Katharina Fontana kommentiert in der NZZ den Ausgang der Abstimmung zu AHV 21 stellt Ueberlegungen zu den Forderungen nach einem Ausbau der beruflichen Vorsorge an.
Nach dem Ja zur AHV-Vorlage richtet sich der Fokus nun auf die zweite Säule der Altersvorsorge, das BVG. Am Abstimmungssonntag waren sich Gewinner wie Verlierer mehrheitlich einig, dass die im Parlament hängige BVG-Revision eine Frauenvorlage sein müsse. Das Parlament müsse die zweite Säule so ausgestalten, dass die Rentensituation der Frauen verbessert werde. Es ist indes fraglich, ob die Vorlage dies wird leisten können – trotz all den grossen Ankündigungen und Versprechungen, die in den letzten Wochen dazu gemacht wurden.
Hansueli Schöchli geht in der NZZ der Frage nach, was eine Ablehnung des Reformvorhabens für die AHV bedeutet. Klar ist: eine Sanierung der Finanzierung ist unumgänglich, wie immer auch der Urnengang ausgeht. Die Frage ist nur, wer die Last trägt.
Früher oder später wird es auf jeden Fall Sanierungsmassnahmen für die AHV geben. Der Wunsch der Linken ist klar: am liebsten eine Erhöhung der AHV-Lohnbeiträge, garniert durch Zusatzsubventionen via Nationalbankgelder. Eine Erhöhung der Lohnbeiträge ist aus linker Sicht politisch besonders attraktiv: Dies maximiert die versteckte Umverteilung von oben nach unten und von Jung zu Alt.
Zum einen müssten 25-Jährige die zusätzlichen Lohnabzüge noch 40 Jahre lang zahlen, 60-Jährige nur 5 Jahre lang, und Rentner hätten gar keine Zusatzkosten. Und zum anderen sind AHV-Lohnbeiträge auf Einkommensteilen über rund 86 000 Franken faktisch Steuern und subventionieren die Renten der Tiefverdiener.
Eine direkte Erhöhung der Steuerprogression wäre der ehrliche Weg für einen Ausbau der Umverteilung von oben nach unten. Doch weil dieser Weg nicht unbedingt mehrheitsfähig erscheint, zieht die Linke das Versteckspiel via Altersvorsorge vor.
Ein Ja am 25. September wäre ein Schritt zur Stabilisierung der AHV, sagt die grosse Mehrheit von 133 Ökonomen in einer KOF-NZZ-Umfrage. Will man die AHV längerfristig auf eine solide Basis stellen, brauche es aber eine Erhöhung des Rentenalters. 60 Prozent finden deshalb, dass die Initiative der Jungfreisinnigen in die richtige Richtung zielt.
Der Altersquotient – also die Anzahl Personen im Alter von 65 Jahren und darüber pro 100 Personen im erwerbsfähigen Alter – nimmt laut dem Bundesamt für Statistik bis 2050 von 32 auf 46 zu. Damit stellt sich die Frage, wie man die AHV trotzdem finanziell im Gleichgewicht halten kann.
Fabian Schäfer kommentiert in der NZZ die Abstimmungskampf-Strategie der Linken gegen die AHV-Reform. Er stellt fest:
Auch die reiche Schweiz kann die Schwerkraft der Demografie nicht ewig verdrängen. In den nächsten Jahrzehnten wird die Zahl der Pensionierten derart schnell zunehmen, dass einem schwindlig wird, wenn man sich vorstellt, wie stark Steuern und Lohnbeiträge steigen müssten, um die AHV weiterhin mit dem heutigen Rentenalter zu finanzieren.
Früher oder später müssen wir länger arbeiten, wenn wir unseren Kindern und Enkeln ohne schlechtes Gewissen in die Augen schauen wollen. Je länger wir diesen Schritt aufschieben, umso grösser sind die Lasten, die wir ihnen aufhalsen. Die Linke schliesst vor dieser Ungerechtigkeit routiniert die Augen.
Sie weiss genau, dass sie die Umverteilung von hohen zu tiefen Löhnen nirgends so leicht ausbauen kann wie in der populären AHV. Dass das Sozialwerk so beliebt ist, hat viel damit zu tun, dass man hier finanzielle Lasten unauffällig in die Zukunft verschieben kann – und sich dabei sogar noch sozial fühlen darf.
