Aus Anlass des “Woman’s Equality Day” am heutigen 26 August schreibt Anna-Barbara Luft in der NZZ zur Situation der Frauen in der Altersvorsorge unter dem Titel “Keine Gleichstellung bei der Altersvorsorge in Sicht”. Allerdings sind Frauen in der 2. Säule vollkommen gleichgestellt, was nicht dasselbe ist wie gleiche durchschnittliche Rentenhöhe, und in der 1. Säule wehren sich die Frauenorganisationen mit Händen und Füssen gegen die Gleichstellung.
NZZ
Corona, Altersvorsorge, die Jungen und die Alten
Michael Ferber und Anna-Barbara Luft haben mit vier Vorsorgefachleuten ein langes und höchst gehaltvolles Gespräch über Fragen der Altersvorsorge geführt. Beteiligt waren: Veronika Weisser (UBS), Marco Bagutti (Auffangeinrichtung), Thomas Schönbächler (BVK) und Stefan Beiner (Publica). Auszug:
Ist die Lage der Schweiz nach der Corona-Krise tatsächlich noch so gut?
Weisser: Zu Beginn der Corona-Krise lag die Verschuldung bei etwa 40% des BIP. In der AHV beträgt die Verschuldung aber ungefähr 136% und die impliziten Schulden im Gesundheitssystem belaufen sich auf rund 200%. Diese impliziten Schulden werden mit der Zeit explizit und dieser Prozess beschleunigt sich derzeit. Das ist eine spannende gesellschaftliche Frage, denn die Systeme, in denen die hohen impliziten Schulden vorhanden sind, sind einfach nicht nachhaltig aufgestellt.
Nachhaltig würde bedeuten, dass diese Systeme mit den aktuellen Regeln auf Dauer bestehen, also die erforderlichen Leistungen erbringen können. Probleme gibt es zwischen den Generationen genau dann, wenn diese Nachhaltigkeit nicht gegeben ist. Das sehen wir im Ressourcenverbrauch genauso wie beim Lebensstandard. Der Lebensstandard, den wir haben, zehrt mehr, als nachhaltig möglich ist. Mit unserer Bevölkerungsstruktur, den aktuellen Beitrags- und Steuersätzen, kommen wir langfristig finanziell nicht durch. Das gilt für die Gesundheitsvorsorge, für die erste Säule und auch für die zweite Säule.
Wir können uns unseren Lebensstandard also gar nicht leisten?
Weisser: Auf Dauer nicht, und zwar weder auf der Ressourcenseite noch auf der finanziellen Seite. Wenn die Verschuldung schneller steigt, dann ist das immer ein Punkt, an dem wir riskieren, dass gesellschaftliche Konflikte ausgelöst werden. Schulden sind nicht nur eine Zahl. Irgendwann schlägt die Verschuldung zurück, jemand muss das über einen tieferen Lebensstandard in der Zukunft bezahlen.
Pensionierungsverluste als Einstellungshindernis
Viel ist die Rede von einer wünschbaren Glättung der Altersgutschriften, weil damit die Einstellungschancen älterer Arbeitnehmer erhöht würden. Hansueli Schöchli weist nun in der NZZ darauf hin, dass die Pensionierungsverluste aufgrund des überhöhten Umwandlungssatzes bei der Einstellung Älterer sich noch nachteiliger auswirken könnten.
Ironischerweise haben jene, die am lautesten die Probleme der Älteren am Arbeitsmarkt beklagen, in den letzten zehn Jahren am härtesten dafür gekämpft, dass die Anstellung von Älteren besonders teuer ist und bleibt. Die Rede ist vom Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG). Gemeint ist hier nicht die Tatsache, dass die prozentualen Lohnabzüge mit dem Alter der Beschäftigten steigen. Gemeint ist, dass ältere Beschäftigte, die wenig überobligatorisches Vorsorgekapital haben, für die Pensionskassen sehr teuer sind. Direkt betroffen sind vor allem Tieflohnsektoren. (…)
Ein Unternehmer mit mehreren hundert Angestellten schildert, was dies konkret heisst. Er habe zum Beispiel jüngst zwei 55-jährige Elektriker eingestellt, doch wegen der Aussicht auf Pensionierungsverluste habe die Pensionskasse im einen Fall 110 000 Fr. zurückstellen müssen, im anderen 130 000 Fr. Die Bandbreite der Rückstellungen für andere Fälle reicht laut dem Unternehmer von 80 000 bis 140 000 Fr.
