Der Arbeitgeberverband spricht von einer Steuererhöhung auf Vorrat, der Gewerkschaftsbund lehnt Frauenrentenalter 65 ab und fordert gar höhere AHV-Renten und die SP verlangt mehr Zugeständnisse gegenüber den Frauen: Die Neuauflage der Rentenreform hat einen harzigen Start. Hingegen sehen FDP und CVP auch positive Punkte.
Tages-Anzeiger
Debatte um den WAK AHV-Deal
Im Tages-Anzeiger wägt Fabian Schäfer die Chancen pro und kontra AHV-Deal ab. Im Ständerat dürfte er durchgehen, im Nationalrat sieht es anders aus. Entscheidend sei die Haltung der FDP, meint er.
Im Ständerat dürfte die Idee breite Unterstützung finden. Im Nationalrat ist das weniger klar. Hier stösst die Kritik des Arbeitgeberverbands auf offene Ohren. Die SVP verlangte schon früh, die Erhöhung des Frauenrentenalters müsse Teil des Deals sein.
Auch Jürg Grossen, Präsident der Grünliberalen, hat grosse Mühe mit dem AHV-Teil des Pakets: «Es ist ungerecht und unehrlich, wenn wir die Debatte um das Rentenalter immer weiter verzögern und damit die Jungen zur Kasse bitten.» Grossen lehnt den Deal grundsätzlich ab: «Eine Verknüpfung sachfremder Themen grenzt an Nötigung des Stimmvolks und darf nicht Schule machen.» Falls sich die Verknüpfung nicht verhindern lässt, müsse auch ein höheres Rentenalter Teil des Deals sein.
Das heisst: Wenn die FDP mitmacht, ist im Nationalrat eine Mehrheit möglich, um das Rentenalter in die Reform zu integrieren. Die grosse Frage ist, ob die FDP das Risiko eingehen wird – im Wissen, dass die SP dann die Steuerreform wieder bekämpfen wird.
Vehemente Kritiker des Deals gibt es in der FDP durchaus. So sagt Nationalrat Bruno Pezzatti, er könne es nicht verantworten, dass das Parlament die überfälligen Reformen der AHV und der 2. Säule weiter hinausschiebe. Doch er legt sich noch nicht fest: Pezzatti sagt, er behalte sich vor, Nein zu stimmen, falls der Vorschlag des Ständerats unverändert übernommen werde.
Viele in der FDP teilen zwar die Bedenken, was die Altersvorsorge angeht, aber eine Mehrheit scheint die Steuervorlage höher zu gewichten. Vor diesem Dilemma steht auch die SVP. Daher ist gut denkbar, dass eine Allianz aus SVP, FDP und GLP im Nationalrat in der ersten Beratung im September ein höheres Rentenalter beschliesst, es aber in der Differenzbereinigung wieder kippt.
Levrat: “Zwei Fliegen auf einen Streich”
In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger erklärt SP-Präsident Christian Levrat, warum es sich für seine Partei lohnt, den Widerstand gegen die Reform der Unternehmenssteuer aufzugeben. Auszüge:
Seit wann gab es den Geheimplan?
Von einem Geheimplan kann keine Rede sein. Die Idee entstand vor rund vier Monaten, als klar wurde, dass die AHV dieses Jahr ein grosses strukturelles Defizit haben würde. Unser Antrieb war, die zwei wichtigsten politischen Probleme bis zu den Wahlen 2019 zu lösen: die dringliche Sanierung der AHV und die dringliche Reform der Unternehmenssteuern. Mit diesem Kompromiss schlagen wir zwei Fliegen auf einen Streich.
Wäre es nicht die Aufgabe des Bundesrates, einen solchen Kompromiss zu finden?
Bundesrat Ueli Maurer hat es versucht. Seine Idee des sozialen Ausgleichs mit dem höheren Kindergeld war gut. Aber sie war zu bescheiden, und sie hätte vielen Leuten nichts gebracht. Jetzt haben wir eine viermal höhere soziale Ausgleichsmassnahme: Wir erhalten 2 Milliarden jährlich für die AHV. Dieser Kompromiss ist ein Erfolg für die SP.
