Der Ökonom Joachim Voth, Professor an der Uni Zürich, hat zusammen mit zwei Kollegen 1500 amerikanische Biografien aus den 30er-Jahren mit KI-Unterstützung analysiert und kommt zur Erkenntnis, dass die wichtigste Quelle für ein erfülltes Leben der Menschen die Arbeit bildet. Im Zentrum stehen der Stolz auf das Erreichte, auf den Beitrag zum grossen Ganzen sowie die Kameradschaft bei der Arbeit. Es folgen die enge Beziehung in der Familie und die Rolle der Menschen in ihrer Gemeinschaft. In einem hochinteressanten Interview mit der NZZ führt er aus (Auszüge):
Der Trend zur Freizeitgesellschaft kommt in einem ungünstigen Moment. Wegen der demografischen Entwicklung fehlt es an Arbeitskräften. Dieser Mangel wird durch die sinkende Arbeitszeit weiter verstärkt.
Hinzu kommt die verhängnisvolle Altersguillotine bei der Pensionierung. Es hat überhaupt keinen Sinn, kompetente, erfahrene Leute standardmässig aus dem Arbeitsprozess auszusortieren. Dahinter steckt die irrige Vorstellung, dass durch den Austritt eines 65-Jährigen ein Platz frei wird für eine junge Person. Tatsächlich aber handelt es sich hier nicht um ein Nullsummenspiel mit einer fixen Menge an Arbeit. Denn jeder, der im Arbeitsprozess drin ist, schafft dadurch wieder zusätzliche Aufgaben für weitere Menschen. Ausserdem steigen die Steuereinkommen für den Staat.
Trotzdem wehren sich viele Leute gegen ein höheres Rentenalter. In Frankreich etwa gingen die Menschen für Proteste auf die Strasse.
Die Politik hat hier eine falsche Anspruchshaltung geweckt. Diese suggeriert den Leuten: Ich habe in die Sozialversicherung einbezahlt. Dadurch erkaufe ich mir das Recht, mit 62 in Rente zu gehen – selbst wenn das versicherungsmathematisch nicht aufgeht. Erhöht die Politik nun das Rentenalter, so haben die Leute das Gefühl, man nehme ihnen etwas weg. Entsprechend wird das Arbeiten zur Strafe. Dabei ist es doch ein Privileg, wenn man gebraucht wird und etwas Sinnvolles für die Gemeinschaft leisten kann.