“Schwelender Streit um BVG-Courtagen”
Werner Enz schreibt in der NZZ zum Thema Broker und Courtagen: “Bundesrat Alain Berset und die Sozialdemokraten kämpfen unbeirrt für ein Verbot von Courtagen im Vorsorgegeschäft. Doch ein derartiger Markteingriff hätte auch seine Tücken” und bezieht sich dabei auf eine an der Universität St.Gallen erstellte Studie. Erwähnung findet im Artikel von Enz auch die Tatsache, dass in der Botschaft zum Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) Artikel 69E-BVG Aufnahme gefunden hat. Mit diesem sollen die Spielregeln zur Vermittlung von Geschäften der zweiten Säule festgelegt werden. Enz hält fest:
Nun ist bekannt, dass die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften, aber auch der Schweizerische Pensionskassenverband Asip, Courtagen rundweg verbieten und lediglich eine Verrechnung von Honoraren zulassen möchten. Im Courtage-Modell lässt der Leistungserbringer (Versicherung oder eine Bank) dem Broker eine Kommission zukommen, dies im Wissen des Auftraggebers.
Im Modell Honorarberatung dagegen entschädigt der Auftraggeber (in der Regel ein KMU) den Broker direkt für seine Dienste. In diesem Zusammenhang bietet eine soeben publizierte Studie der Universität St. Gallen über Schweizer Versicherungsbroker eine Orientierungshilfe: Die Professoren Hato Schmeiser und Martin Eling bemängeln in der laufenden Debatte die verengende Sichtweise auf die Kosten, statt den Nutzen ins Kalkül einzubeziehen.
Weiter wird resümiert, die ausschliessliche Umstellung auf Honorarberatung scheine mit Blick auf ausländische Erfahrungen als nicht sinnvoll, weil dies unter anderem eine Beratungslücke erwarten lasse. (…)
“So bitte nicht”
Michael Ferber hat für die NZZ Christoph Ryter, Direktor der Migros-Pensionskasse und Vizepräsident des ASIP, interviewt. Zur Sprache kommen das exzellente Anlagejahr 2019, die Leistungsentwicklung bei den Pensionskassen und die BVG-Revision. Auszüge:
AHV und Pensionskasse sollen zusammen 60% des letzten Einkommens nach der Pensionierung decken. Laut einer Studie des Finanzdienstleisters VZ Vermögenszentrum kommt jemand mit einem Einkommen von 100 000 Fr. heute noch auf knapp 55% seines letzten Lohns vor der Pensionierung. Im Jahr 2002 seien es noch rund 62% gewesen. Wird dieser Wert in Zukunft noch weiter sinken?
Ursprünglich ist man von der goldenen Regel ausgegangen: dass die Entwicklung bei den Löhnen identisch ist mit der bei der Verzinsung der Altersguthaben. In der Praxis war es aber so, dass die kapitalgedeckte zweite Säule mehr geleistet hat als erwartet. Die Versicherten haben von einem Realzins profitiert, denn die Verzinsung der Altersguthaben war höher als die durchschnittliche Entwicklung der Löhne. Eigentlich stehen Personen, die in einer BVG-Minimalkasse versichert sind, heute in ihrem Ansparprozess besser da, als dies ursprünglich erwartet worden war. Das ist ein Grund dafür, dass eine etwas stärkere Senkung der Umwandlungssätze verkraftet werden kann.
Aber was ist mit den jungen Menschen und jenen mittleren Alters?
Die Frage ist, ob es auch in der Zukunft möglich ist, eine solche Realverzinsung hinzubekommen oder nicht. Das ist ein wichtiger Punkt bei den Plänen für eine BVG-Reform. Der Vorschlag der beteiligten Sozialpartner, den der Bundesrat übernommen hat, sieht einen zeitlich unlimitierten Rentenzuschlag für alle vor. Alle Versicherten, also auch solche, die von einer Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes nicht betroffen sind, sollen mehr Leistung erhalten. Das macht diesen Vorschlag extrem teuer. Da ist der Vorschlag des Pensionskassenverbands Asip mit einer Übergangsfrist von zehn Jahren für die kurz vor der Pension stehenden Personen sicher besser. Mit der Annahme einer Realverzinsung in den kommenden Jahren können so im BVG die ursprünglich vorgesehenen Leistungen erreicht werden. Trotz den negativen Zinsen sind die erwarteten Renditen der Pensionskassen bei einer durchschnittlichen Anlagestrategie immer noch im positiven Bereich und immer noch höher als das durchschnittliche Lohnwachstum. Das Kapitaldeckungsverfahren lohnt sich also immer noch, selbst in dieser Niedrigzinsphase. Aber es ist sonnenklar: Wir können nicht zaubern! Man kann nur das an Leistungen ausschütten, was in Form von Beiträgen und Kapitalerträgen langfristig hereinkommt.