Hansueli Schöchli, der sich in der NZZ unverdrossen gegen die teuren und mit mehr Nach- als Vorteilen verbundenen Vorschläge zur BVG-Reform wendet, schreibt:
Bürgerliche Politiker subventionieren wie die Linke gerne die Älteren zulasten der Jungen, denn die Stimmmacht liegt bei den Älteren, und für die Jungen ist die Altersvorsorge noch weit weg. Zudem haben manche Bürgerliche Angst vor dem Volk: Ohne breite Rentenzuschläge, so geht die Befürchtung, scheitert die Reform an der Urne, da die Linke mit populistischer «Rentenklau-Kampagne» auf Resonanz stiesse.
Doch ein Volks-Nein wäre kein Drama. Denn der Status quo ist weit weniger schlecht als sein Ruf. Der gesetzliche Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent ist zwar stark überrissen, aber in den meisten Fällen unbedeutend. Die meisten Versicherten haben überobligatorisches Alterskapital: Bei diesem gibt es keine gesetzliche Mindestvorgabe, so dass die Pensionskassen via Mischrechnung schon heute Umwandlungssätze von 6 Prozent oder weniger anwenden können.
Von der vorgeschlagenen Senkung der Mindestvorgabe für die Rentengarantie wären deshalb weniger als 10 Prozent aller Vorsorgeeinrichtungen betroffen. Ohne Senkung müssen sich diese Kassen früher oder später durch Zusatzbeiträge sanieren. Im Gegensatz zu den diskutierten Reformvorschlägen funktioniert eine solche Sanierung ohne neue versteckte Umverteilungen zwischen den Betrieben und Generationen und wäre deshalb der faire Weg. Anders gesagt: Auf diesem Weg verliert der gesetzliche Mindestumwandlungssatz noch mehr an Bedeutung – bis er am Ende völlig irrelevant ist.
Wer ist der Mann, der in der ständerätlichen SGK ein neues Modell für die BVG-Revision 21 einbrachte, welche durch Umverteilung zu finanzierende Kosten von 25 Milliarden auslösen würde? Fabian Schäfer stellt ihn in der NZZ vor und stellt ein paar Fragen.
Der FDP-Ständerat aus dem Kanton Uri, ein alter Hase im politischen Geschäft, hat sich verschätzt – und das ausgerechnet bei einer der wichtigsten Vorlagen der Legislatur. Nicht nur sich selbst hat er in eine ungemütliche Lage manövriert, sondern auch seine Partei.
Passiert ist es am 26. April in einem Sitzungszimmer im Bundeshaus. Die Sozialkommission des Ständerats diskutiert wieder einmal über die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Und in dem Moment, als die 13 Frauen und Männer endlich abstimmen, da merkt Josef Dittli, was es geschlagen hat: Sein Vorschlag, den er sich als grossen bürgerlichen Kompromiss vorgestellt hat, wird nur von den eigenen Parteikollegen unterstützt – und von den Linken. Die natürlichen Verbündeten von der Mitte-Partei und der SVP sind dagegen.
Sein Antrag findet eine hauchdünne Mehrheit. Aber vielleicht wäre er inzwischen froh, es wäre umgekehrt herausgekommen. Manch unangenehme Frage wäre ihm erspart geblieben. (…)
“Hier ist eine nette Geschichte: Die Pensionskassen in der Schweiz horten zu viel Geld. Statt ständig über die gesetzlichen Rentengarantien und über Umverteilungen von Jung zu Alt zu jammern, würden die Kassen ihre Reserven gescheiter den Versicherten auszahlen. Die in der Politik diskutierten Rentensenkungen sind dann unnötig.” So leitet Hansueli Schöchli seinen Artikel zum OAK-Bericht ein. Und fährt fort:
Diese Geschichte wird von den Bewahrern der versteckten Umverteilung in der beruflichen Vorsorge immer wieder erzählt. Die Botschaft ist attraktiv, da sie den Profiteuren des geltenden Systems das schlechte Gewissen nimmt und eine schmerzlose Lösung verspricht.
Mit den am Dienstag publizierten Daten der Oberaufsicht der beruflichen Vorsorge scheint die Erzählung neue Nahrung zu erhalten. Gemäss den Daten wiesen die über 1300 erfassten Pensionskassen ohne Staatsgarantie per Ende 2021 im Durchschnitt einen Deckungsgrad von 118,5 Prozent aus. Das heisst: Pro 1000 Franken künftige Verpflichtungen in Form von Rentengarantien hatten die Kassen ein Vermögen von fast 1185 Franken.