Warum?
Das von Bürgerlichen geforderte höhere Frauenrentenalter ist damit vom Tisch. Auch die Ideen der Arbeitgeber für eine generelle, stufenweise Erhöhung des Pensionsalters werden obsolet. Die Leute können aufatmen. Die AHV wird finanziell bis 2024 oder 2025 gesichert. So bleibt Zeit, um eine vom Volk akzeptierte Rentenreform zu schnüren.
Liessen sich die Bürgerlichen von Ihnen über den Tisch ziehen?
Nein. Sie erhalten die Gewinnsteuerreform, die sie unbedingt wollten, und sie zahlen einen hohen Preis dafür. Es ist uns gelungen, die Kosten der Steuerreform zu senken und auch wichtige Korrekturen an der früheren Reform bei der Dividendenbesteuerung und dem Kapitaleinlageprinzip vorzunehmen.
Der Arbeitgeberverband und die SVP wollen den AHV-Deal nur akzeptieren, wenn gleichzeitig das Rentenalter der Frauen erhöht wird.
Das werden wir sehen. Ich denke, das sind taktische Spielchen. Sollten die Bürgerlichen eine Erhöhung des Rentenalters in die Vorlage bringen, ist der Kompromiss erledigt. Dann ergreift die SP das Referendum dagegen.
Breite Kreise stören sich an der sogenannten Gegenfinanzierung, weil sie gar keine ist. Die Steuerausfälle in den Kantonen und Gemeinden sind nicht kleiner.
Gegenfinanzierung ist missverständlich. Es ist eine soziale Kompensation, die allen zugute kommt.
Arbeitgeber: “Dieser Kuhhandel ist gefährlich”
Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbands, erklärt in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger seine Vorbehalte gegen den in der WAK-S ausgeheckten Deal mit der Verbindung von SV17 und AHV-Finanzierung. Auszüge:
Ständeräte von SP bis SVP wollen die Reformen von Firmensteuern und AHV verknüpfen. Ihr Verband ist der einzige grosse Player, der diesen Kompromiss ablehnt. Sind Sie gern der Spielverderber?
Im Gegenteil, wir finden einen solchen Kuhhandel zwar sachlich falsch, akzeptieren ihn aber unter einer Bedingung: Wenn das Parlament unbedingt eine sachfremde Verknüpfung mit der AHV will, soll es diese weiter fassen. Die Erhöhung des Rentenalters auf 65 Jahre für Frauen und 66 Jahre für Männer gehört auch in das Paket. So hätten wir zum einen eine gute Steuerreform. Zum anderen hätten wir für die Lösung der grundlegenden Probleme der AHV einen ersten Schritt gemacht, mit dem wir etwa zehn Jahre Zeit gewinnen würden.
Aber Sie wissen genau, dass der Deal dann tot ist, weil die SP aussteigt und das Referendum ergreift.
Wir befinden uns am Anfang des parlamentarischen Prozesses. Wir wissen ja auch nicht, ob die Linke den Kuhhandel der Ständeräte am Schluss wirklich unterstützen wird. Es würde mich nicht überraschen, wenn die SP wieder einmal kippt und unter dem Druck von links aussen das Referendum unterstützt. Ein Referendum wird es mit grosser Wahrscheinlichkeit geben, wenn das Parlament zwei sachfremde und brisante Reformen verbindet.
In Ihrer Version müsste das Volk über ein Paket abstimmen, das gleichzeitig ein höheres Rentenalter und eine umstrittene Steuerreform umfasst. Das scheint auf Anhieb nicht sehr aussichtsreich.