Berset versagt, gut für die SP
Michael Schoenenberger listet in der NZZ die nicht existierende Erfolgsgeschichte des Sozialministers auf. Und befürchtet, am Ende könnte sich das als Erfolg für die Sozialisten erweisen. Auszüge aus dem Kommentar:
Es war ein Dogma. Und es ist ein Dogma geblieben bis heute: Nur ein Sozialdemokrat kann die «sozialen Dossiers» reformieren. Nur ein Sozialdemokrat überzeugt seine eigenen Leute. Nur ein Linker in der Verantwortung, so die Bürgerlichen, ist ein «guter Linker» – einer, der unideologisch und sachorientiert die notwendigen Reformen durchsetzt. Zum Beispiel in der Altersvorsorge, im Gesundheitswesen.
Heute ist das Dogma widerlegt: Auch ein Linker kann die Sozialwerke nicht reformieren. Berset ist gescheitert. Von Beginn an beging er zu viele Fehler. Zunächst baute er das Bundesamt für Sozialversicherungen um. Anstatt Leute ins Boot zu holen, die ihm widersprachen, setzte er auf Gleichstrom: Schlüsselstellen wurden mit Linken besetzt, Kritiker suchten das Weite. Bald sprach man nicht mehr vom Bundesamt für Sozialversicherungen, sondern von der «roten Kapelle».
Die dramatischen Fakten. Die gesamte Altersvorsorge ist in Schieflage. In der AHV türmen sich die Milliardendefizite. Bis 2030 klafft eine Finanzierungslücke von 26 Milliarden Franken – notabene trotz den jährlichen 2 Milliarden (!), die dank dem Volks-Ja zur Staf-Vorlage zusätzlich in die AHV fliessen. Die berufliche Vorsorge ist eine einzige grosse Baustelle. Die wichtigsten Parameter sind noch immer politisch bestimmt. Weil aber die Politik handlungsunfähig ist, bleiben die Parameter falsch eingestellt.
“Die Medizin ist schlimmer als die Krankheit”
Hansueli Schöchli, bekanntlich noch nie ein Freund des Sozialpartner-Kompromisses zur BVG-Revision, hält nun auch nach Bekanntgabe der Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates mit Kritik nicht zurück. Er schreibt:
Mit dem BVG-Reformvorschlag wird die AHV-Praxis der Umverteilung in die zweite Säule importiert. Auf diesen Import, der das traditionelle Prinzip der beruflichen Vorsorge (jeder spart für sich selber) weiter aushöhlt, kann man getrost verzichten. Es gibt deutlich günstigere Reformmodelle ohne Giesskanne, mit weniger versteckten Umverteilungen und mit weit weniger Ungerechtigkeit zwischen den Generationen.
Solche Verbesserungen widersprächen dem «Sozialpartner-Kompromiss», doch ein gewerkschaftliches Referendum gegen eine abgespeckte Vorlage wäre kein Drama: Will das Volk die Blockade, bliebe es zwar beim überrissenen Mindestumwandlungssatz, doch dies wäre das kleinere Übel als der unsägliche Vorschlag des Bundesrats. Dann könnte man sich auf eine Minireform mit wenig umstrittenen Teilen beschränken, welche etwa Teilzeiterwerbstätigen nützen und die Finanzierung von Verlusten bei jenen Vorsorgeeinrichtungen erleichtern, die nur wenig überobligatorisches Kapital haben.
NZZ: Teure Giesskanne
Für kommenden Mittwoch (11.12.19) wird die Publikation der Vernehmlassungsvorlage zur BVG-Revision erwartet. In der NZZ werden schon früher geäusserte Vorbehalte gegen den sog. Sozialpartner-Kompromiss wiederholt. Er dürfte die Grundlage für die Vorlage des Bundesrats bilden. Hansueli Schöchli hält ihn für zu teuer und eine Belastung für die jüngeren Generationen. Die Arbeitgeber erachten die in der NZZ genannten Zahlen für falsch. Vor allem stossen sie sich am Begriff der “Luxusrevision”, der ebenfalls wiederholt wird. Schöchli schreibt:
Die St. Galler Vorsorgeberatungsfirma c-alm hat nun die finanziellen Folgen einer solchen Reform ohne Giesskanne ausgerechnet. Demnach würden sich die Gesamtkosten im Vergleich zum Sozialpartner-Vorschlag etwa halbieren – auf rund 1,5 Mrd. Fr. pro Jahr. Die Kosten für die Rentenzuschläge alleine könnte man so gar um 80 bis 90% reduzieren. «Kompensationsmassnahmen sollten weitgehend durch die wenigen betroffenen Pensionskassen selbst getragen werden, denn dafür bestehen bereits Rückstellungen», sagt zudem c-alm-Experte Roger Baumann. Unter Berücksichtigung dieser Rückstellungen «wären kaum mehr Rentenzuschläge im Sozialpartnermodell nötig».
