Bundesrat Berset zeigt Verständnis für den Widerstand aus den eigenen Reihen gegen die stark abgefederte Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahr in einem Interview mit der NZZ am Sonntag. Zur Sprache kommt auch die 2. Säule, wo Berset mit Blick auf die Kapitalmarktlage ominös von “neuen Lösungen” spricht, die zu finden seien. Strebt er einen Ausbau der AHV an? Den von Gewerkschaften und Arbeitgeberverband vorgeschlagenen, kollektiv finanzierten Rentenzuschlag will er offenbar für die bundesrätliche Vorlage übernehmen. Auszüge.
Die Frauen zahlen den Preis für die Reform, obschon sie immer noch weniger verdienen.
Ja, die Frauen bringen ein grosses Opfer, das ist unbestritten. Die Erhöhung ihres Rentenalters bedeutet alles in allem gut 10 Milliarden Franken Minderausgaben bis 2030. Aber es gibt umgekehrt für stark betroffene Frauen eine Abfederung in der Höhe von 3,3 Milliarden. Damit kann Frauen ein gewisser sozialer Ausgleich geboten werden. Zudem ist für die Frauen eine sichere AHV noch wichtiger als für die Männer.
Ist die Schweiz nicht reich genug, um die AHV allein über neue Beiträge und Steuern zu sichern, wie das Ihre Genossen fordern?
Mein Ziel ist es, eine umfassende Lösung für unsere soziale Sicherheit und Vereinbarkeit zu finden: Für die AHV, die berufliche Vorsorge, für ältere Arbeitnehmende, für pflegende Angehörige und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das gehört alles zusammen. Und da haben wir zuletzt viel erreicht.
Den Bürgerlichen geht die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,7 Prozent zu weit, die voll der AHV zugute kommen soll.
Das ist die andere Seite der Vorlage. Dank den zusätzlichen Einnahmen der Steuer- und AHV-Reform zugunsten der AHV haben wir nun genug Zeit, eine gute Diskussion zu führen. An Mehreinnahmen führt aber kein Weg vorbei. Mit den 0,7 Mehrwertsteuerprozenten sichern wir die AHV bis 2030.
Sie haben die berufliche Vorsorge, angesprochen. Hier haben Arbeitgeber und Gewerkschaften eine Reform vorgeschlagen. Tragen Sie diese so in den Bundesrat?
Ich bin sehr froh um den Vorschlag der Sozialpartner. Diesen Weg muss man weitergehen.
Bloss macht der Gewerbeverband nicht mit. Er sagt, er habe eine günstigere Lösung.
Es ist einfach, einen Vorschlag zu machen, wenn man sich nicht an die wichtigsten Vorgaben hält: Die Lösung des Gewerbeverbands verhindert nicht, dass Renten sinken. Das ist erlaubt, bloss findet man dafür keine Mehrheit im Volk.
Auch der Vorschlag der Sozialpartner hat einen Haken: Um das Rentenniveau zu halten, wollen sie einen Zuschlag, der von allen über zusätzliche Lohnabzüge finanziert wird. Dies ritzt das Prinzip, dass in der Pensionskasse jeder für sich spart.
Wenn es die Situation verlangt, muss man auch einmal kreativ sein. Wichtig ist, dass wir eine Lösung finden, mit der wir Rentensenkungen vermeiden können. Und dafür müssen wir es akzeptieren, die Finanzierung etwas zu erhöhen und zu verbreitern. Insofern halte ich diesen Zuschlag für richtig.
Genau das ist das Problem: Wir müssen für die Sozialversicherungen immer mehr bezahlen, um das Rentenniveau nur annähernd zu halten. Das ist doch ein schlechter Deal, der nach Anpassungen im System ruft.
Schauen Sie das Umfeld an. In den letzten Jahren hat sich ein wichtiger Beitragszahler von AHV und Pensionskassen verabschiedet: der Kapitalmarkt. Lange hat er gute Erträge geliefert, heute fehlen diese. Wir haben sogar Negativzinsen. Wir zwingen also die Leute, in die Pensionskasse einzuzahlen, obschon sie dort fast keinen Zins bekommen. Darum müssen wir andere Lösungen finden.
Nur kosten all diese Lösungen Geld: Höhere Mehrwertsteuer, mehr Lohnabzüge – am Ende bleibt allen weniger im Portemonnaie. Wäre es nicht ehrlicher…
… ich weiss, was Sie sagen wollen: Länger zu arbeiten, wenn wir länger leben. Ich sage Ihnen, wieso das nicht geht: Der Arbeitsmarkt erlaubt zurzeit ein generelles Rentenalter über 65 gar nicht. Zudem haben wir schon mehrmals über Rentenalter 65 für Frauen diskutiert, es wurde immer abgelehnt. Schon dass der Bundesrat nun wieder damit kommt, ist schwierig genug. Und für Rentenalter 67 sehe ich keinerlei Chance für eine Mehrheit in unserer direkten Demokratie.
NZZaS