Das werden wir sehen. Das Volk ist mündig und hat in der Vergangenheit mit viel Sachverstand abgestimmt. Immer mehr Leute verstehen, dass es gegenüber den Jungen ungerecht ist, die unumgängliche Erhöhung des Rentenalters noch länger zu verzögern. Zudem ist es für die Stimmbürger verlockend, bei zwei so schwierigen Geschäften auf einen Schlag eine längerfristige Lösung zu haben.
Die AHV würde profitieren, sie erhielte 2 Milliarden Franken im Jahr mehr.
Das ist kein Sieg für die AHV, sondern für die Linke, die weiterhin so tut, als könne man die gewaltige Herausforderung der Demografie einfach mit immer noch höheren Einnahmen lösen. Dabei können wir das heutige Rentenniveau nur halten, wenn wir in absehbarer Zukunft das Rentenalter erhöhen. Deshalb ist dieser Kuhhandel so gefährlich. Wenn die AHV jetzt 2 Milliarden zusätzlich erhält, werden auch die bürgerlichen Parteien wenig Antrieb verspüren, im Wahljahr ein höheres Rentenalter zu beschliessen.
Warum wollen Sie auch das Rentenalter der Männer erhöhen und nicht nur das der Frauen?
Damit schlagen wir zwei Fliegen auf einen Streich. Die Einsparungen für die AHV sind doppelt so gross. Und wir können uns die ganze Diskussion darüber sparen, ob es eine sogenannt soziale Kompensation braucht, wenn wir einzig das Rentenalter der Frauen erhöhen. Wenn wir beide Rentenalter parallel erhöhen, braucht es keine Kompensation. Damit entfallen je nach Variante Zusatzausgaben von 400 Millionen bis 1,1 Milliarden Franken im Jahr.
Ist es nicht ungerecht, dass Männer länger arbeiten müssen?
Es ist vor allem ungerecht, dass wir die AHV nicht strukturell sanieren und den Jungen die ganze Last aufbürden. Eine Rentenaltererhöhung für beide Geschlechter schafft keine neuen Ungerechtigkeiten. Mit Rentenalter 65/66 können wir diese fruchtlose Debatte im Moment vermeiden. In einem weiteren Schritt ab 2030 muss die Angleichung des Rentenalters aber wieder auf die politische Agenda kommen.
Die Ständeräte wollen die Lohnbeiträge für die AHV um 0,3 Prozent erhöhen. Ihr Verband lehnt dies vehement ab. Warum?
Erstens ist das ungerecht gegenüber den Erwerbstätigen. Sie sollen einmal mehr die Zeche zahlen, während die Rentner von Mehrkosten verschont werden. Zweitens werden wir die Lohnbeiträge in der 2. Säule erhöhen müssen, um das Rentenniveau der Pensionskassen halten zu können, wenn wir den Mindestumwandlungssatz senken. Das wird noch schwieriger, wenn wir die Lohnprozente jetzt schon für die AHV erhöhen. Auch sonst wird dieser Kuhhandel die Reform der 2. Säule massiv verzögern, wenn nicht verhindern.
Finden Sie, die Linke habe die Bürgerlichen über den Tisch gezogen?
Ich habe einfach zur Kenntnis genommen, was SP-Präsident Christian Levrat in Ihrer Zeitung gesagt hat: Der Vorschlag sei ein Erfolg für die SP. Ein höheres Rentenalter sei vom Tisch. Und die Bürgerlichen hätten einen hohen Preis bezahlt. Herr Levrat scheint sehr zufrieden zu sein. Wir sind es nicht.
TA / Interview auf der Website der Arbeitgeber / Rentenalter 65/66
Nach dem Weiss- jetzt das Grüngeld
Nach der Weissgeldstrategie soll der Schweizer Finanzplatz nun auch eine «Grüngeldstrategie» verfolgen. Das ist eine der zentralen Forderungen im neuen Strategiepapier der SP für einen «klimafreundlichen Finanzmarkt». Verfasst hat das 24-seitige Dokument, das offenbar dem Tages-Anzeiger vorliegt, Nationalrat und SP-Vizepräsident Beat Jans. Der TA schreibt dazu:
Für Diskussionen sorgen dürfte insbesondere der Vorschlag, auf die Investmentrendite von klimaschädlichen Finanzprodukten in Zukunft eine Abgabe zu erheben. Damit, so Beat Jans, würden die Kosten des Klimawandels auf dem Finanzmarkt sichtbar: «Die Kapitalströme könnten in klimafreundlichere Investitionsalternativen fliessen.»