Eine solches Modell ohne Giesskanne würde zwar einem Kernpunkt des Vorschlags der Gewerkschaften und des Arbeitgeberverbandes widersprechen. Doch wären die Risiken einer allfälligen Referendumsabstimmung überschaubar. Die von den Sozialpartnern vorgeschlagene Reform «wäre für die grosse Mehrheit der Pensionskassen schlechter als das Nichtstun», betont Roger Baumann. Und: «Mit einer BVG-Revision sollte man eigentlich die Umverteilung bekämpfen, doch dieses Reformmodell bringt noch zusätzliche Umverteilungen von mindestens 1 Mrd. Fr. pro Jahr.» Im Szenario ohne Reform bliebe der gesetzliche Mindestumwandlungssatz auf überhöhten 6,8%. Dann müsste man laut Baumann betroffenen Vorsorgeeinrichtungen die Möglichkeit geben, einen Zusatzbeitrag zur Finanzierung der Rentenzahlungen zu erheben.
“Harte Zahlen zur Altersvorsorge”
Axel Lehmann, seines Zeichens Präsident der UBS Schweiz, stellt sich in einem Gastkommentar der NZZ dem Thema Altersvorsorge. Mit Daten seiner Spezialistinnen in der Bank alimentiert, fasst er die bekannten und gefährlichen Trends zusammen. Um nicht in Alarmismus zu verfallen, werden von ihm aber auch Lösungsansätze geboten.
Über das Thema Vorsorge wird zunehmend emotional diskutiert. Dabei könnte ein nüchterner Blick auf die Tatsachen helfen, die Diskussion zu versachlichen – vier Fakten mit acht Zahlen lassen die Brisanz der Situation erkennen: Betrug die durchschnittliche Rentenbezugszeit bei der Einführung der AHV 1948 knapp 13 Jahre, so ist diese für Personen, die heute das Rentenalter erreichen, auf über 24 Jahre angestiegen.
Somit ist das Verhältnis von Beitragsjahren zu Rentenbezugsjahren von 3,4 auf 1,8 geschrumpft. Anders ausgedrückt: 1948 konnten 65-Jährige erwarten, 17 Prozent ihres gesamten Lebens als Rentner zu verbringen. Ein heutiger Neurentner verbringt voraussichtlich 26 Prozent seines Lebens im Ruhestand, eine Neurentnerin gar 29 Prozent.
“Die Altersvorsorge ist in die Jahre gekommen”
Michael Ferber gibt in seinem NZZ-Kommentar eine Übersicht über die beunruhigende Verfassung der Altersvorsorge mit den ungenügenden Plänen zur künftigen Absicherung.
Um die Probleme des Schweizer Altersvorsorgesystems zu lösen, reichen die vorgelegten politischen Reformvorschläge nicht aus. In den kommenden Jahren werden die Folgen des demografischen Wandels mit der Pensionierung der Babyboomer immer stärker zu spüren sein. Auch könnte die Phase mit ultraniedrigen bis negativen Zinsen noch lange andauern. Der Druck auf das Vorsorgesystem dürfte also weiter zunehmen. «Wer nichts ändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte», soll der frühere deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann einst gesagt haben. Nicht nur aufgrund des Abrutschens des Schweizer Altersvorsorgesystems in den einschlägigen Rankings sollten sich Politiker und Stimmvolk dieses Sprichwort zu Herzen nehmen.
“Wie gesagt, es ist ein Kompromiss”
SVP-Präsident Alfred Rösti hat dem Arbeitgeberverband in einem Tages-Anzeiger Interview ein Komplott mit den Gewerkschaften vorgeworfen. SAV-Präsident Valentin Vogt weist, natürlich, die Vorwürfe in einem NZZ-Interview zurück und erklärt die Gründe, weshalb der Verband den umstrittenen Rentenzuschlag im BVG akzeptierte. Fabian Schäfer hat ihn befragt. Auszüge:
Haben Sie kein Problem damit, dass nun ausgerechnet Ihr Verband die Lohnbeiträge erhöhen und die Umverteilung zwischen den Generationen weiter verstärken will?
