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Die Schweizer Wohnbevölkerung erhöht sich dieses Jahr wohl um rund 148 000 Personen – ein historischer Rekord. Das sind in bloss 12 Monaten gleich viele Menschen, wie die ganze Stadt Bern an Einwohnern zählt. Und das Wachstum geht weiter. Wo sollen die Menschen wohnen? Das NZZ Magazin hat recherchiert.

Solche Zuwachsraten sind offenbar die neue Normalität. Schon letztes Jahr kamen rund 55 000 Haushalte beziehungsweise 74 000 Personen dazu. Ende des letzten Jahres zählte die Schweiz rund 8,8 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner – ohne Flüchtlinge und Asylsuchende. Die magische Marke der 10-Millionen-Schweiz rückt damit rascher näher, als sämtliche Prognosen vorhergesagt haben.

Das Referenzszenario des Bundesamtes für Statistik (BfS) sieht für dieses Jahr nämlich einen weit moderateren Zuwachs von gut 70 000 Personen vor. In der Realität ist der Zuwachs wohl doppelt so hoch. Das BfS schreibt auf Anfrage, Sondereffekte wie die Corona-Pandemie oder die Lage in Osteuropa seien schwer vorhersehbar.

Der Haupttreiber des Wachstums ist der Arbeitsmarkt beziehungsweise die hohe Nettozuwanderung von Arbeitskräften. «Bei der Beschäftigung verzeichnen wir derzeit ein Wachstum von zwei Prozent», erklärt Jörg Schläpfer. Aus dem Prognosemodell von Wüest Partner ergibt sich eine Nettozuwanderung von 91 000 Arbeitskräften. Der ausgetrocknete Stellenmarkt und der oft zitierte Fachkräftemangel spielen dabei eine entscheidende Rolle.(…)

Um Nachfrage und Angebot auf dem Wohnungsmarkt in einer Balance zu halten, müssten schätzungsweise 90 000 bis 100 000 zusätzliche Wohnungen quasi aus dem Nichts geschaffen werden. Um diese Anzahl zu erreichen, müssten die höchsten Wohntürme der Schweiz, die «Three Points» in Dübendorf, 150-mal gebaut werden.

Dumm nur, dass die Investitionen und der Wohnungsbau gerade jetzt stark rückläufig sind. Steigende Zinsen setzten dem Immobilienboom ein Ende. Laut vorläufigen Schätzungen rechnen die Experten für dieses Jahr mit etwa 42 000 neu erstellten Wohneinheiten – was bei weitem nicht reicht. «Bei den Menschen aus der Ukraine gehen wir von einem einmaligen, zeitlich begrenzten Effekt aus», relativiert Experte Jörg Schläpfer. In der Prognose für 2024 nehmen Wüest Partner an, dass der Zustrom an Arbeitskräften nachlässt und ein Teil der Ukraine-Flüchtlinge in die Heimat zurückkehrt. Doch der Verlauf des Kriegs und der internationalen Krise sind schwer vorhersehbar.

Investoren und Exponenten der Wirtschaft bemängeln die völlig unzureichenden Rahmenbedingungen. Diese Bevölkerungsdynamik treffe das Land völlig unvorbereitet. «Die Probleme fangen schon damit an, dass die offiziellen Bevölkerungsprognosen konstant zu tief ausfallen», kritisiert Hans R. Holdener. Er ist CEO bei der Helvetica Property Group und leitet verschiedene Schweizer Immobilienfonds. Die derzeitige Entwicklung hält er für «alarmierend».

Falsche Prognosen hätten zur Konsequenz, dass sich die Bautätigkeit auf ein viel zu tiefes Wachstum einstelle. «Das spielt eine entscheidende Rolle dafür, dass wir notorisch zu wenig Wohnungen bauen und Knappheit herrscht», sagt der Investor. Holdener malt bereits ein Bild von der Schweiz als neues Monaco mit unbezahlbar hohen Mieten und Immobilienpreisen, vor allem in den wichtigsten Zentren. Zur Grössenordnung: Im Kleinstaat der Reichen am Mittelmeer kosten Wohnungen an guter Lage mindestens doppelt so viel wie die exklusivsten Luxuswohnungen in St. Moritz oder Gstaad.

  NZZ