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Gegen die BVG-Reform können einige Argument ins Feld geführt werden, dass die steigenden Zinsen die Senkung des Umwandlungssatzes überflüssig machen würden gehört nicht dazu. Hansueli Schöchli schreibt in der NZZ:

Die Nationalbank hat vergangene Woche ihren Leitzins einmal mehr erhöht, auf 1,75 Prozent. Beim Tiefpunkt bis Mitte Juni 2022 lag der Leitzins bei minus 0,75 Prozent. Der Anstieg ist also erheblich. Für die Erwartungen zu den Pensionskassenrenditen sind aber nicht die kurzfristigen Leitzinsen massgebend, sondern die Renditen der langfristigen Bundesobligationen; die gängige Messlatte sind Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit.

Auf dem Tiefpunkt Ende 2020 wiesen zehnjährige Bundesobligationen eine Jahresrendite von minus 0,5 Prozent aus. Zurzeit beträgt diese Rendite gut 0,8 Prozent. Bundesanleihen gelten als Annäherung an «risikolose» Anlagen. Deren Renditen sind aus ökonomischer Sicht zu vergleichen mit den Zinsgarantien, welche die Rentner bei ihrer Pensionierung für den Rest ihres Lebens erhalten.

Der derzeitige Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent im obligatorischen Teil entspricht faktisch einer garantierten Anlagerendite auf dem Alterskapital der Rentner von gut 4,7 Prozent pro Jahr. Das liegt immer noch weit über der Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen. (…)

Gemäss befragten Pensionskassenexperten mag eine konservative Renditeerwartung im langfristigen Durchschnitt bis zu etwa 1,5 Prozentpunkte über der Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen liegen. Beim derzeitigen Zinsniveau entspräche dies einer Renditeerwartung von 2,3 Prozent pro Jahr. Damit käme man auf einen fairen Umwandlungssatz bei der Pensionierung von etwa 5,3 Prozent (vgl. Grafik) – was weit unter dem gesetzlichen Minimum liegt und auch unter dem reduzierten Minimum gemäss Reform.

Anders gesagt: Um die lebenslängliche Zinsgarantie für Rentner zu rechtfertigen, die im derzeitigen Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent steckt, müsste die Rendite der langfristigen Bundesobligationen noch stark steigen – um etwa 2,5 Prozentpunkte auf deutlich über 3 Prozent.

Die Pensionskassen haben die rechnerisch überhöhten Rentengarantien im Versicherungsobligatorium über mehrere Kanäle finanziert. Zum einen erhielten die Erwerbstätigen eine rechnerisch zu tiefe Verzinsung ihrer Altersguthaben, und sie zahlten zum Teil überhöhte Risikoprämien. So war ab 2010 die effektive Verzinsung der Altersguthaben für die Erwerbstätigen im Mittel nur etwa halb so hoch wie der garantierte Zins für die Rentner. Es gab somit eine starke versteckte Umverteilung von Jüngeren (Erwerbstätigen) zu Älteren (Rentnern).

Zum anderen senkten die Pensionskassen die Umwandlungssätze für das überobligatorische Alterskapital stark; dort gibt es kein gesetzliches Minimum. Das führt, vereinfacht gesagt, zu einer versteckten Umverteilung von «oben» nach «unten». (…)

Unter dem Strich ist das Bild klar: Die bisherigen Zinserhöhungen taugen nicht als valables Argument gegen die geplante Senkung der Rentengarantien im Obligatorium. Das Kernproblem der politischen Linken mit dem Pensionskassensystem hat denn auch nichts mit dem Zinsniveau zu tun, sondern ist grundlegender Art: Bei den Pensionskassen spart man im Prinzip für sich selber – wer heute und morgen mehr einzahlt, bekommt übermorgen mehr Rente. Es gibt zwar versteckte Umverteilungen, doch in der AHV lassen sich solche Umverteilungen von Jung zu Alt und von oben nach unten viel leichter verstecken und maximieren. Deshalb wird die Linke immer für einen Ausbau der AHV sein und die zweite Säule torpedieren.

  NZZ