Sind die Rentner reich oder stehen sie kurz vor der Verelendung? In solchen Fragen ist die Schweiz «im Blindflug». Das will der Bundesrat nun ändern, schreibt Konrad Staehelin im Tages-Anzeiger.
Der Bundesrat will eine jahrelange Blockade der Kantone zur Offenlegung von Steuerdaten beenden. Das ist für die Demokratie hoch relevant. Denn wenn die Schweizer Bevölkerung alle paar Monate über finanzielle Sachfragen abstimmt, entscheidet sie bisher oft unter grosser Unsicherheit.
Die zuständigen Bundesbehörden können im Abstimmungskampf vielfach nur ungenaue oder unvollständige Informationen darüber liefern, wie es der betroffenen Bevölkerungsgruppe finanziell geht oder welche Folgen eine Steuerreform für die öffentliche Hand und die Volkswirtschaft hätte.
Die zwei aktuellsten Fälle: Das Ja zur 13. AHV-Rente Anfang März kam zustande, ohne dass abschliessend geklärt gewesen wäre, wie es den Pensionierten eigentlich geht. Im Vorfeld der Prämien-Entlastungsinitiative der SP, über die im Juni abgestimmt wird, gibt es keine umfassenden Daten über die finanzielle Lage der Prämienzahler.(…)
Das gleiche Problem stellt sich, wenn das nationale Parlament arbeitet. «Wir befinden uns bei vielen Vorlagen im absoluten Blindflug», sagt SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, die sich seit Jahren mit dem Thema befasst. «Es ist ein leidiges Thema. Die Lage ist desolat.»
Um sich einen Überblick über die finanzielle Lage der Einwohnerinnen und Einwohner zu verschaffen, muss sich der Bund anders behelfen. Er tut das insbesondere über Umfragen.
Allerdings seien diese oft nicht durchgehend repräsentativ, sagt Markus Schwyn, der stellvertretende Direktor des Bundesamts für Statistik. So sei der Anteil von Personen mit hohem Vermögen in der Gesamtbevölkerung und damit in den Stichproben meist zu klein, um statistisch belastbare Aussagen über sie zu treffen.
Auf die Debatte im Vorfeld der AHV-Abstimmung vom 3. März hatte dies schwerwiegende Auswirkungen. Niemand wusste, wie viele Pensionierte mit tiefem Einkommen und hohem Vermögen es gibt – und umgekehrt.
Ein grosser Teil dieser Probleme wäre Geschichte, falls sich der Bundesrat mit seiner Forderung durchsetzt, dass er von den Kantonen Steuerdaten einholen darf. Er hat eine neue Statistikverordnung ausgearbeitet, die ihm diese Befugnis gibt. Bis am Freitag befragt er alle interessierten Kreise, was sie davon halten. (…)
Alle Daten würden dabei anonymisiert, verspricht das Bundesamt für Statistik. Heute schon veröffentlicht es Zivilstandsdaten in geraffter Form, die die Kantone zuvor geliefert haben.
Den Kantonen reichen diese Beteuerungen allerdings nicht. Die kantonalen Finanzdirektoren lehnen die Pläne des Bundesrates ab und begründen das mit dem «Steuergeheimnis, das die Privatsphäre der Steuerpflichtigen schützt».
In ihrer gemeinsamen Vernehmlassungsantwort schreiben sie: «Eine solch zentrale Aufbewahrung aller Steuerdaten stellt ein enormes Sicherheitsrisiko dar und könnte Ziel eines Hackerangriffs werden.» Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Steuergeheimnis könne im Fall eines Datenlecks nachhaltig erschüttert werden.