Wie gesagt, es ist ein Kompromiss. Wenn wir allein entscheiden könnten, hätten wir diesen Rentenzuschlag sicher so nicht vorgeschlagen. Aber man muss auch die Vorteile sehen: Unsere Lösung reduziert die Umverteilung von Jung zu Alt im BVG von heute rund 7 Milliarden Franken deutlich. Damit kann ein grösserer Teil der Renditen für die Jungen verwendet werden. Eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer ist für die Sanierung der zweiten Säule nicht möglich.
Macht es Ihnen keine Sorgen, dass die Gewerkschaften künftig bei jedem Problem im BVG immer versuchen werden, diese neue Umlagekomponente auszubauen?
Wie gesagt, es ist ein ausgewogener Kompromiss. Er dürfte eine Mehrheit im Stimmvolk finden und ist auch gut auf die parteipolitischen Realitäten abgestimmt.
Wie meinen Sie das?
Die politische Situation bei der Altersvorsorge ist verfahren. Wir haben im Parlament einerseits eine geschlossene Linke und andererseits eine zutiefst uneinige Rechte. Vor allem die SVP hat sich bei sozialpolitischen Kompromissen komplett abgemeldet, sie ist in diesem Bereich nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, und verharrt auf ihren Maximalforderungen. Wie soll man da eine bürgerliche Lösung finden?
Mythen und Realitäten
Michael Ferber geht in der NZZ diversen “Mythen” nach, die sich um die berufliche Vorsorge ranken. Dazu gehören: «In der beruflichen Vorsorge versickert Geld», «Der demografische Wandel ist kein Problem, da die Lebenserwartung nicht mehr steigt», «Man könnte die Probleme der Pensionskassen lösen, indem diese ihre Gelder besser und mit mehr Rendite anlegten», «Mehr zu sparen, ist keine Lösung», «Das, was ich einzahle, bekomme ich nie wieder», «Zu hohe Renten sind kein Problem, die Pensionskasse muss ja zahlen», «Nur grosse Pensionskassen sind effizient und effektiv».
Die Mythen sind fast alles steile Thesen, die in den letzten Monaten von Kritikern der 2. Säule in diversen Medien verbreitet wurden oder gängige Vorurteile in der Bevölkerung. Viel dran ist nicht. Was nicht heisst, dass die berufliche Vorsorge frei von Problemen wäre. Aber sie sind komplexer – und beunruhigender.
Zweierlei Nachhaltigkeit
Hansueli Schöchli schreibt in der NZZ über die Ergebnisse der OAK-Umfrage und die anhaltende Umverteilung in der 2. Säule, welche nur mit einer erheblichen Senkung des Umwandlungssatzes zu beseitigen ist, wogegen sich aber Grün und Links sträuben. Was nun aber die Nachhaltigkeit der beruflichen Vorsorge untergräbt, welche sonst in Umweltfragen so vehement gefordert ist. Schöchli schreibt:
In der Umweltpolitik ist die Idee in Mode, kommende Generationen nicht mit grossen Hypotheken zu belasten. Der politische Wahltrend in der Schweiz deutet auf eine Art «grüne Welle» hin. Ob das Wahlverhalten den Bürgern nur der Beruhigung des Gewissens dient oder ernst zu nehmen ist, wird sich allerdings erst künftig zeigen – zum Beispiel bei Volksabstimmungen über Vorlagen, die direkt ans Portemonnaie gehen.
Weiterhin ausser Mode ist die Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge. Das Abschieben von Hypotheken auf kommende Generationen scheint hier nach wie vor sehr populär zu sein. Ausgerechnet die Grünen kämpfen in Eintracht mit der traditionellen Linken an vorderster Front gegen die Eindämmung der Umverteilung zulasten der Jüngeren – eine Eindämmung, die durch Senkung des Umwandlungssatzes und Erhöhung des Rentenalters ermöglicht würde.
Spricht man Grüne auf ihre Widersprüche in Sachen Nachhaltigkeit zwischen Umweltpolitik und Altersvorsorge an, sind einzelne Eingeständnisse zu hören. Aber vor allem hört man den Hinweis, dass eine Erhöhung des Rentenalters und die Senkung des Umwandlungssatzes sozialpolitisch problematisch seien. «Nachhaltigkeit» ist also nur relevant für grüne Politik, wenn es nicht im Widerspruch zu anderen Zielen steht.
Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge hiesse Verzicht der Älteren auf Privilegien zugunsten der Jüngeren. Die Sache ginge direkt ans Portemonnaie. Dummerweise ist in der Altersvorsorge die Umverteilung zwischen den Generationen eng mit der Umverteilung zwischen «oben» und «unten» verbunden. Je stärker der Sanierungsbedarf durch Leistungsreduktionen bzw. durch Erhöhung des Rentenalters statt durch Mehreinnahmen geschieht, desto stärker wird die Umverteilung zwischen den Generationen gebremst – und desto eher wird in der Tendenz auch die Umverteilung von oben nach unten reduziert. Links-Grün kämpft für möglichst viel Umverteilung von oben nach unten und nimmt die damit verbundene Belastung der Jüngeren bewusst in Kauf.
Kreuzzug statt Kreuzfahrt
Christof Forster von der NZZ hat sich mit Josef Bachmann, Initiant des Volksbegehrens für eine generationengerechte Vorsorge, unterhalten und offenbar einen überzeugenden Gesprächspartner gefunden, der aber mit grossem Widerstand rechnen muss. Forster schreibt:
Während andere im Rentneralter ihren Hobbys frönen, reisen oder Enkelkinder hüten, hat sich Bachmann vorgenommen, das Schweizer Vorsorgesystem zu reformieren. «Er hat sich dies zur Lebensaufgabe gemacht», sagt SVP-Nationalrat Franz Grüter, der im Initiativkomitee sitzt. Bachmann selbst findet, niemand habe bei der Flexibilisierung von Altersrenten so viel Erfahrung wie er. Er war 17 Jahre lang Geschäftsführer der Pensionskasse des Beratungsunternehmens PWC, bis er mit 67 in Rente ging. Die Pensionskasse hatte mit einem Modell für Aufsehen gesorgt, in dem laufende Renten je nach Finanzlage nicht nur steigen, sondern auch sinken können. Bachmann schaffte es, seine Chefs von der Idee zu überzeugen. Die Kasse wollte auch Altrenten im gleichen Stil flexibilisieren, ist damit aber vor Bundesgericht gescheitert.
Damit dies künftig möglich wird, hat Bachmann Anfang April seine Initiative lanciert. Statt eines ausformulierten Textes für die Bundesverfassung ist sie in Form einer allgemeinen Anregung gehalten. Diese gibt dem Parlament mehr Spielraum. Bachmann fordert, dass AHV und zweite Säule langfristig auf finanziell stabilen Pfeilern stehen – und zwar unter Wahrung der Generationengerechtigkeit. Dazu gibt er einige Richtlinien vor, die mit Tabus in der Altersvorsorge brechen. So sollen laufende Renten «in moderaten Schritten» gesenkt werden können, um die Umverteilung zwischen den Generationen zu begrenzen. Das PWC-Modell würde also auf alle Pensionskassen erweitert. Bei PWC waren 90 Prozent der Rente fix, der Rest variabel. Bachmann möchte die Kapitalrendite als Messgrösse nehmen. Ist sie tiefer als der bei der Berechnung angenommene Wert, sinkt die Rente, ist er höher, wird sie steigen.
Alternative Nordkorea oder die Angst vor dem Volk
Hansueli Schöchli seziert in der NZZ mit scharfem intellektuellem Besteck den Staf-Kuhhandel. Seine Schlussfolgerung:
Das Problem der Einschränkung der Volksrechte bleibt. Das Parlament hätte im Prinzip genügend Spielraum für einen Kompromiss innerhalb der Steuerreform gehabt; diese Reform enthält auch ohne AHV-Zusatz viele Stellschrauben. Der Ausgang einer allfälligen Referendumsabstimmung über eine «reine» Steuerreform wäre ungewiss gewesen; jede Veränderung einer Stellschraube hätte zwar eine Seite besänftigt, aber dies zum Preis einer potenziell grösseren Gegnerschaft auf der anderen Seite. Doch so ist das Leben in der direkten Demokratie. Wer gegen Unsicherheiten von Volksabstimmungen ist, sollte nach Nordkorea auswandern. Man muss es deutlich sagen: Es war die Angst vor dem Volk, welche viele Befürworter der Steuerreform in den Deal mit den AHV-Milliarden getrieben hat.