprozess mit 25 Jahren beginnen und nicht schon mit 21. Folgt der Ständerat der Kommission, verbleiben viele Differenzen mit dem Nationalrat. Dieser entscheidet in der letzten Sessionswoche, danach ist die Einigungskonferenz am Zug.
Gewerkschaftsfrauen gegen Rentenalter 65
Die Frauenkommission des SGB ist gegen das Referenzalter 65 und damit gegen die laufende Reform der Altersvorsorge. Der Tages-Anzeiger schreibt:
Die Megareform Altersvorsorge 2020 reisst im linken Lager immer tiefere Gräben auf. Im Bundeshaus kämpfen SP und Grüne geschlossen für eine Erhöhung der AHV-Renten um 70 Franken, um die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule auszugleichen. Derweil braut sich ausserhalb des Parlaments linker Widerstand zusammen. Er entzündet sich an der im Bundeshaus unbestrittenen Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Und der Widerstand der Frauen führt nun auch bei wichtigen nationalen Organisationen zu Störgeräuschen.
Gestern Abend (1.3.17) hat die Frauenkommission des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) ihre Position zur Rentenreform diskutiert. Dabei stiess die Erhöhung des Frauenrentenalters auf heftige Ablehnung. Nach intensiven Debatten resultierte ein Patt: Sieben Vertreterinnen von Gewerkschaften votierten dafür, auch dann das Referendum gegen die Altersreform zu ergreifen, wenn sich im Parlament die von Mitte-links erarbeitete Ständeratslösung durchsetzt. Sieben Gewerkschaftsvertreterinnen lehnten dies ab. Zwei Frauen enthielten sich.
Regula Bühlmann von der SGB-Frauenkommission bestätigt entsprechende Recherchen. Die Position der Gewerkschaftsfrauen ist von grosser Bedeutung: Am 24. März entscheidet der SGB im Rahmen einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung über die Altersvorsorge 2020. Einzelne Gewerkschaftssektionen aus der Romandie haben bereits angekündigt, dass sie jede Frauenrentenaltererhöhung per Referendum bekämpfen wollen.
“Linke Allianz will AHV-Reform vors Volk bringen”
Der Tages-Anzeiger schreibt zur Altersvorsorge 2020:
Seit über zwei Jahren dauert das Ringen um die Altersvorsorge 2020 bereits. Und ebenso alt ist die Kritik von rechts, die Mammutvorlage von SP-Bundesrat Alain Berset sei zu links. Doch jetzt, kurz vor der Endrunde im Parlament, öffnet sich eine überraschende neue Front – gegen links. Mehrere linke Gruppierungen aus der Romandie sind dabei, das Referendum vorzubereiten, noch bevor die Beratungen im Parlament fertig sind.
Der linke Widerstand entzündet sich an zwei Eckpunkten der Altersreform: an der Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre und an der Reduktion des Umwandlungssatzes für die zweite Säule von 6,8 auf 6,0 Prozent. Diese Punkte sind im Parlament unbestritten und kennzeichnen sowohl das bürgerliche Nationalratsmodell als auch die von SP und CVP favorisierte Ständeratslösung. «Daher steht ausser Frage, dass unser Referendum kommt», sagt Jean-Michel Dolivo, Solidarités-Vertreter im Waadtländer Kantonsparlament. Frauen seien auf dem Arbeitsmarkt bis heute stark benachteiligt. «Es ist schlicht inakzeptabel, dass ihr Rentenalter erhöht wird, bevor diese Diskriminierung ausgemerzt ist.» (…)
Dass linke Gruppierungen genau das tun wollen, kommt für den FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis überraschend. «Ist das wirklich wahr?», fragt er, als er vom «Tages-Anzeiger» davon erfährt.Aus Cassis’ Sicht demontieren die Referendumsdrohungen die Argumentationsschiene der linken Wortführer im Parlament. Diese hätten den Bürgerlichen implizit ein Versprechen gemacht: «Wenn ihr das Ständeratsmodell mit 70 Franken mehr AHV-Rente unterstützt, sorgen wir für Ruhe in linken Kreisen.»
Dieses Versprechen sei nun offensichtlich Makulatur, sagt Cassis. Wenn sich das CVP-SP-Modell im Parlament durchsetze, die linke Basis aber nicht mitziehe, «dann steht die CVP im Abstimmungskampf ganz allein da», warnt Cassis. Für ihn ändern die Referendumsdrohungen darum die Ausgangslage. «Die CVP muss sich jetzt sehr genau überlegen, mit welcher Allianz sie in die Volksabstimmung gehen will.»
AV2020: “Das angekündigte Desaster”
Arthur Rutishauser kommentiert im Tages-Anzeiger den Stand der Diskussion um die Altersvorsorge 2020. Zur Finanzierungsituation der Pensionskassen meint er:
Erstens einmal ist die Situation der Pensionskassen viel schlimmer als behauptet. Wie schlimm genau, das weiss keiner wirklich. Die offiziell angegebene Deckung der künftigen Renten aus dem Angesparten in der zweiten Säule ist eine Illusion. Auch wenn als «Deckungsgrad» der Kassen oft 100 Prozent oder mehr angeführt wird, heisst das noch lange nicht, dass die Renten sicher sind. Die dahinter stehenden Berechnungen, etwa die unterstellten künftigen Renditen der angelegten Gelder, sind viel zu hoch, die heute ausbezahlten Renten auch. Die können nur auf Kosten der aktiven Bevölkerung finanziert werden. Das heisst: Die Pensionskassen sind heute ein Schneeballsystem.
Vor diesem Hintergrund ist die Reform dringlich. Allerdings ist sie gefährdet:
Darum haben die Arbeitgeber und gut verdienende Arbeitnehmer eigentlich ein grosses Interesse daran, dass die Reform durchkommt. Die besagt, dass man den Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 senkt und damit die Renten um über 10 Prozent. Damit würden die Versicherten im Schnitt wieder so alt, wie sie für die Pensionskassen tragbar sind. Und trotzdem, es könnte durchaus sein, dass ideologisch übermotivierte Verbandsfunktionäre ein gewaltiges Eigentor schiessen. Gemäss ihren offiziellen Verlautbarungen wollen die Funktionäre des Arbeitgeberverbands, des «Centre Patronal» und mit ihnen viele bürgerliche Parlamentarier doch tatsächlich die Altersreform an der Frage scheitern lassen, ob man jetzt mit irgendeinem komplizierten System innerhalb der Pensionskassen die Rentenkürzungen kompensiert oder über 70 Franken AHV mehr für jeden.
pw. Die “ideologisch übermotivierten Verbandsfunktionäre” lassen sich, wenn überhaupt, auf beiden Seiten finden. Der SGB wird sich in der Diskussion um keinen Millimeter bewegen, aber das fällt Rutishauser nicht auf. Da wir hier also Gleichstand haben, wäre zu fragen, welches sozial und technisch die bessere Lösung ist. Aber das interessiert offenbar auch nicht.