Dominik Feusi beschreibt im Online Nebelspalter den Niedergang des sog. Sozialpartnerkompromiss zur BVG-Reform. Dass es zu diesem “Kompromiss” überhaupt gekommen ist, schreibt er der falschen Einschätzung der Situation durch Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt und der Cleverness des SGB zu. Feusi schreibt (Auszüge):

Valentin Vogt wollte mit dem «sozialpartnerschaftlichen Kompromiss» bei der Reform der zweiten Säule der Altersvorsorge (BVG) in die Geschichte der Schweizer Sozialpartnerschaft eingehen. Der Arbeitgeberpräsident habe darin eine ähnliche Errungenschaft wie das Friedensabkommen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Maschinenindustrie von 1937 gesehen, sagt eine gut informierte Quelle.

Der angebliche Kompromiss hat eine ganz eigene Geschichte. Sie steht für die Bredouille, in die Bürgerliche geraten, wenn sie ihre Grundprinzipien aufgeben, um mit Links etwas zu erreichen. Die «NZZ» schrieb diesen Sommer sogar von «Geiselhaft», in die sich Valentin Vogt begeben habe.

Als Voraussetzung, um überhaupt in Verhandlungen einzusteigen, forderten Gewerkschaftspräsident und Ständerat Paul Rechsteiner und Nationalrat Pierre-Yves Maillard, der auf Rechsteiner nachrücken sollte, Zugeständnisse. Sie verlangten vor allem, dass sich der Arbeitgeberverband dazu bekennt, die Höhe der Renten in der zweiten Säule zu garantieren.

Vogt ging trotzdem darauf ein, um überhaupt mit den Gewerkschaftern am Verhandlungstisch sitzen zu können, so sagen es mehrere Quellen unabhängig voneinander. Das sei ein riesiges und teures Zugeständnis gewesen, so ein enger Beobachter der Sozialpolitik. «Und das schon vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen.» Vogt habe sich von den erfahrenen Verhandlern auf der Gegenseite über den Tisch ziehen lassen. Der Arbeitgeberpräsident habe sich so wieder ins Spiel bringen wollen, nachdem er mit seiner Einschätzung bei der AHV-Abstimmung 2017 daneben gelegen habe. Er habe einen bahnbrechenden Kompromiss angestrebt, um in die Geschichte einzugehen und dann abtreten zu können.

Die Gewerkschaftsbosse konnten aus diesen Motiven Vogts Kapital schlagen. Man traf sich mehrfach in den Büros von Alain Bersets Departement des Innern. Wenn es schwierig wurde, soll der SP-Bundesrat hinzu gestossen sein. Ein Jahr nach dem Scheitern der AHV-Reform war es dann soweit: An einer grossen Sitzung mit allen Dachverbänden der Sozialpartner sollte der Kompromiss präsentiert werden.

Während der grosse Gewerkschaftsbund den kleineren Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse über die Verhandlungen informiert hatte, wurde der Schweizerische Gewerbeverband von den Vorschlägen überrumpelt. Aber bald war klar, dass der Kompromiss in weiten Teilen der Wirtschaft – nicht nur im Gewerbeverband – nicht akzeptiert wurde.

Der Gewerbeverband arbeitete in der Folge einen eigenen Vorschlag aus, der sich eng an einem Vorschlag des Pensionskassenverbandes orientierte. Im Nationalrat wurde eine abgeänderte Variante, ein von Banken, Baumeistern und Händlern erarbeiteter «Mittelweg», im letzten Dezember akzeptiert. Der Kern des im Hinterzimmer von Alain Berset geschmiedeten Kompromisses, die direkte Umlage von Lohnbeiträgen in Renten, wurde klar abgelehnt.

Ähnlich sieht es nun im Ständerat aus. Dessen Sozialkommission berät zurzeit die Reform. Dort allerdings tun sich die Standesvertreter schwer, sich dem Nationalrat anzuschliessen, und ebenso schwer, eine eigene Lösung zu entwerfen. Aber vom Kompromiss, der zwischen dem Gewerkschaftsbund und dem Arbeitgeberverband ausgehandelt wurde, sprechen nur noch Vertreter von SP und Grünen. Selbst beim Arbeitgeberverband, hält man nichts von Vogts Zugeständnissen, schon gar nicht, nachdem die Abstimmung für die AHV-Reform gegen links gewonnen werden konnte.

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