Auch sollen Pensionskassen, Versicherungen, Banken, Vermögensverwalter und Börsen verpflichtet werden, die Klimaauswirkungen ihrer Investitionen offenzulegen. In gewissen EU-Staaten ist dies teils bereits der Fall. In Schweden etwa müssen Fondsgesellschaften das fossile Risiko ihres Investments gegenüber ihren Kunden transparent machen.
Die SP-Parteispitze wird das Papier der Basis an der Delegiertenversammlung vom 23. Juni in Lausanne vorlegen. Im Grundsatz dürfte es unbestritten sein. Dass es über das rot-grüne Lager hinaus Akzeptanz findet, ist jedoch zweifelhaft. Das zeigen die Beratungen zum neuen CO2-Gesetz für die Periode von 2020 bis 2030, welche die nationalrätliche Umweltkommission (Urek-N) aufgenommen hat. Das bürgerlich dominierte Gremium hat letzte Woche beschlossen, dass Massnahmen für eine höhere Klimaverträglichkeit im Finanzsektor auf freiwilliger Basis erfolgen sollen.
“Grandiose Schnappsidee” / “Sehr pragmatisch”
Der Politograf Michael Hermann kommentiert im Tages-Anzeiger die Idee der WAK-S zum Link zwischen Steuervorlage 17 und AHV-Finanzierung.
Die Stimmbevölkerung kann und muss sich völlig unabhängig von der Unternehmenssteuerfrage zur Reform der Altersvorsorge äussern können. Oder wollen wir im selben Aufwasch gleich auch noch die Gesundheitsvorsorge und das Verkehrssystem refinanzieren? Wäre der ständerätliche Deal eine Volksinitiative, sie würde für ungültig erklärt – wegen fehlender Einheit der Materie.
Ausgerechnet die Ständekammer die sich gern etwas auf ihre qualitativ hochstehende Gesetzesarbeit einbildet, pfeift auf den verfassungsmässigen Grundsatz, dass zwischen den einzelnen Teilen einer Abstimmungsvorlage ein sachlicher Zusammenhang bestehen muss. Dies zu ignorieren, ist keine Lappalie. Die Einheit der Materie ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die Stimmerechtigen ihren Willen unverfälscht äussern können.
Wenn sich der Nebel der Petarde verzogen hat, wird von der ach so cleveren Idee wenig übrig bleiben. Die Öffentlichkeit lässt sich nicht für dumm verkaufen. Bald wird klar sein, dass eine Sanierung der AHV durch die Allgemeinheit keine Kompensation für Steuererleichterungen bei den Unternehmen ist. Parlamentarische Allianzen, die in der Gruppendynamik eines Kommissionszimmers geschmiedet werden, zerfallen oft ganz schnell, wenn sie den geschützten Sitzungsraum verlassen.
Oder spätestens dann, wenn das Referendum steht. Jedenfalls wird es eine Unternehmensreform ohne Volksabstimmung nie geben – dazu ist die Sache viel zu aufgeladen. Warum deshalb nicht versuchen, die Bevölkerung wie ein mündiges Gegenüber zu behandeln statt mit Petarden einzunebeln? Dies wäre vielleicht nicht so clever, aber bestimmt um einiges klüger.
Fabian Schäfer, Bundeshausredaktor des TA widerspricht:
Wer an den Erfolgsaussichten dieses Deals zweifelt, unterschätzt den extremen Druck bei der Steuerreform. Alle, auch Exponenten der SP, wissen, wie existenziell eine baldige Einigung ist. Andernfalls ist die Gefahr gross, dass andere Länder Firmen in der Schweiz in Bedrängnis bringen, weil sie die hiesigen Steuerregimes nicht mehr anerkennen.