Die künftigen Verpflichtungen wurden dabei mit einem Zins (dem «technischen Zinssatz») von durchschnittlich 1,6 Prozent pro Jahr auf den Barwert per Ende 2021 zurückgerechnet.
Hansueli Schöchli kommentiert in der NZZ die guten Resultate der OAK-Studie 2022:
Es gibt keinen Grund zum Übermut. Der Refrain von Anhängern der politischen Reformblockade in der Altersvorsorge nach dem Motto «Die Pensionskassen habe dicke Polster, also gibt es keinen Grund zur Senkung von Rentengarantien» ist heute so falsch wie während der letzten zehn Jahre. Die Pensionskassen brauchen substanzielle Reserven, damit sie nicht schon nach dem ersten Börsentaucher in einen Sanierungszwang mit zusätzlichen Lohnabzügen hineinlaufen.
Ein eisernes Gesetz der Finanzmärkte lernen KV-Lehrlinge schon im ersten Lehrjahr, doch zu viele erwachsene Politiker in Bundesbern wollen davon nichts wissen: keine Gewinnchancen ohne Risiken. Ohne Reserven müssten sich die Pensionskassen stärker auf risikoarme Anlagen beschränken, was langfristig Renditeeinbussen brächte. Damit verwandt ist der Befund, dass Rentengarantien teuer sind, weil Garantien nur mit «risikolosen» und damit praktisch ertragslosen Anlagen «sicher» erfüllbar sind.
Hansueli Schöchli schreibt in der NZZ zum SGK-S Modell der BVG-Revision:
Die Sozialkommission des Ständerats beschloss nun eine Variante, die zwischen dem Vorschlag des Nationalrats und der Regierungsvariante liegt. Laut ihr soll es Rentenzuschläge von 600 bis 2400 Franken für 20 Übergangsjahrgänge geben: Die ersten fünf Jahrgänge erhalten 2400 Franken, die nächsten fünf bekommen 1800 Franken und so weiter.
Diese Zuschläge gelten für Versicherte mit Jahreslohn bis rund 100’000 Franken. Bei Löhnen über dieser Schwelle bis zu gut 143’000 Franken soll der Zuschlag geringer sein. Bei noch höheren Löhnen gäbe es keinen Zuschlag mehr. Laut der Kommission würden insgesamt 88 Prozent der Versicherten in den Übergangsjahrgängen einen Zuschlag erhalten.
Gemessen am Ausmass der Zuschläge für die Übergangsjahrgänge liegt die Ständeratskommission relativ nahe bei der Renten-Giesskanne des Bundesrats. Dies gilt auch für die Finanzierung. Die Ständeratskommission will wie der Bundesrat neue versteckte Umverteilungen im grossen Stil.
Katharina Fontana kritisiert in der NZZ den Opferkult um die Frauen. “Es ist Zeit, Gegensteuer zu geben. Die Frauen sollten sich die Stigmatisierung ihres Geschlechts nicht mehr gefallen lassen”, schreibt sie.
Kommt hinzu, dass die Rezepte, die unter dem Titel der Gleichstellung propagiert werden, letztlich einen klaren politischen Drall haben. Während die frühere Frauenbewegung nach gleichen Rechten und weiblicher Selbstbestimmung strebte, ist die heutige Frauenpolitik von linken Vorstellungen dominiert. Ein schönes Beispiel lieferte die Frauensession, die letzten Herbst im Bundeshaus stattgefunden hat – eine Art Pseudoparlament, wo sich vorab Aktivistinnen aus demselben politischen Milieu ein Stelldichein gaben.
Das Happening brachte einen Strauss von Petitionen hervor, etwa die Einführung einer Elternzeit, die Schaffung eines Fonds zur Finanzierung von Krippen, die Stärkung der Geschlechterforschung an den Universitäten oder die «Aufwertung» der unbezahlten Arbeit. Allesamt Forderungen, die viel Geld kosten und zu einem kräftigen Ausbau des Staates führen würden. Und das im Namen der Frauen.
Nüchtern betrachtet, zeigt sich: Die Frauen werden in die Opferrolle gesteckt, auch heute noch, denn in dieser Rolle sind sie besonders lohnend. Man vereinnahmt sie und instrumentalisiert sie, um neue Vorschriften, Kontrollen und Subventionen einzuführen und um die staatliche Sphäre auszuweiten. Es ist Zeit, Gegensteuer zu geben. Die Frauen sollten sich die Stigmatisierung ihres Geschlechts nicht mehr gefallen lassen.
