Die NZZ berichtet über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser gibt einem Appenzeller Witwer recht, der sich wegen Geschlechterdiskriminierung beklagt hatte. Die Schweiz steht nun vor der Frage: Sollen Witwer mehr Geld erhalten? Oder Witwen weniger? Katharina Fontana schreibt:

Das Urteil der Grossen Kammer, das mit 12 zu 5 Stimmen erging, ist definitiv. Die Schweiz will nun unverzüglich reagieren. Laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) sollen die Ausgleichskassen angewiesen werden, ab sofort verwitweten Vätern die Rente zu belassen, wenn ihre Kinder 18 Jahre alt werden. Dasselbe gilt für Witwer, die wie Max Beeler den Wegfall ihrer Rente angefochten haben und deren Beschwerde noch hängig ist.

Alle anderen Witwer mit volljährigen Kindern hingegen gehen leer aus; ihr Anspruch gilt laut BSV als erloschen. Die zusätzlichen Kosten, die jedes Jahr neu für die Ausrichtung von Witwerrenten anfallen werden, schätzt das BSV auf rund 12 Millionen Franken.

Mit dieser Anpassung auf die Schnelle ist es aber nicht getan, da sie für Witwer zwar eine Verbesserung, aber noch keine Gleichstellung mit den Witwen bringt. Es braucht eine politische Lösung. Im Parlament sind mehrere Vorstösse zum Thema hängig, und man darf davon ausgehen, dass der Richterspruch aus Strassburg die Debatten nun voranbringen wird.

Die Hauptfrage wird sein: Soll die Gleichstellung durch Ausbau oder durch Abbau erreicht werden? Die Leistungen der Witwen zu kürzen, ist politisch sehr heikel, die Leistungen der Witwer an das Niveau der Witwen anzupassen, ist kostspielig. 

Ein wichtiger Vorentscheid ist bereits gefallen: Der Nationalrat hat einen Vorstoss abgelehnt, der forderte, die Ansprüche der Witwer eins zu eins an jene der Witwen anzugleichen. Es sei falsch, auch kinderlosen Witwern künftig eine Rente zu geben, hiess es im Nationalrat.

Bessere Chancen hat dagegen der Vorschlag, an der Elternschaft anzuknüpfen: Wer Kinder hat und den Partner verliert, soll so lange eine AHV-Hinterlassenenrente erhalten, bis das jüngste Kind volljährig ist oder seine Ausbildung abgeschlossen hat – und zwar unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet waren oder nicht.

Das würde allerdings bedeuten, dass die Witwenrenten spürbar abgebaut würden und kinderlose Frauen künftig keine Hinterlassenenrente mehr beanspruchen könnten. Bei den linken Parteien dürfte diese Idee – ausgerechnet jetzt, nach der Erhöhung des Frauenrentenalters und den vehementen Protesten links-feministischer Kreise – allerdings auf einigen Widerstand stossen.

  NZZ