Deshalb will das Parlament die Vorlage im Eiltempo bis zum September bereinigen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Kompromiss durchkommt. Das Parlament hat gar keine Gelegenheit, den Deal zu zerreden. Wenn der Nationalrat die Eckwerte verändert, ist der Fahrplan rasch hinfällig. Es fehlt schon nur die Zeit, eine andere, mehrheitsfähige Lösung aufzugleisen. Wer den Plan der Ständeräte trotzdem bekämpft, steht als Hasardeur da.
So speziell der Kompromiss auf den ersten Blick auch wirkt: Die Chancen, dass er durchkommt, sind gut. Der Plan ist weder grandios noch eine Schnapsidee, sondern einfach sehr pragmatisch.
“Kein Grund zu Pessimismus”
Den vom Entscheid der Axa betroffenen KMU stehen ausser dem Versuch, bei einer der noch existierenden Vollversicherungslösungen Unterschlupf zu finden, zahlreiche Alternativen offen. Andreas Valda vom Tages-Anzeiger berichtet.
Ein Experte vom «Blick» war der Ansicht, dass «nun Ende Jahr böse Überraschungen auf die Firmen zukommen» könnten, weil sie allenfalls für Unterdeckungen aufkommen müssen.
Diesem Pessimismus tritt Sergio Bortolin (Bild), Präsident des Verbandes Inter-Pension der unabhängigen Pensionskassen [Sammelstiftungen], entgegen. «Das Gegenteil ist der Fall», sagt er. Die weit bessere Alternative für KMU in der zweiten Säule sei der Anschluss bei einer unabhängigen Pensionskasse. Höhere Erträge, tiefere Prämien, tiefere Kosten und komfortable Risikopolster seien ihre Vorteile. Autonome Pensionskassen sind weit verbreitet. Bortolin vertritt vierzig Kassen, die 1,15 Millionen Angestellte versichern und 142 Milliarden Pensionskapital verwalten – ein Siebtel der zweiten Säule.
Bekannte solche Kassen sind Asga, Vita, Nest, Abendrot, Profond, Swisscanto, PKG, Noventus und Gastrosocial. Die Asga gibt es seit über fünfzig Jahren und versichert ähnlich wie die Axa KMU, 12’000 an der Zahl mit rund 120’000 Versicherten. Ähnlich gross ist die Vita-Sammelstiftung. Sie wurde vor fünfzehn Jahren vom Versicherer Zurich abgespalten. Gastrosocial ist ein prominentes Beispiel einer Branchenpensionskasse von 20’000 Wirten und Hoteliers mit 174’000 Versicherten. Die meisten dieser Pensionskassen sind erfolgreich unterwegs.
“Die sinkende Zuwanderung setzt der AHV zu”
Fabian Schäfer nimmt im Tages-Anzeiger ein Thema auf, das vom Arbeitgeberverband angestossen wurde: die unter den Erwartungen liegenden AHV-Einnahmen 2017 aufgrund einer geringer als prognostiziert ausgefallenen Zuwanderung.
Insgesamt lagen ihre Einnahmen 370 Millionen Franken unter den Annahmen. Die Abweichung war hier viel grösser als bei den Ausgaben, wie die kürzlich veröffentlichten Zahlen zum Jahresabschluss 2017 zeigen. Auch die wichtigste AHV-Kennzahl – das Umlageergebnis – fiel schlechter aus als geplant: Das Minus lag bei 1 statt 0,7 Milliarden Franken. Dabei handelt es sich um das Ergebnis ohne Kapitalrendite, mithin die Finanzierungslücke der AHV.