Fabian Schäfer beschreibt in der NZZ die Stimmungslage der Linken im Polit-Kampf um die Altersvorsorge. Ein Kernthema, bei welchem sie mit allen Mitteln die Meinungsführerschaft bewahren wollen.
Die Genossen wollen ihre Chance packen. Die Grünen halten mit, die Gewerkschaften ohnehin. Und so schickt sich das kompakte rot-grüne Lager an, die anstehenden Urnengänge, in denen es um relativ pragmatische Vorlagen geht, ideologisch maximal aufzuladen.
Das ist nichts für sensible Gemüter. Das beste Beispiel liefert die AHV-Debatte: Die Linke argumentiert, eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen führe zu einer «Rentenkürzung». Dabei würden die Frauen im Vergleich mit den Männern bereits unter einer «Rentenlücke» leiden.
Nun denn. Soweit Frauen im Alter tatsächlich tiefere Einkünfte haben, liegt dies nicht an der AHV, sondern an den Renten aus den Pensionskassen. Diese würden eben gerade höher ausfallen, wenn das Rentenalter steigt und die Frauen länger einzahlen. Aber das interessiert die Linke nicht.
Katharina Fontana kommentiert in der NZZ die Parlamentsbeschlüsse zur AHV-Reform:
Es verdient fast schon Anerkennung, wie unbeirrt linke Politikerinnen in der AHV-Debatte das Privileg der Frauen verteidigten und an ihrem Mantra von den diskriminierten, überarbeiteten und im Prekariat lebenden Frauen festhielten. Und das ausgerechnet bei der Reform eines Sozialwerks, das speziell frauenfreundlich ist und in dem jedes Jahr mehrere Milliarden Franken von den Männern zu den Frauen umverteilt werden. Dass die Männer mehr Geld in die erste Säule einzahlen und übers Ganze gesehen weniger herausbekommen, dass die AHV-Renten notabene für beide Geschlechter gleich hoch sind, ficht die linken Bewahrerinnen nicht an.
Stattdessen wurde versucht, mit der üblichen Litanei – vom Ungleichgewicht bei der unbezahlten Arbeit bis zur Lohnfrage – vom Offensichtlichen abzulenken: dass das tiefere Rentenalter der Frauen heute unter keinem Titel mehr zu rechtfertigen ist, schon gar nicht unter einem sozialen. Denn was ist sozial daran, wenn am Ende einzig die Jungen bei der Altersvorsorge zur Kasse gebeten werden und die Älteren profitieren? Wo bleibt die Solidarität, wenn man heute unbeschwert ausgibt, was die nächsten Generationen dereinst mit einem tieferen Lebensstandard werden bezahlen müssen?
Hansueli Schöchli schiebt in der NZZ einen zweiten Artikel zu den Beschlüssen –N nach zur BVG 21. Zum Modell der Kommission hälft er fest:
Das Modell beruht auf einem Antrag des SVP-Nationalrats Thomas de Courten (Basel-Landschaft) und wurde nun noch präzisiert. Der Kern des Modells: Einen Rentenzuschlag zur Abfederung sollen nur jene Versicherten erhalten, deren Rente als Folge der Senkung des gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes sinkt. Nicht betroffen sind Versicherte mit viel überobligatorischem Alterskapital; im Überobligatorium gibt es keinen gesetzlichen Mindestumwandlungssatz, weshalb die Pensionskassen bei diesen Versicherten via Mischrechnung schon heute Umwandlungssätze von insgesamt 5 Prozent oder weniger anwenden können.
Zudem sind im Modell der Nationalratskommission die Zuschläge auf 15 Übergangsjahrgänge beschränkt. In diesen Übergangsjahrgängen wären laut Kommission 35 bis 40 Prozent der Versicherten betroffen. Die Betroffenen der ersten fünf Übergangsjahrgänge sollen einen Rentenzuschlag von 2400 Franken pro Jahr erhalten; bei den nächsten fünf Jahrgängen sind es 1800 Franken, danach noch 1200 Franken. Weil diese Zuschläge pauschal sind, können Betroffene auch in diesem Modell Überkompensationen erhalten.
