nzzSchweizer Frauen haben im Schnitt nur noch 1,39 Kinder, schreibt die NZZ. Das verschärft die Geldnot der AHV. Ein neuer Reformvorschlag koppelt die Rente an die Zahl der Kinder.

Wer hätte jemals gedacht, dass Babys zu einer solchen Rarität werden könnten? In Südkorea ist die Geburtenrate auf nur noch 0,78 gesunken. Es geht aber noch tiefer: Den Rekord hält die Hauptstadt Seoul mit ihren 10 Mio. Einwohnern, wo pro Frau gerade einmal 0,59 Kinder auf die Welt kommen.

Die Konsequenzen sind dramatisch: Die Bevölkerung Südkoreas wird sich bis zum Ende des Jahrhunderts halbieren. Zudem gerät das Rentensystem aus den Fugen. Bereits in 50 Jahren besteht die Gesellschaft zur Hälfte aus über 65-Jährigen.

In Südeuropa fehlt es ebenfalls an Nachwuchs: So zählen Spanien und Italien nur noch 1,2 Geburten pro Frau. Um die Bevölkerung konstant zu halten, wären 2,1 erforderlich. Experten warnen deshalb vor einem Kollaps der Sozialversicherungen. Derweil schneidet Frankreich mit einem Wert von 1,8 besser ab.

Wo steht die Schweiz? Auch hier ist die Geburtenrate auf einen historischen Tiefstwert von 1,39 gesunken, wie das Bundesamt für Statistik im Juni bekanntgab. Veronica Weisser, promovierte UBS-Ökonomin und eine der namhaftesten Vorsorgeexpertinnen der Schweiz, meint angesichts der Zahl von 1,39: «Verharrt die Geburtenrate auf einem solch tiefen Niveau, so führt dies zu einer deutlichen Verschärfung der Finanzierungsengpässe in unserem Sozialsystem. Dazu gehören neben der AHV die Gesundheitsversicherung sowie die Pflege.»

Laut Weisser rechnet das Bundesamt für Statistik in seinen Prognosen mit einer weitaus höheren Geburtenrate von 1,62 bis im Jahr 2050. Doch selbst in diesem Szenario sinkt das Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Pensionierten dramatisch: Während derzeit 3,1 Personen eine Rente finanzieren, müssen bis 2058 bereits zwei Beitragszahler für einen Rentner aufkommen – und dies gerechnet mit der optimistischen Geburtsprognose.

Schon heute steht die AHV unter einem riesigen Reformdruck: Um die steigenden Ausgaben zu finanzieren, braucht es entweder höhere Steuern und Lohnbeiträge. Oder die Erwerbstätigen müssen länger als bis 65 arbeiten. Wie aber gehen wir damit um, wenn zudem immer mehr künftige Beitragszahler ausfallen?

Der promovierte Basler Ökonom Wolfram Kägi präsentiert einen Reformvorschlag, welcher die tiefe Geburtenrate berücksichtigt, nämlich die Schaffung einer kinderabhängigen Rente: «Die AHV leidet an einem Konstruktionsfehler: Sie ignoriert die Tatsache, dass es ohne Kinder auch keine künftigen Renten mehr gibt. Stattdessen wird einfach angenommen, dass stets genügend Familien da sind, welche Kinder aufziehen – und damit einen Dienst für die Allgemeinheit leisten.»

Die heutige AHV sorge für eine hohe finanzielle Mehrbelastung der Eltern, sagt Kägi, der das Volkswirtschaftliche Beratungsbüro BSS in Basel leitet. «Denn die Rendite der Kinder wird sozialisiert, während die Kinderkosten zum grossen Teil privat zu tragen sind. Würde die Höhe der Rente dagegen an die Zahl der Kinder gekoppelt, könnte man den Mehraufwand der Eltern zumindest teilweise kompensieren.»

Die Idee einer kinderabhängigen Rente ergebe ökonomisch Sinn, sagt auch Professor Bernd Raffelhüschen, der an der Universität Freiburg im Breisgau das Forschungszentrum für Generationenverträge führt. «Wer sich gegen Kinder entscheidet, wird für das Rentensystem zu einem Trittbrettfahrer: Er profitiert von Leistungen, zu denen er kaum etwas beigetragen hat.»

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