Die grosse Frage ist nun, wie der Bund reagieren soll. Der Zeitpunkt ist brisant, weil der Bundesrat im Sommer eine neue AHV-Reform in die Vernehmlassung gibt. Er will die Mehrwertsteuer stark erhöhen – um bis zu 1,7 Prozent – und das Rentenalter der Frauen auf 65 anheben. Wie hoch die Steuererhöhung ausfällt, hängt ganz von der AHV-Finanzplanung ab. Deshalb ist es entscheidend, welche Annahmen der Bund zum Beispiel bei der Zuwanderung trifft.
Kontroverse um EL-Entscheide des Nationalrats
Die Kosten für die Ergänzungsleistungen haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt und wachsen weiterhin rasant. Es muss also etwas getan werden. Entweder das bleibt wirkungslos oder es tut weh. Der Nationalrat hatte den Mut, weh zu tun und entsprechend sind die Einschätzungen der Sozialpartner und die Medienkommentare.
Die ersten Entscheide des Rats:
• Der Kapitalbezug bei Pensionierung bleibt in der obligatorischen beruflichen Vorsorge möglich. Wer das Kapital aber bezieht und verbraucht, dessen EL wird um 10 Prozent gekürzt. Der Kapitalbezug für Wohneigentum und Selbstständigkeit wird nicht angetastet.
• Das Maximum der anrechenbaren Mieten wird nur für Städte um 100 auf 1200 Franken erhöht. Kantone können diese Höchstbeträge um bis zu 10 Prozent kürzen.
• Die Beiträge für Kinder werden teilweise gesenkt.
• Es wird eine Vermögensgrenze von 100’000 Franken eingeführt (Ehepaare 200’000 Franken): Wer mehr Vermögen hat, erhält keine EL. Für Wohneigentum gibt es eine Sonderlösung.
• Wer AHV-, IV oder Hinterlassenenrenten bezieht und sein Vermögen ohne wichtigen Grund rasch verbraucht, muss Kürzungen bei der EL gewärtigen.
• Ältere Arbeitslose sollen ihre Pensionskassenguthaben bei der Pensionskasse des bisherigen Arbeitgebers belassen und später dort verrenten lassen können.
Der Arbeitgeberverband schreibt:
Der Nationalrat hat in seiner Beratung der Reform der Ergänzungsleistungen (EL) gegenüber dem Ständerat wichtige Korrekturen vorgenommen. Zum einen will er eine Vermögensschwelle für den EL-Bezug einführen. Damit wird verhindert, dass Personen mit Vermögen die Behörden zunehmend administrativ belasten und unnötig EL beziehen. Zum anderen will die grosse Kammer die Vermögensfreibeträge im Vergleich zum Ständerat tiefer ansetzen, indem er auf das bis 2010 geltende Niveau zurückgeht. Damit sollen die Leistungen gezielter jenen zugutekommen, die wirklich darauf angewiesen sind. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) unterstützt diesen Ansatz.
“Profit auf Kosten der Versicherten”
Matthias Kuert von Travail Suisse dreht in einer Replik zum Interview mit Markus Leibundgut (Swiss Life) an der alten Leier der “überhöhten Gewinne der Versicherer “ in der 2. Säule. Mehr scheint ihm zum Thema BVG nicht einzufallen.
TA: Interview mit Markus Leibundgut, Swiss Life
Der Tages-Anzeiger hat mit Markus Leibundgut, CEO der Swiss Life ein Interview über das Geschäft mit der 2. Säule geführt. Auszüge.
Die Linke stört grundsätzlich, dass die Lebensversicherer mit einer Sozialversicherung Geschäfte machen und bei ihnen Geld aus der zweiten Säule abfliesst.
Das ist reine Ideologie, die letztlich dem Gewerbe schadet. Wer so denkt, muss die Abschaffung der Vollversicherung fordern, die bei KMU so beliebt ist. Diese funktioniert nur, wenn wir genug Kapital als Garantie haben. Und das bekommen wir nur, wenn wir eine minimale Rendite zahlen. Firmen mit Vollversicherung haben viele Gewinnmöglichkeiten, aber null Verlustrisiko. Das ist nicht kostenlos. Wer diese Lösung nicht will, hat andere Möglichkeiten, in der zweiten Säule herrscht Wahlfreiheit. Aber die Vorteile sind so gross, dass KMU die Vollversicherung nach wie vor stark nachfragen.
