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Warum wird nicht mehr gebaut? Das diskutieren der Bauunternehmer Balz Halter, die Immobilienexperten Martin Neff und Ursina Kubli und der Investorenvertreter Michel Schneider (v. l. n. r.) bei der NZZ.

Die Schweizer Bevölkerung wächst stark und gleichzeitig nimmt die Wohnbautätigkeit ab. Das führt dazu, dass Wohnraum knapp wird. Marktteilnehmer und Experten diskutieren am NZZ-Roundtable darüber, was schief läuft, und wie man Gegensteuer geben könnte. Auszüge.

Trauen die Immobilieninvestoren den hohen Bewertungen nicht mehr?
Schneider:
Der Superzyklus am Immobilienmarkt ist vorbei. Die Zinswende ist Realität geworden. Ende 2022 hat es noch keine starken Bewertungsverluste gegeben, aber per Ende 2023 dürfte es anders aussehen.

Kubli: Wir befürchteten zu Beginn der Zinswende, dass eine Verkaufswelle auf das Land zukommt. Aber weil die Vermietungssituation so hervorragend ist, kam es nicht so weit. Doch die Bewertungen werden teilweise sicher unter Druck kommen.

Halter: In den 1990er Jahren war es viel dramatischer, da fand diese Verkaufswelle tatsächlich statt. Wir haben uns die Füsse wund gelaufen, um die Immobilien an den Mann zu bringen. Niemand wollte mehr kaufen. Das ist derzeit nicht der Fall. Es ist eine gewisse Verunsicherung da, aber ich glaube, in einem Jahr sieht das schon wieder anders aus, denn Immobilien sind ein attraktives Investitionsgut.

 

Hat der Zinsanstieg die Problemwahrnehmung verstärkt?
Halter: Dass wir in eine Knappheit laufen, hat sich nicht erst seit Anstieg der Zinsen manifestiert. Jetzt kommt einfach noch dazu, dass Investitionen sich nicht mehr so günstig finanzieren lassen, und es gibt wieder Anlagealternativen zu Immobilien. Aber die Angebotsknappheit hätten wir auch, wenn die Zinsen tief geblieben wären.

Kubli: Bis vor einem Jahr hatte man tiefe Zinsen und einen Anlagenotstand, trotzdem ging die Bautätigkeit zurück. Es muss andere bremsende Faktoren geben.

Welcher Faktor bremst die Bautätigkeit am meisten?
Neff: Wir haben den Wohnungsmarkt komplett totreguliert. Mietrecht, sinnlose Bauvorschriften, immer länger werdende Baubewilligungsverfahren, eine Verdichtung, die überhaupt nicht funktioniert. Und gleichzeitig keine Bereitschaft, auch nur einen Quadratmeter Bauland neu einzuzonen. Im Gegenteil: Gerade im Kanton Zürich, wo es Bauland am meisten brauchen würde, ist sogar die Tendenz, dass der Kanton die Gemeinden überstimmt und Rückzonungen verlangt.

Ist der fehlende Wohnraum auch eine Folge der gestiegenen Ansprüche der Mieter? Immerhin braucht es heute deutlich mehr Quadratmeter pro Person als vor 20 Jahren.
Neff: Wir beobachten seit längerem einen Individualisierungseffekt. Dahinter stehen gesellschaftliche Phänomene, wie etwa die vielen Scheidungen. Aber es hat auch mit der Alterung der Bevölkerung zu tun: Vor allem ältere Leute leben vielfach allein, nachdem ihr Partner oder ihre Partnerin gestorben ist. Und oft in einem Haus oder einer viel zu grossen Wohnung.

Halter: Schuld daran ist auch das Mietrecht: Es führt generell dazu, dass die Leute ihre Wohnungen möglichst nicht verlassen, weil die Bestandesmieten deutlich tiefer sind als die Angebotsmieten. Wer nach 20 Jahren aus einer 4-Zimmer-Mietwohnung in eine 2-Zimmer-Wohnung zieht, zahlt oftmals mehr Geld für weniger Wohnraum.

Welche Rolle spielt die Migration?
Halter: Die Zuwanderung ist der Elefant im Raum. Darüber will niemand reden, aber weniger Zuwanderung würde den Wohnungsmarkt am schnellsten entlasten. Wenn es einen Konjunktureinbruch gibt, passiert das vielleicht auch. Aber das wünschen wir uns ja eigentlich nicht.

Warum wird nicht mehr gebaut? Die Nachfrage wäre vorhanden.
Halter: Es wird zunehmend schwierig, Bauland zu finden oder Projekte, bei denen man durch Verdichtung, also beispielsweise durch den Bau höherer Gebäude, zusätzliche Wohnungen bauen kann. Die Areale, die man umnutzen könnte, sind zu einem grossen Teil überbaut. Zudem werden die Bewilligungsverfahren immer komplexer, weshalb Investoren sich nur noch sehr ungern auf Entwicklungsprojekte einlassen. Dann haben wir auch noch den Effekt der gestiegenen Zinsen. Zusammen mit der Bauteuerung führt dies dazu, dass das eine oder andere Projekt nicht mehr attraktiv ist.

Schneider: Die Zinswende kommt effektiv im falschen Moment. Die Bereitschaft, zu einem frühen Zeitpunkt in ein Projekt einzusteigen, sinkt. Wenn uns ein Immobilienentwickler für ein Projekt gewinnen will, berechnen wir die Kosten und machen Perspektiven für die Zukunft auf der Basis der abdiskontierten Cashflows. Noch vor ein paar Jahren, als die Zinsen stets gesunken sind, konnte man bei der Fertigstellung eines Projekts mit einem Einwertungsgewinn rechnen. Heute stellt sich die Frage, ob wir kurzfristig einen Einwertungsverlust in Kauf nehmen sollen, etwa weil wir langfristig Ertragspotenzial sehen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn wir von der Qualität und den Perspektiven eines Standorts überzeugt sind.

Kubli: Kommt hinzu, dass es heute aufwendiger ist, den Wohnungsbestand zu erhöhen. Um 100 zusätzliche Wohnungen zu erhalten, genügte es früher, 100 Wohnungen zu bauen. Heute muss man 144 Wohnungen bauen, um den Wohnungsbestand um 100 zu erhöhen, weil bei jedem Ersatzneubau auch Wohnungen wegfallen.

  NZZ