Im Interview mit dem Tages-Anzeiger erklärt die frühere Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel, weshalb sie die BVG-Reform unterstützt und die Kritik der Linken verfehlt ist. Auszüge:
Frau Humbel, Sie haben als Nationalrätin an mehreren Reformen der beruflichen Vorsorge (BVG) mitgearbeitet, die am Schluss gescheitert sind. Glauben Sie, dass dieser Anlauf gelingt?
Ich würde ein Nein ausserordentlich bedauern. In unserem bewährten Dreisäulensystem sind AHV und BVG die entscheidenden Säulen. Es stellt sich die Frage, ob die Altersvorsorge noch reformfähig ist.
Klar ist, was die Linke will: Die AHV ausbauen und die zweite Säule schwächen. Mit einer Ablehnung der BVG-Reform würden wir der Linken den Weg ebnen für den Ausbau der AHV zu einer Volksversicherung.
Die Gewerkschaften kritisieren, dass Erwerbstätige künftig mehr bezahlen müssten, während die Renten gekürzt würden.
Ich finde die Kampagne unredlich und irreführend. Die Gewerkschaften vermischen zwei Elemente: Die Senkung des rentenbestimmenden Umwandlungssatzes und die Verbesserungen, von denen vor allem Frauen profitieren. Bei der Erhöhung des Frauenrentenalters gehörte ich zu jenen, die versprachen, die Renten der Frauen zu verbessern.
Da gibt es nichts anderes, als den Erwerbstätigen mit tiefem Einkommen das Sparen in der zweiten Säule zu ermöglichen. Wer mehr Beiträge bezahlt, erhält später eine höhere Rente. Linke und Gewerkschaften reden nun von Bschiss, obwohl sie vor sieben Jahren bei der Altersvorsorge 2020 der Senkung des Umwandlungssatzes zustimmten.
Die Gewerkschaften halten die Senkung des Umwandlungssatzes für unnötig und schädlich, weil dies zu Rentensenkungen führt. Können Sie diese Kritik nicht verstehen?
Nein, denn die Übergangsgeneration, die in erster Linie davon betroffen ist, wird grosszügig mit Rentenzuschlägen abgefedert. Damit kam das Parlament den Gewerkschaften entgegen.
Ursprünglich wollte der Nationalrat nur jenen rein obligatorisch Versicherten einen Zuschlag gewähren, die effektiv eine Renteneinbusse erleiden. Jetzt bekommt rund die Hälfte der Versicherten einen Zuschlag, obwohl nur 15 Prozent der Versicherten von der Senkung des Umwandlungssatzes betroffen sind und eine Rentenkürzung erleiden.
Trotzdem gibt es bei dieser Reform Verlierer: die über 50-Jährigen mit mittleren Löhnen. Da hat das Parlament doch einfach schlechte Arbeit geleistet.
Das ist bedauerlich. Der Nationalrat wollte ursprünglich eine Lösung, bei der es nicht zu diesen Einbussen gekommen wäre. Es ist eine Abwägung, und ich komme klar zum Schluss, dass die BVG-Reform insgesamt ein ausgewogener Kompromiss ist.
Bei der Altersvorsorge 2020, die beim Volk gescheitert ist, war die Linke für die Senkung des Umwandlungssatzes, weil im Gegenzug bei der AHV ein Zuschlag von 70 Franken ausgerichtet worden wäre. Aber auch dieser Zuschlag hätte nicht alle Rentenverluste ausgeglichen. Es fehlt bei der Linken jegliche Kompromissbereitschaft.
Es gab einen Kompromiss für eine BVG-Reform, den die Arbeitgeber und die Gewerkschaften ausgehandelt hatten. Das Parlament wollte diesen nicht und kreierte die aktuelle Reform. Fehlte da nicht bei den Bürgerlichen im Parlament die Kompromissbereitschaft?
Bei diesem Sozialpartnerkompromiss hat sich der Arbeitgeberverband von den Gewerkschaften über den Tisch ziehen lassen. Die Arbeitgeber stimmten einem Rentenzuschlag von 200 Franken zu, der wie in der AHV im Umlageverfahren finanziert, aber in der zweiten Säule ausbezahlt worden wäre. Das war der gleiche Arbeitgeberverband, der einige Jahre vorher die Altersvorsorge-Reform wegen des AHV-Zuschlags von 70 Franken bekämpft hatte.
TA
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