Sie weisen Unternehmen ab, die die Vollversicherung wählen möchten?
Paradoxerweise müssen wir das, ja. Die Zahl der Versicherten wächst kaum mehr, nicht nur bei uns. Aber wir stellen fest, dass viele Unternehmer die Vollversicherung trotz der höheren Prämien vorziehen – ganz einfach, weil sie die Risiken der Vorsorge nicht tragen wollen oder können. Da sprechen wir vor allem von Firmen in Branchen mit geringen Margen, wenig Reserven, tiefen Löhnen. Die meisten sind KMU, vom Coiffeur bis zum Handwerker. Deshalb verstehe ich die Gewerkschaften nicht. Mit ihrem Kampf gegen die Vollversicherung schaden sie ihren eigenen Leuten: den Angestellten, die finanziell knapp dran sind.
Diese Firmen könnten sich anderswo versichern, wenn es die Vollversicherung nicht mehr gäbe.
So einfach ist das nicht. Heute ist mehr als jeder vierte Angestellte in einer Vollversicherung bei einem Lebensversicherer. Wenn diese wegfiele, gäbe es eine chaotische, riskante Übergangszeit. Ich bezweifle zudem, dass in margenschwachen Branchen die Vorsorge ohne Garantien langfristig stabil organisiert werden kann. Die Risiken für die Allgemeinheit wären beträchtlich. Letztlich bestünde die Gefahr, dass die Altersarmut zunimmt, wenn die Vorsorge bei Personen mit tiefen Löhnen weniger solid ist.
Und das alles, sagen Sie, nehmen die Gewerkschaften in Kauf?
Es ist bekannt, dass Teile der Linken am liebsten die AHV in Richtung Volkspension ausbauen möchten.
“Rentenalter 65 für Frauen gestorben”
“Das Frauenrentenalter 65 ist für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) nach dem Nein zur Rentenreform im September kein Thema mehr. Bei einer neuen AHV-Revision will er sich dafür einsetzen, dass Frauen auch künftig mit 64 Jahren in Pension gehen können”, schreibt der Tages-Anzeiger und glaubt offenbar daran.
Ein bisschen uneinig
Fabian Renz resümiert im Tages-Anzeiger die Ereignisse und Folgerungen des Runden Tisches vom 27.10.17 von Bundesrat Berset im Bundeshaus. Renz schreibt:
Angekündigt war ein «runder Tisch», doch Ständerätin Karin Keller-Sutter (FDP, SG) empfand ihn eher als «Landsgemeinde », wie sie sagt. Sie spielt damit auf die hohe Teilnehmerzahl an: Nicht weniger als 27 verschiedene Gruppierungen waren gestern von Innenminister Alain Berset (SP) zur Diskussion über eine mögliche neue Reform der Altersvorsorge geladen. Es war das erste Mal seit der Volksabstimmung vom 24. September, dass sich alle involvierten Parteien und Verbände zum Gedankenaustausch trafen. Etwas über zwei Stunden dauerte der straff durchgetaktete Anlass; jeder teilnehmenden Gruppe, vertreten durch jeweils zwei Personen, standen fünf Minuten Redezeit zur Verfügung.
Das Ergebnis scheint ernüchternd: Es herrsche «Uneinigkeit über fast alles», bilanzierte Berset nach dem Treffen gegenüber den Medien. Einen weitgehenden Konsens macht Berset nur in zwei grundlegenden Punkten aus: Erstens sei es praktisch unbestritten, dass insbesondere für die AHV eine baldige Reform nottue – dem Sozialwerk droht aufgrund der Demografie mittelfristig die Pleite. Und zweitens seien sich die verschiedenen Akteure einig darin, dass das Niveau der Altersrenten erhalten bleiben soll.
