Der Tages-Anzeiger hat mit SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard ein Interview zur BVG-Reform geführt. Das ist teilweise abenteuerlich. Je nach Frage wird mit den BVG-Kassen oder den gut ausgebauten argumentiert. Der Umverteilungs-Mythos ist faktisch der Mythos, dass die Umverteilung beendet ist. Ausgerechnet in den BVG-Kassen besteht er weiterhin. Und die Wichtigkeit der Umwandlungssatz-Senkung mit den Interessen der Finanzindustrie beiseite zu wischen, ist plump. Auszüge:
Wir ahnen, dass Sie bei der Pensionskassen-Vorlage auch wieder zünftig einheizen werden.
Jedenfalls ist das Thema ebenso wichtig, es geht ja wieder um Renten. Wir messen dieser Vorlage mindestens einen ebenso hohen Stellenwert bei. Das Parlament hat unter dem Einfluss von Lobbyisten und parteipolitischem Kalkül an der Vorlage herumgebastelt. Die Reform ist katastrophal.
Hand aufs Herz: Sie wollen gar keine Verbesserung der 2. Säule, weil sie vor allem für Reiche attraktiv ist. Sie würden sie lieber abschaffen und die AHV weiter ausbauen. Deshalb sind Sie gegen die Reform.
Die 2. Säule ist für den Mittelstand absolut zentral. Vom Bauarbeiter, über Coiffeusen bis zur Lehrerin: Leute mit mittleren Löhnen sind froh, am Ende ihres Berufslebens dank der Pensionskasse ein Vermögen angespart zu haben. Wir müssen aber dafür schauen, dass das hart erarbeitete Geld auch bei den Leuten als Rente ankommt und nicht nur am Paradeplatz versickert. Ausserdem hatten wir mit den Sozialpartnern ursprünglich einen Kompromiss erreicht, den der Bundesrat übernahm. Es war das Parlament, das eine Abbauvorlage daraus gemacht hat.
Gut, erklären Sie doch einem 50-jährigen Metzger mit einem Lohn von 5000 Franken in zwei Sätzen, warum er die Reform ablehnen soll.
Ich kann es in einem Satz sagen: Er wird weniger Rente bekommen. Punkt.
Sie blenden den entscheidenden Punkt aus: Dank der Reform müsste der Sohn des Metzgers mit seinen Lohnbeiträgen dereinst nicht mehr die Renten seines Vaters mitfinanzieren. Es ist doch gerecht, die ungewollte Umverteilung endlich zu korrigieren.
Das Problem mit der angeblichen Umverteilung von Jung nach Alt ist längst ein Mythos, die meisten Pensionskassen haben es mittlerweile von sich aus gelöst.
Damit widersprechen Sie aber sehr vielen Experten.
Das sind meist Experten von der Seite der Pensionskassen. Die unabhängige Oberaufsichtskommission des Bundes sagt klar, dass über alle Pensionskassen gesehen keine Umverteilung von Jung nach Alt mehr stattfinde.
Wie ist das möglich? Das Gesetz verpflichtet Kassen heute, jedem nach der Pensionierung bis zum Tod jährlich 6,8 Prozent seines Kapitals, das er bis 65 angespart hatte, auszuzahlen. Es ist doch logisch, dass das Geld nicht mehr reicht, wenn die Menschen immer älter werden.
Das stimmt nicht. Die Pensionskassen schwimmen regelrecht im Geld. Sie haben die Leistungen massiv gesenkt, aber trotz Negativzinsen gute Resultate auf Immobilien und Aktien erzielt. Sie verwalten ein Vermögen von 1100 Milliarden Franken, 400 Milliarden mehr als vor 10 Jahren, und sie haben mehr als 150 Milliarden Reserven angehäuft. Zudem versichern heute viele Pensionskassen höhere Leistungen, als das Gesetz vorschreibt. Das Überobligatorium gab ihnen die Freiheit, die höhere Lebenserwartung auszugleichen. So haben die meisten Pensionskassen ihr Problem gelöst. Eine weitere Rentensenkung ist deshalb nicht nur unnötig, sie ist falsch.
Woher wollen Sie das wissen? Es kommt doch darauf an, welcher Pensionskasse man angeschlossen ist.
Die meisten Metzger sind, wie die Gärtnerinnen, Coiffeure und Menschen in anderen gewerblichen Berufen, einer Pensionskasse angeschlossen, die sehr nahe beim sogenannten Obligatorium ist, die also nur die minimal vom Gesetz vorgeschriebene Leistung erbringt. In diesen Fällen kann man die Auswirkung der Reform ziemlich genau berechnen.
Wenn die Reform tatsächlich so katastrophal ist, wie Sie behaupten: Warum wird sie denn von den Wirtschaftsverbänden unterstützt?
Bei der Finanzindustrie ist es klar: Pensionskassen sind für sie ein gutes Geschäft. Die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent gäbe ihnen noch mehr Freiheit, Gewinne zu machen. Aber Tieflohnbranchen wie etwa jene der Bauern und der Wirte haben mittlerweile bemerkt, dass die Reform auch für sie schlecht wäre. Gastro Suisse kritisiert sie, weil die Lohnkosten für Restaurants unerträglich hoch würden, ohne dass es dem Servicepersonal besser ginge. Deshalb haben sie auch die Nein-Parole beschlossen.
Ihr wohl grösstes Problem im Abstimmungskampf ist, dass laut Bund gut zwei Drittel der Angestellten von der Reform gar nicht betroffen sind. Wie überzeugen Sie eine Bankerin mit 10’000 Franken Lohn im Monat und einer gut ausgebauten Pensionskasse davon, die Reform abzulehnen?
Viele behaupten, dass nur wenige von der Reform nicht betroffen sind. Das ist falsch. Alle haben einen obligatorischen BVG-Teil. Die Reform gibt allen Pensionskassen die Möglichkeit, die Renten weiter zu senken. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat selbst gesagt, die Leute sollten sich bei der eigenen Pensionskasse erkundigen. Auf dieser Basis kann man doch keinen ernsthaften Abstimmungskampf führen.