Laetitia Raboud, Direktorin der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge, äussert sich in einem Interview mit der BSV-Zeitschrift «CHSS» zum Wachstum der Sammelstiftungen, das ihr anscheinend Kopfzerbrechen bereitet. Dass laufend Firmenpensionskassen das Handtuch werfen und sich einer Sammelstiftung anschliessen, scheint zwangsläufig zu sein. Trotzdem warnt sie vor dem quantitativen Wachstum. Weiter reichen ihre Vorschläge nicht. Dass ein Umfeld geschaffen werden könnte, das auch kleineren Kassen ein Überleben erlaubt, scheint 39 Jahre nach Inkraftsetzen des BVG illusorisch. Auszüge:
Frau Raboud, seit zehn Monaten amtieren Sie als Direktorin der OAK BV. Wo sehen Sie in der beruflichen Vorsorge Handlungsbedarf?
Ich sehe vor allem bei den Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen Handlungsbedarf. Mittlerweile sind über drei Viertel aller Versicherten in der beruflichen Vorsorge bei einer Sammel- oder einer Gemeinschaftseinrichtung versichert. Jedes Jahr ziehen sich etwa 4 Prozent aller Vorsorgeeinrichtungen vom Markt zurück. Immer mehr firmeneigene Vorsorgeeinrichtungen werden aufgelöst, und die Arbeitgeber schliessen sich stattdessen einer Sammel- oder einer Gemeinschaftseinrichtung an.
Wo sehen Sie die Gründe für diesen Konzentrationsprozess?
Die Gründe dafür sind vielfältig: An erster Stelle stehen die steigenden Kosten und die immer anspruchsvolleren Erwartungen an das oberste Organ. Darüber hinaus werden die Strukturen immer komplexer, schwerer zu verstehen und zu verwalten.
Eine Herausforderung für firmeneigene Vorsorgeeinrichtungen sind also die Fachkenntnisse?
Ja, aber nicht für die firmeneigenen Vorsorgeeinrichtungen an sich. Anspruchsvoll ist der Einsitz im obersten Organ, das die Geschäftsführung überwacht und das sich paritätisch aus Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden zusammensetzt. Es braucht beispielsweise juristische und technische Kenntnisse, aber auch Kenntnisse im Anlagebereich. Die Mitgliedschaft im obersten Organ geht zudem mit einer grossen Verantwortung einher. Einige Haftungsfälle, die vor Gericht verhandelt wurden, belegen dies. Im schweizerischen Milizsystem sind die Mitglieder des obersten Organs meist Laien. Aus den genannten Gründen wird es immer schwieriger, geeignete und motivierte Kandidatinnen und Kandidaten zu finden.
Zum Konzentrationsprozess bei Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen haben Sie jüngst im «Tages-Anzeiger» gesagt, Wachstum sei nicht immer im Interesse der Versicherten. Inwiefern?
Quantitatives Wachstum kann problematisch sein: Wenn eine Sammeleinrichtung beispielsweise ein Vorsorgewerk mit einem tiefen Deckungsgrad übernimmt, sind die bisherigen Versicherten unter dem Gesichtspunkt der Verwässerung des Deckungsgrads der Sammeleinrichtung die Verlierer. Ein gezieltes, auf eine langfristige Strategie ausgerichtetes Wachstum ist hingegen durchaus erstrebenswert. Bei diesem Balanceakt ist das oberste Organ gefragt, das die langfristige Strategie festlegen muss. Auch im Hinblick auf das Wachstum muss das oberste Organ immer die Interessen der Versicherten in den Mittelpunkt stellen und qualitatives Wachstum anstreben.
Warum entscheiden sich Sammelstiftungen manchmal trotzdem für quantitatives Wachstum?
Der Fokus auf quantitatives Wachstum ist vor allem bei Sammel- und Gemeinschaftsstiftungen zu beobachten, die von gewinnorientierten Unternehmen gesteuert werden. Verschiedene Akteure rund um diese Vorsorgeeinrichtungen können zur Verfolgung ihres Ziels, den Ertrag zu steigern, versucht sein, das oberste Organ zu beeinflussen.
CHSS / FR
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