Die Sozialkommission will zudem einen neuen Kanal für versteckte Umverteilungen von Hochlohn- zu Tieflohnbranchen. Übersteigen die Kosten der Pensionskassen für die Rentenzuschläge die Einsparungen aus der Senkung des Mindestumwandlungssatzes, können die betroffenen Kassen die Differenz vom BVG-Sicherheitsfonds beziehen. Finanziert würde die Sache durch zusätzliche Lohnabzüge aller Kassen von 0,15 Prozent auf dem BVG-Lohn (bis 86 040 Franken). Diese neue Quersubventionierung wäre aber klar geringer als bei den Anträgen von Kommissionsminderheiten, welche die Bundesratsversion bzw. einen mittleren Kurs wollen.
Fabian Schäfer kommentiert in der NZZ die Entscheide der SGK-N zur BVG-Reform:
Wie die Vorlage am Ende aussehen wird, ist nicht absehbar, doch das Signal ist deutlich: Die BVG-Reform hat im Parlament wohl nur in abgespeckter Form eine Chance. Daran dürfte sich im Ständerat wenig ändern. Er verfolgt seit den letzten Wahlen sozialpolitisch einen sparsameren Kurs als der Nationalrat, was sich etwa an seinen Entscheiden zur AHV-Reform oder zu den neuen Überbrückungsrenten für ältere Arbeitslose ablesen lässt.
Die Zurückhaltung ist berechtigt. Das Ziel der BVG-Reform sollte sein, die heutige, unerwünschte Umverteilung von Jung zu Alt zu verhindern, nicht sie zu «legalisieren» und gar noch auszubauen. Die erwerbstätigen Generationen müssen ohnehin schon grosse Opfer bringen, um die mit der Pensionierung der Babyboomer in nächster Zeit exponentiell wachsenden Kosten der AHV zu begleichen.
Und wer partout eine (noch) stärkere Umverteilung von «Reich» zu «Arm» will, kann eine Initiative für eine steilere Steuerprogression lancieren. Das wäre transparenter und ehrlicher als der Versuch, auf verschlungenen Pfaden neue Geldströme einzurichten. Natürlich ist eine Reform des BVG wichtig. Aber nicht um jeden Preis.
Hansueli Schöchli philosophiert in der NZZ über die genetischen Ursachen menschlicher Verlustängste und ihre Folgen für die Reform der Altersvorsorge.
Die Besitzstandwahrung hat auch in der Politik eine überragende Bedeutung. Besonders grotesk ist das Ausmass in der Altersvorsorge. Im Obligatorium der beruflichen Vorsorge ist zwar das gesetzliche Minimum des Umwandlungssatzes zur Berechnung der Jahresrenten rechnerisch viel zu hoch – doch ein Abbau dieser Subvention ruft sofort nach «Kompensationen», damit möglichst niemand eine Senkung der nominalen Jahresrente erleidet.
Ähnlich ist das Bild in der AHV. Die Frauen leben zwar im Mittel deutlich länger als die Männer, aber sie sind zurzeit in Sachen Rentenalter privilegiert. Die Angleichung mit der Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 ist nun vorgesehen, doch der Wegfall des Privilegs ist gemäss herrschender politischer Meinung mindestens teilweise zu «kompensieren». Also auch hier soll gelten: Privilegierte bekommen eine «Entschädigung» für den Wegfall ihrer Privilegien.
Die Frauenlöhne liegen im Mittel deutlich unter den Männerlöhnen. Wie viel von der «unerklärten» Lohndifferenz von etwa 8 Prozent mit Geschlechterdiskriminierung zu tun hat, ist offen. Klar ist aber, dass den Gewerkschaften die Frauenlöhne nicht wichtig sind. Wären sie ihnen wichtig, nähmen sie Opfer ihrer Mehrheitskundschaft (der Männer) in Kauf. Zum Beispiel mit folgender Parole: «Wir fordern eine Erhöhung der Frauenlöhne um 4 Prozent und eine Senkung der Männerlöhne um 4 Prozent, damit die Frauen nicht mehr benachteiligt sind.» Doch kraft der Verlustaversion wären Gewerkschaftssekretäre mit solchen Forderungen wohl bald auf der Suche nach einer neuen Stelle.
Der Trieb zur Besitzstandwahrung beeinflusst auch viele andere Bereiche. So sind zum Beispiel einmal gesprochene Subventionen und Sozialleistungen kaum mehr rückgängig zu machen. Und Steuerreformen werden stark erschwert. Das gilt etwa für die vieldiskutierten Dossiers Eigenmietwert und Familienbesteuerung: Im Prinzip wären hier Reformen für den Fiskus aufkommensneutral machbar. Doch damit gäbe es nebst vielen Gewinnern auch viele Verlierer – und die Verlierer schreien lauter als die Gewinner.