Markus Brotschi entwickelt im Tages-Anzeiger ausnahmesweise Mitgefühl für bürgerliche Politikerinnen. Es geht um die Rechtskehre im Ständerat bei der Vorlage für die BVG-Revision. Die Politikerinnen hätten jetzt eine “Wut”, weil die Kommissionsvorlage zurückgewiesen wurde, was die AHV-Abstimmung im Herbst gefährde. Brotschi schreibt:

FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher ärgert sich über den Ständeratsentscheid. Sie gehört einer bürgerlichen Frauenallianz aus FDP, Mitte und GLP an, die für die AHV-Reform (AHV 21) kämpft. «Wir sind fest davon ausgegangen, dass bis zur Volksabstimmung eine gute Lösung vorliegt, mit der die Absicherung der Frauen in der zweiten Säule verbessert wird. Jetzt hat uns der Ständerat mit seiner Rückweisung Sand ins Getriebe gestreut.» Für die Linke sei dies ein Geschenk. Sie könne nun im Abstimmungskampf ihr Narrativ einsetzen.

Die AHV-Reform (AHV-21), über die am 25. September abgestimmt wird, erhöht das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65. Eine Übergangsgeneration von neun Jahrgängen erhält als Gegenleistung Rentenzuschläge, von denen Frauen mit tiefen Einkommen mehr profitieren als jene mit mittleren und hohen Löhnen. Die monatlichen lebenslangen Rentenzuschläge betragen 160 Franken für tiefe Einkommen, 100 Franken für mittlere und 50 Franken für höhere Einkommen.

Zusätzlich wird für die Übergangsgeneration die Frühpensionierung abgefedert, Frauen mit tiefen Renten können ohne Kürzung weiterhin mit 64 Jahren in Pension gehen. Schliesslich wird die Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte erhöht. Dies bringt der AHV jährlich zusätzliche Einnahmen von 1,4 Milliarden Franken.

Die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) sieht eine Senkung des rentenbestimmenden Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent vor. Pro 100’000 Franken Alterskapital würden neu 6000  statt 6800 Franken Jahresrente ausbezahlt. Begründet wird die Senkung mit der gestiegenen Lebenserwartung  und den geringen Kapitalrenditen. Es sind Ausgleichszahlungen für eine Übergangsgeneration vorgesehen, um Rentenkürzungen zu vermeiden.

Über diesen Ausgleich wird im Parlament gestritten. Arbeitgeber und Gewerkschaften schlugen eine monatliche Zahlung von 200 Franken im Monat vor. Im Parlament ist diese Lösung mit Gesamtkosten von fast 30 Milliarden jedoch chancenlos. Der Nationalrat hat als Ziel erklärt, dass nur einen Ausgleich bekommt, wer durch die Reform effektiv einen Verlust erleidet. Nach Ansicht  der Sozialkommission des Ständerats braucht es jedoch ein grosszügigeres Angebot, um in der Volksabstimmung zu bestehen. FDP-Ständerat Josef Dittli legte zwei Varianten vor: eine kostet 25 Milliarden, die andere hingegen die Hälfte. Zudem soll die BVG-Reform dafür sorgen, dass Erwerbstätige mit Kleinpensen sowie Geringverdienende, vor allem Frauen, zu einer Pensionskassenrente kommen. 

Auch Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel ist «total verärgert», weil im Ständerat  taugliche Lösungen zur besseren Absicherung der Frauen vorgelegen hätten. Humbel verweist darauf, dass die Linke im Ständerat «aus taktischen Gründen» mit ihren Stimmen mitgeholfen hat, die BVG-Reform zu verzögern. Für GLP-Nationalrätin Melanie Mettler ist der Entscheid des Ständerats ebenfalls schwer verständlich. «Jetzt wäre der richtige Moment gewesen, einen breit abgestützten Kompromiss vorzulegen, der die Reformblockade löst und langfristig die Rente von Geringverdienerinnen und Teilzeiterwerbstätigen verbessert.»

Die Gewerkschaften sehen sich hingegen in ihrem Kampf gegen die AHV-Reform bestätigt. «Der Plan der bürgerlichen Befürworterinnen des höheren Frauenrentenalters ist nicht aufgegangen», sagt Pierre-Yves Maillard, SP-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). «Sie können im Abstimmungskampf keine glaubwürdige Lösung für die berufliche Vorsorge anbieten.» Die Gewerkschaften hätten hingegen zusammen mit dem Arbeitgeberverband einen guten Kompromiss präsentiert, den die Bürgerlichen im Parlament abgelehnt hätten. 

  TA