Nicht alle, aber viele PKs leiden unter dem zu hohen Umwandlungssatz
Während grosse, umhüllende Kassen mit dem überhöhten UWS dank Anrechnungsprinzip zurecht kommen, bildet er für Kassen nahe dem Obligatorium ein Problem. Der Tages-Anzeiger schreibt dazu:
Probleme haben Kassen, die vor allem Versicherte mit nur gesetzlichen Minimalleistungen haben. 13 Prozent der Versicherten, meist aus Tieflohnbranchen, sind in solchen BVG-nahen Kassen. «Es wäre fatal, wenn die bürgerlichen Parlamentarier nach dem Nein zur Altersvorsorge die BVG-Revision zurückstellten», warnt Sergio Bortolin, Geschäftsführer der Pensionskasse Asga. Die Asga hat viele Versicherte mit Leistungen, die sich am gesetzlichen Obligatorium orientieren. Bei der Asga sind rund 12’000 Arbeitgeber mit insgesamt über 100’000 Mitarbeitern versichert.
Der zu hohe Umwandlungssatz erfordert bei der Asga eine grosse Umverteilung zur Finanzierung der Renten. Bei einer Pensionierung müsse die Asga für einen Rentner zurzeit 20 Prozent des Alterskapitals zusätzlich reservieren, um die Rentenleistung zu garantieren. (…)
Noch grösser ist die Umverteilung von den Aktiven zu den Rentnern bei der Auffangeinrichtung BVG. Bei dieser Vorsorgestiftung sind rund 36’000 Angestellte im Rahmen des gesetzlichen Obligatoriums versichert. Sie fungiert im Auftrag des Bundes als Auffangbecken und Sicherheitsnetz der zweiten Säule. «Wenn der gesetzliche Umwandlungssatz nicht gesenkt wird, geht die massive Umverteilung zwischen erwerbstätigen Versicherten und Rentnern weiter», warnt Marco Bagutti, Direktor der Auffangeinrichtung. Die Erwerbstätigen subventionierten derzeit bei der Auffangeinrichtung jedem Pensionierten die Rente zu rund einem Drittel.
Institutionelle bauen für Studenten
Der Tages-Anzeiger berichtet über den Trend von Investoren, sich vermehrt in Studentenwohnungen zu engagieren. U.a. hat dies bereits die Abendrot getan. Der TA schreibt:
Es scheint keinen valablen Grund zu geben, warum institutionelle Investoren ihr Geld in Studentenwohnungen stecken sollten. Und doch tun Anlagestiftungen, Investmentfonds und Pensionskassen genau dies immer häufiger. Wegen der tiefen Zinsen suchen sie verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten. Spezialsegmente wie das «Student Housing» stünden deshalb weit oben auf der Prioritätenliste, berichtete die Unternehmensberatung EY im Sommer. Die Bedeutung von Studentenwohnheimen als Anlageobjekte steige, schreibt auch der Immobilienberater Jones Lang LaSalle ( JLL) diese Woche in einer Studie. (…)
Die zu erwartenden Renditen lägen bei solchen Projekten zwar oft tiefer als in anderen Marktsegmenten, sagt Claudio Rudolf, Partner und Immobilienexperte bei EY. «Aber die Einnahmen sind praktisch gesichert, weil die Nachfrage so gross ist. Und das Risiko deshalb kleiner. » Oft kämen institutionelle Investoren auch für einen Teil oder die gesamten Baukosten auf, und die Hochschulen übernähmen die Wohnobjekte dann zur Generalmiete. Sie zahlen also einen fixen Preis für sämtliche Wohnungen an den Investor und vermieten sie selber weiter. Das Interesse an solchen Lösungen hat laut Rudolf in den letzten Jahren in der Schweiz zugenommen. «Wir sprechen natürlich nicht von einem Milliardenmarkt. Aber von einer interessanten Nische mit Wachstumspotenzial.»